EU fördert Erdgasprojekte in Afrika, um Kampf gegen Moskau verschärfen zu können

Grüner Kolonialismus

Hintergrund der Kritik an den europäischen Mächten, die gegenwärtig in zahlreichen afrikanischen Staaten laut wird, sind Beschlüsse, die im vergangenen Jahr auf der Glasgower Klimakonferenz (COP26) gefasst wurden. Dabei geht es insbesondere um das Versprechen einer Reihe wohlhabender Industriestaaten, die Finanzierung von Projekten zur Öl- und Gasförderung ab spätestens 2023 zu stoppen – allerdings nur im Ausland. Mittlerweile haben sich sämtliche G7-Staaten angeschlossen. Die Ankündigung rief auf dem afrikanischen Kontinent Unmut hervor, weil sie darauf hinausläuft, keine Erdgasprojekte in Afrika mehr zu fördern, obwohl diese als realistisches Mittel gelten, die Versorgung der Bevölkerung zu verbessern; bis heute verfügen 600 Millionen Menschen in den Ländern Afrikas nicht über Strom. Der unmittelbare Sprung hin zur Versorgung aus Solar- und Windenergie ist teuer und gilt als unrealistisch – auch weil die wohlhabenden Industriestaaten die dazu nötigen Mittel verweigern; die einst zugesagte Summe von 100 Milliarden US-Dollar im Jahr für die Versorgung der Entwicklungsländer mit erneuerbaren Energien wird bis heute nicht gezahlt. Immer wieder ist in Afrika von „grünem Kolonialismus“ des Westens die Rede.

Erneut entzündet hat sich die Kritik, weil die europäischen Mächte seit dem Beginn des Ukraine-Krieges ihr COP26-Versprechen brechen, allerdings nur zu ihren eigenen Gunsten; es geht ihnen ausschließlich darum, ihrer Abhängigkeit von russischem Erdgas zu entkommen. Dies gilt als nötig, um Russland noch schärfer boykottieren zu können. So will Italien Flüssiggas aus einem Förderprojekt in Kongo-Brazzaville beziehen, das zurzeit ausgebaut wird. Frankreich wiederum hat ein Förderprojekt im Norden von Mosambik in den Blick genommen, das der Total-Konzern vor gut einem Jahr wegen lokaler Aufstände eingestellt hatte. Die EU hatte die Aufstände im Erdgasgebiet zum Anlass genommen, einen militärischen Ausbildungseinsatz in Mosambik zu starten. Auch Deutschland bemüht sich in Afrika um Erdgas, und zwar ebenfalls für den eigenen Konsum. Kanzler Olaf Scholz kündigte Ende Mai bei einem Besuch im Senegal an, Berlin werde die Erdgasförderung in dem Land unterstützen; der Senegal könne dann, so hieß es in einem Bericht, „einen Beitrag leisten, um russisches Gas zu ersetzen“. Inzwischen haben die G7 ihren Kurswechsel von ihrem COP26-Versprechen hin zur Finanzierung der Gasförderung auf dem afrikanischen Kontinent offiziell abgenickt.

Unmut in Afrika hat zudem die Internationale Energieagentur (International Energy Agency, IEA) ausgelöst. Die IEA hatte im vergangenen Jahr erklärt, es sei zur Erreichung der globalen Klimaziele dringend notwendig, keinerlei Projekte zur Energiegewinnung aus fossilen Energieträgern mehr zu finanzieren. Im Juni dieses Jahres hat die Agentur, die unter starkem US-Einfluss steht, eine Kehrtwende vollzogen; sie behauptet jetzt, Afrika müsse seine Erdgasproduktion in hohem Tempo ausbauen, um spätestens gegen Ende des Jahrzehnts bis zu 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr nach Europa liefern zu können. Das sei nötig, um die Abhängigkeit der europäischen Staaten von russischem Erdgas zu beenden. Zugleich wies die IEA darauf hin, in relativ kurzer Frist werde auch wieder ein Ausstieg aus der Erdgasförderung notwendig sein, um wie geplant bis zur Jahrhundertmitte klimaneutral zu werden. Es gelte deshalb, die Fördervorhaben auf dem afrikanischen Kontinent so schnell wie möglich zu realisieren. Sonst sei es ungewiss, ob sie sich noch in vollem Umfang amortisieren könnten.

Zu den Doppelstandards der europäischen Mächte hat sich inzwischen eine ganze Reihe führender afrikanischer Politiker geäußert. „Wir brauchen langfristige Partnerschaften, nicht Inkonsistenz und Widerspruch“, monierte der Präsident Nigerias, Muhammadu Buhari. „Sie können nicht einfach kommen und sagen: ‚Wir brauchen euer Gas, ich kaufe euer Gas, und wir bringen es nach Europa‘“, wurde der Energieminister Äquatorialguineas, Gabriel Obiang Lima, zitiert. Afrika für kurzfristige Erdgaslieferungen zu instrumentalisieren – das sei „bevormundend“ und „heuchlerisch“, urteilte Carlos Lopes, ein ehemaliger Leiter der UN-Wirtschaftskommission für Afrika. Es sei „absolut empörend, den Afrikanern zu sagen, dass sie die Optionen, die vor ihnen liegen, nicht prüfen sollen, und zur selben Zeit wegen des russisch-ukrainischen Krieges die Forderung nach Gas für Europa zu beschleunigen“. Kritiker weisen zudem darauf hin, dass das Erdgas, das nun aus afrikanischen Staaten nach Europa geliefert wird, bei der dringend notwendigen Verbesserung der Versorgung der afrikanischen Bevölkerung fehlt.

Auf der Jagd nach Flüssiggas kaufen die europäischen Staaten weiterhin auch ärmeren Ländern Südasiens die Lieferungen weg. Bereits vor zwei Wochen hatte der pakistanische Erdölminister Musadik Malik mitgeteilt, sein Land sei nicht mehr in der Lage, dringend benötigtes Flüssiggas auf dem Spotmarkt zu erwerben, da „jedes einzelne Molekül, das in unserer Region erhältlich war“, von den Staaten Europas weggekauft werde. Müssen schon seit einiger Zeit aufgrund des Flüssiggasmangels die Stromversorgung gekürzt und Betriebe zeitweise stillgelegt werden, so wurde jetzt zeitweise sogar ein Viertel aller Kraftwerke vom Netz genommen, weil nicht genügend Energieträger vorhanden waren. Bangladesch wiederum kann wegen des rasant gestiegenen Erdgaspreises die notwendigen Zukäufe von Flüssiggas auf dem Spotmarkt seit Monatsanfang nicht mehr bezahlen und wird dies noch mindestens zwei Monate nicht tun können. Stromrationierung, die Kürzung von Arbeitszeiten und regelmäßige Stromausfälle sind auch dort die Folge. Eine Besserung der Lage, die maßgeblich durch die Sanktions- und Boykottpolitik der westlichen Mächte verursacht wird, ist nicht in Sicht.

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"Grüner Kolonialismus", UZ vom 29. Juli 2022



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