Loriot hätte richtig Kasse machen können - Sehnsucht, Freiheit, Freizeit - Das achte Album der Frau Fischer

Helene Fischer beinhart

Von Herbert Becker

Die 32-jährige Schlagersängerin ist ein Phänomen. Von ihrem neuesten Album wurden allein in der ersten Woche über 300 000 Stück verkauft, damit wurde es aus dem Stand auf Platz 1 katapultiert. Einen solchen Start hatte zuletzt Herbert Grönemeyer mit „Mensch“ – das war 2002.

Die Luxus-Ausgabe der am meisten erwarteten musikalischen Neuerscheinung des Jahres zählt stolze 24 Songs sowie ein aufstellbares Porträt-Cover. Von diesem schaut Helene einem mit keckem Gesicht dabei zu, wie man sich durch die CD quält, um anderthalb Stunden lang Lieder über das Wichtigste im Leben zu hören: Das Du.

Dabei erinnert das achte Album der blonden Weichzeichnerin an Loriots „Bundestagsrede“. Ohne auch nur einen Hauch von Ironie werden Floskeln aneinandergereiht wie in dem genialen Text des Herrn von Bülow: „Politik bedeutet, und davon sollte man ausgehen, das ist doch, ohne darum herumzureden, in Anbetracht der Situation, in der wir uns befinden.“

Fischers Songtexter und -texterinnen haben ein ähnliches Konzept gewählt und eine Fülle abgestandener Phrasen zusammengebastelt, um die großen Gefühle „Sehnsucht“ und „Liebe“ mit den kleinen Freuden „Freizeit“ und „Freiheit“ zu verbinden. Beispiele aus dem Titelsong „Herzbeben“, mit dem Helene Fischer auch noch die Zuschauer im Berliner Olympiastadion in der Halbzeitpause des Pokal-Endspiels nervte und zu Recht ausgepfiffen wurde:

Herzbeben, lass uns leben, wir woll‘n was erleben!

Herzbeben – vorwärts, Herz! Lass es beben, beben!

Herzbeben – deinem Beat total ergeben

Lass mich leben, Herzbeben, lass es beben!

Hab dich längst schon ausgewählt

Bin völlig überwältigt

Komm mit auf meine Umlaufbahn!

Bring mich aus dem Takt!

Vergessen wir den Lebensplan

Genießen den Kontakt!

Einige Songs sagen deutlich und direkt, wo es lang gehen soll, wie „Achterbahn“, das einen ansatzlos direkt in die Raupe der Neuköllner Maientage oder des Hamburger Doms katapultiert, neben den jungen Mann zum Mitreisen. Und aus den Boxen schallt zu blechernen Beats für Deppen: „Auf einmal stehst du da und lachst mich an, in meinem Kopf ist eine Achterbahn.“ Und wenn sich das Verdeck zum Knutschen schließt, zaubert die schlaue Helene auch dafür einen Song aus dem Hut: „Diese eine Nacht wird sich nur um uns drehen.“

Es ist zu hoffen, dass sogar beinharten Helene-Fischer-Ultras nach den ersten Stücken die Stöpselchen aus den Ohren schießen, weil sie es nicht mehr aushalten. Weil es irgendwann reicht mit dem sauber gesaugten Teppich aus Seichtheiten, dem alkoholfreien Cocktail aus zwei Teilen „Gänsehaut pur“ und einem Teil Clubschiff Aida, dem nicht eingelösten Versprechen von Persönlichkeit und Emotionalität.

Dass Fischers Songschreiber sich der alten Ralph-Siegel-Tricks bedienen und die letzte Strophe ein oder zwei Töne höher als den Rest ansiedeln, könnte auch dem treuesten Fan deutlich machen, wie wenig musikalische Dramaturgie vorhanden ist: Aber wer genauso bedient werden möchte, wer glaubt, in dieser Seichtheit und Belanglosigkeit doch die Wege zum Glück zu finden, wird sich nicht abhalten lassen. Fischer-Fans laufen stattdessen einfach so unter dem Radar entlang, zur Kirmes, zum Sommerfest der Dorfvereine, zum Seniorentanztee und in den Endlosschleifen der lokalen Provinzdudelsender. Aber es wird reichen, um Helene Fischer satt und reichlich im Geschäft zu halten. Und solange sich kein genialer DJ ihrer erbarmt und sie mit ein paar mächtigen Beats aufmotzt oder eine schnodderige Punkband sie covert und die nichtssagenden Texte beim Herausschreien mit wahrhaftig empfundenem Hass auf die Gesellschaft auflädt, wird das Album wahrscheinlich als Belanglosigkeit des Jahres erinnert.

Helene Fischer ist kein Phänomen, sie ist eine Gelddruckmaschine.

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Über den Autor

Herbert Becker (Jahrgang 1949) hat sein ganzes Berufsleben in der Buchwirtschaft verbracht. Seit 2016 schreibt er für die UZ, seit 2017 ist es Redakteur für das Kulturressort.

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"Helene Fischer beinhart", UZ vom 2. Juni 2017



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