Hauptproblem Rojava

Manfred Ziegler zur Einheit Syriens

Wird Syrien aufgeteilt? Wird das Land ethnischer und religiöser Vielfalt in einflusslose Kleinstaaten oder Kantone aufgelöst?

In einem Interview mit der französischen Zeitung „Le Figaro“ sprach der russische Präsident Putin über die Deeskalationszonen in Syrien, die Chancen, die sie einer politischen Lösung bieten, und ihre Gefahren. Dass sie nämlich den Beginn der territorialen Zerstörung Syriens darstellen könnten. Eine bedeutende Gefahr für die Einheit Syriens ist die Deeskalationszone in Idlib, die unter Kontrolle der Dschihadisten und ihres Hauptsponsors, der Türkei steht. Die größte Gefahr aber geht von einem Gebiet aus, das nicht Teil einer Deeskalationszone ist: den kurdischen Einflussgebieten im Norden Syriens.

Hier treffen sich die Bestrebungen nach kurdischer Unabhängigkeit und Regime-Change à la USA und bilden eine strategische Partnerschaft unter dem Motto: „Land für Krieg“. Die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) bzw. die sogenannten SDF sind die Bodentruppen der USA.

Herrscht in den kurdischen Gebieten heute ein demokratisches Experiment inmitten des blutigen Bürgerkrieges in Syrien? Womöglich. Eines aber unterscheidet die kurdischen Kooperativen von den Verhältnissen in anderen Teilen Syriens: Sie müssen sich die Landwirtschaftsflächen mit dem Militär der USA teilen, das Landflächen beschlagnahmen lässt, um Flugplätze und Militärbasen zu errichten. Einer faktischen Teilung des Landes wird so der Boden bereitet.

US-Konvois mit gepanzerten Fahrzeugen, Ausbilder und Sondereinheiten bewegen sich in den kurdischen Kantonen als wären sie dort zuhause – wie in Syrien sonst nur im US-Stützpunkt at-Tanf nahe der jordanischen Grenze. Dort aber versucht die syrische Armee die Besatzer zu vertreiben.

Die kurdischen Parteien setzen sich nicht für eine positive Veränderung Syriens ein und setzen damit die unselige Entwicklung der letzten Jahre fort. Bei allen Verhandlungen, Initiativen und Gesprächen um eine politische Lösung – auch bei den Gesprächen in Astana – waren kurdische Vertreter kaum je vorhanden. Zum Teil wegen des Widerstands der Türkei; aber im Grunde wegen der Bestrebungen der kurdischen politischen Organisationen selbst. Von vornherein ging es der Mehrheit von ihnen nicht um eine Erneuerung Syriens, sondern um die kurdische Unabhängigkeit.

Heute wollen die überwiegend kurdischen SDF ar-Raqqa unbedingt vor der syrischen Armee besetzen. Die SDF werden vermutlich ihr Ziel erreichen und ar-Raqqa den USA auf dem Silbertablett darreichen. Damit wird die Befreiung von Deir Ezzor durch die syrische Armee eine Schlüsselrolle spielen. Es liegt ebenso wie ar-Raqqa im Tal des Euphrat, näher zur Grenze mit dem Irak. Wenn die syrische Armee den IS aus Deir Ezzor vertreibt, werden die Einflussmöglichkeiten der USA deutlich begrenzt. In dieser Situation schießen die USA dafür sogar ein syrisches Flugzeug ab. All das zielt auf die Teilung des Landes.

Die USA werden der kurdischen Selbstverwaltung gern die landwirtschaftlichen Kommunen von Rojava überlassen, solange ihre Interessen hinsichtlich Öl und Gas, Land und Transitrechten gewahrt sind, von der strategischen Bedeutung eines Stützpunkts Rojava ganz zu schweigen. Die kurdische Politik aber ist an die Interessen der USA gebunden – das Ende des Traums von der kurdischen Unabhängigkeit.

Heute gewinnt die syrische Armee die Kontrolle über die Grenzen zurück und vertreibt den IS aus weiten Teilen Syriens. Je umfassender und schneller das gelingt – auch gegen den Widerstand der USA – desto größer ist die Chance, die so wichtige Einheit Syriens zu erhalten. Neben dem Wettlauf um ar-Raqqa wird die Befreiung von Deir Ezzor durch die syrische Armee dabei eine Schlüsselrolle spielen.

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"Hauptproblem Rojava", UZ vom 23. Juni 2017



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