Martin Schulz, die SPD und die deutsche Hegemonie in der EU

Gut vernetzt

Von Uwe Koopmann

Als der kleine Martin am 20. Dezember 1955 im kleinen Hehlrath am Rande des Braunkohletagebaus und des Lepra- und Siechenhauses von Eschweiler (NRW) geboren wurde, ahnte weder der Pfarrer noch der SPD-Ortsvereinsvorsitzende, wer da die Welt erobern sollte. Über sich selbst sagte er: „Ich war ein Sausack und kein besonders angenehmer Schüler.“

Die Leprastation hat sich inzwischen erledigt, die Karnevalskuh „Billa“ hat ein Denkmal bekommen und die SPD (27 Sitze) erreichte bei der letzten Kommunalwahl nahezu doppelt so viele Sitze wie die CDU. In der Weimarer Republik hatte die KPD gleich nach dem Zentrum den zweiten Platz im Rathaus besetzt – mit fast doppelt so vielen Stimmen wie die SPD. Der kleine Martin erblickte das Licht der Welt also mit relativ rotem historischen Hintergrund. Nun ist er nahezu designierter Außenminister der Bundesrepublik Deutschland. Das Streben nach Höherem gehört zu ihm, hat er es doch schon bis zum Präsidenten des Europaparlaments und Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion in diesem Parlament gebracht.

Wenn die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) als Grundlage der publizistischen Wahrheitsfindung herangezogen wird, dann gibt es nun ein Junktim: Schulz geht ins Auswärtige Amt – wenn er zugleich den Kanzlerkandidaten für die SPD bei der kommenden Bundestagswahl machen darf. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel war im Oktober als geschickter Königsmacher gefeiert worden, nachdem er Frank-Walter Steinmeier als Kandidaten der Großen Koalition für die Wahl zum Bundespräsidenten durchgesetzt hatte. Nun erlebte Gabriel mit Schulz‘ Schachzug, dass er sich ein Kuckucksei ins eigene Nest gelegt hat. Anscheinend ist Schulz beliebter als Gabriel – sowohl unter den SPD-Mitgliedern als auch unter den Wählern. Und Merkel ist – trotz jüngst wackerer Wahlkampfhilfe durch den Besuch von Barack Obama in Berlin – weit unter dem Zenit ihrer Beliebtheit. So wird manches Lob zu sehr später Stunde leicht zu einem Nachruf. Frank-Walter Steinmeier ging im Jahr 2009 als zurückhaltender Kanzlerkandidat der SPD im Bundestagswahlkampf mit 23 Prozent erschreckend deutlich baden.

Nun ein neuer Sprung von der imperialen Bettkante mit Martin Schulz. Der Anlauf war nicht schlecht. Bei den Wahlen zum Europaparlament holte er für die Sozialdemokraten unglaubliche 27,3 Prozent. Dann gab es das scheinhafte Gerangel mit den Christdemokraten der Europäischen Volkspartei (EVP) und der absehbaren Einigung mit dem Kommissionschef Jean-Claude Juncker: Ein Tausch des Amtes des Parlamentspräsidenten soll zur Halbzeit der Legislaturperiode (2017) in gegenseitigem Einvernehmen abgewickelt werden.

Schulz weiß, was wichtig ist. CETA setzte er durch: „Wenn man 14 Tage mehr braucht, ist das so.“ Und ein Schuss „Basta!“ war mit einer sehr frühzeitigen Meldung auch dabei: „Verhandlungen nicht gescheitert, sondern abgeschlossen.“ Schulz kennt die Macht der Wörter. Er spricht nach Angaben des „Spiegel“ Deutsch, Französisch, Englisch, Spanisch, Niederländisch und Italienisch. Zusammenfassend: Schulz ist eloquent und konsequent, außenpolitisch unverbraucht und innenpolitisch unbelastet. Sogar selbstkritisch, aber ambivalent: „Mit jedem Tag, den wir tatenlos zusehen, wie Menschen sich in die Hände krimineller und menschenverachtender Schlepperbanden begeben und auf dem Weg nach Europa ertrinken, laden wir weitere Schuld auf uns. Europa kann und muss mehr tun.“ Gegen die Schlepper oder für die Flüchtlinge?

Wenn es darum geht, die Festung Europa gegenüber Flüchtlingen mit „Mare nostrum“, Frontex, Triton (Frontex Plus) abzuschotten, hat Schulz keinen Erfolg. Noch in der letzten Woche ertranken wieder zahlreiche Flüchtlinge im Mittelmeer. Schulz steht nicht für eine fundamentale Wende. Ein Ansatz für eine legale Einwanderung ist nicht zu erkennen. Das gilt auch für andere Politikbereiche.

Europa in seiner jetzigen Form ist dem ehemaligen Schüler des Spiritanerordens gleichsam heilig. Eng ist die Verbindung zu BDI und BDA im „House of German Business“ in Brüssel. Gescheitert ist allerdings die Verhinderung des Brexit.

Wenn es darum geht, die deutschen Kapitalinteressen in Brüssel und gegenüber London und den vertrumpten USA möglichst weitgehend durchzusetzen, dann ist Schulz im Vergleich zu einem Kanzlerkandidaten Sigmar Gabriel der geeignetere Mann, weil er stärker im europäischen Wirtschaftsnetzwerk verwoben ist. Die Zustimmungswerte bei der „Sonntagsfrage“ sind für „Mutti“ in dieser Legislaturperiode massiv gefallen. Es bleibt aber zweifelhaft, ob die Gefühle des Volkes deckungsgleich sind mit den Präferenzen der Kapitals.

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"Gut vernetzt", UZ vom 25. November 2016



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