Zur Situation der Kommunisten in Venezuela

Herausforderungen der Klassenkämpfe

Anfang März beging die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) den 90. Jahrestag ihrer Gründung. Darüber und über die aktuelle Situation in Venezuela sprach UZ mit Carolus Wimmer, Internationaler Sekretär der PCV.

UZ: Anfang des Monats habt ihr den 90. Geburtstag eurer Partei gefeiert. Hat die Pandemie die Feierlichkeiten belastet?

1307 Carolus Wimmer1 - Herausforderungen der Klassenkämpfe - Geschichte der Arbeiterbewegung, Kommunistische Parteien, Venezuela - Internationales
Carolus Wimmer

Carolus Wimmer: Wir erleben eine Periode großer Bedrohungen für die Völker und die Arbeiterklasse der Welt. Die allgemeine Krise des kapitalistischen Systems in seiner imperialistischen Phase wird durch die furchtbare Covid-19-Pandemie aufs Äußerste beschleunigt.

Die Feierlichkeiten zum 90. Jahrestag der Gründung der Kommunistischen Partei Venezuelas (PCV) verliefen trotz dieser bekannten Einschränkungen erfolgreich. Man könnte von eingeplanten Schwierigkeiten sprechen, die den Erfolg der Veranstaltung nicht verhinderten. Wir bekamen 52 Grußschreiben und Videobotschaften und begrüßten online 33 Parteien. Wir freuten uns besonders über die Botschaft der DKP, die ihr Vorsitzender, Genosse Patrik Köbele, persönlich überbrachte. Außerdem waren die Botschafter von vier sozialistischen Ländern anwesend: China, Korea, Laos und Vietnam. Oscar Figuera, Generalsekretär der PCV, fasste die 90 Jahre kommunistischer Geschichte und die aktuelle politische Situation in Venezuela zusammen. Ich ging als Internationaler Sekretär der PCV auf den internationalen Charakter der PCV gestern und heute ein. Ein sichtbarer Beweis dafür ist die solidarische Zusammenarbeit zwischen der DKP und der PCV.

UZ: Im Vorfeld der Parlamentswahlen ist die PCV verleumdet worden, über ihre Kandidatur wurde in allen Medien geschwiegen. Nun wird verlangt, euer Abgeordneter solle sich einer der Mehrheitsfraktionen in der Nationalversammlung anschließen. Warum?

Carolus Wimmer: Auch in Venezuela verschärft sich die Ausbeutung der Arbeiterklasse und der Volksmassen und schafft die Bedingungen, damit die Bourgeoisie, angesichts der von der jetzigen sozialistischen Regierung ausgeübten territorialen und sozialen Kontrolle, ihre sogenannte „neue Normalität“ durchsetzen kann, die nichts anderes ist als die Kontrolle des Kapitals über die Arbeit.

Die PCV ist eine national und international anerkannte Partei, die Partei der breiten Arbeiterklasse und Bauern. Eine Partei mit 90 Jahren Geschichte, aber gleichzeitig die Partei der Zukunft, des Sozialismus. Deshalb ist es in Zeiten der kapitalistischen Krise und der Herausforderungen der Klassenkämpfe in Venezuela nicht verwunderlich, dass sich der aggressive und immer schwelende Antikommunismus der herrschenden Klassen sichtbar macht. Die heute herrschenden kapitalistischen Klassen haben ihre Wurzeln sowohl in den konservativen und rechten als auch in den sozialdemokratischen Parteien. Beide Richtungen haben das gleiche Ziel: Festigung der kapitalistischen Produktionsweise. Die PCV hat eine klar oppositionelle Klassenposition dazu.

Es ist wichtig zu betonen, dass sowohl die Zensur als auch andere Provokationen gegen die PCV weder in der Regierung noch in der sozialistischen Partei auf einheitliche Zustimmung stößt. Die stark sinkende Wählerzustimmung ist ein Beweis dafür.

UZ: Präsident Nicolás Maduro hat wiederholt angedeutet, die PCV sei der „lange Arm des US-Imperialismus“. Warum lenkt er von den wahren Feinden des venezolanischen Volks ab?

Carolus Wimmer: Diejenigen, die mit einem linken Vokabular die gesamte kapitalistische Krise in Venezuela auf die imperialistische Verschwörung reduzieren, die es tatsächlich gibt und die wir verurteilen und bekämpfen müssen, verschleiern das Wesen des Problems, den abhängigen und profitorientierten Charakter der Wirtschaft, die bestehenden Mechanismen der privaten Aneignung der Ölförderrendite und die Formen der bürgerlichen Verwaltung des Staates.

Der Rückgang der Öleinnahmen, die Unmöglichkeit, die Auslandsschulden zu begleichen und die Schwierigkeiten, die durch die kriminellen imperialistischen Sanktionen entstehen, dienen als Rechtfertigung für die Vertiefung der bürgerlich-liberalen Tendenz der Wirtschaftspolitik der Regierung.

Zur Reaktivierung der Wirtschaft hat die Regierung einige neoliberale Versprechen gemacht, die nun verwirklicht werden sollen. Dazu gehört die Begünstigung des lokalen und ausländischen Kapitals und die Abwertung der Kosten der Arbeitskraft sowie die Privatisierung öffentlicher Unternehmen, die Befreiung des Kapitals von Steuer- und Abgabenlasten, die Dollarisierung der Wirtschaft und die Flexibilisierung der Arbeitsbeziehungen. Die weitreichenden Garantien, die die Regierung dem Privatkapital und seinen Profiten bietet, haben als Gegenstück die Opferung der Errungenschaften, die von der Arbeiterklasse auch in der Zeit von Präsident Hugo Chávez erreicht wurden.

Angesichts dieser Realität der Krise hat die PCV die Notwendigkeit einer nationalen Debatte und einer revolutionären Lösung vorgebracht. In Ermangelung einer Antwort auf unsere Vorschläge haben wir beschlossen, zusammen mit anderen sozialen und politischen Organisationen, mit denen wir in dieser Charakterisierung übereinstimmen, den Aufbau der Revolutionären Volksalternative (APR) voranzutreiben. Diese hat ein Programm, das darauf abzielt, den Kurs des venezolanischen nationalen Befreiungsprozesses wiederherzustellen, was wirkliche Perspektiven für den Aufbau des Sozialismus in Venezuela eröffnen würde.

Natürlich haben die feindlichen Aktionen gegen die PCV negative Auswirkungen auf unsere Arbeit. Für die sozialistische Regierungspartei ist plötzlich die Kommunistische Partei der Hauptfeind, während gleichzeitig die Verhandlungen mit den Putschisten von 2002 und 2014 Fortschritte machen.

Die PCV hat große geschichtliche und politische Erfahrung und lehnt das verbale Pingpongspiel ab. Wir bedauern diese Äußerungen von Präsident Maduro, die kontraproduktiv sind und speziell die eigenen Leute in der sozialistischen Partei und auch die internationale Solidarität verunsichern. In der Politik kann und wird es immer Meinungsverschiedenheiten über verschiedene Themen geben. Da ist der Meinungsaustausch nötig, das offene Gespräch. Nun, die PCV wartet seit drei Jahren auf dieses Gespräch. Im revolutionären Kampf sprechen wir von der notwendigen Einheit in der politischen und ideologischen Vielfalt. Unter Präsident Hugo Chávez gab es manchmal eine harte, aber immer faire und konstruktive Diskussion zwischen zwei strategischen Allierten: der PCV und Chávez. Eine Diskussion auf sehr hohem politischen und ideologischen Niveau. Es scheint so, als wären einige frühere Begleiter von Chávez nicht dazu fähig.

UZ: Wie geht ihr mit der momentanen Situation um?

Carolus Wimmer: Wir Kommunisten und Kommunistinnen lassen uns von unseren Hauptaufgaben nicht ablenken.

Nur durch eine von der Arbeiterklasse geführte Revolution, die die Bourgeoisie von der Macht verdrängt, wird es möglich sein, den Teufelskreis des venezolanischen kapitalistischen Modells endgültig zu durchbrechen und Abhängigkeit und Profitgier zu überwinden. Die Arbeiterklasse und das werktätige Volk in Stadt und Land an der Macht ist die einzige Garantie für die Durchführung eines Prozesses der nationalen Entwicklung und Industrialisierung, der durch eine zentralisierte und wissenschaftliche Planung der Wirtschaft unter der Führung und Kontrolle der Arbeiter, Bauern, kommunalen und öffentlichen Sektoren bestimmt wird.

Ohne dieses strategische Ziel aus den Augen zu verlieren, muss die Arbeiterklasse heute ihre Kräfte mit denen der anderen ausgebeuteten Schichten der Gesellschaft vereinen, um gegen die imperialistische Aggression und gleichzeitig gegen die Prekarität und Verarmung zu kämpfen, die uns durch den Kurs der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung aufgezwungen werden.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Herausforderungen der Klassenkämpfe", UZ vom 2. April 2021



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