Impressionen zum Film „Gundermann“ von Andreas Dresen

„Hier bin ich geboren“

Von Randolph Oechslein

Gerhard „Gundi“ Gundermann – Konzert 1994

Gerhard „Gundi“ Gundermann – Konzert 1994

Seit dem 23. August 2018 läuft der Film über den DDR-Rockpoeten Gerhard Gundermann in den Kinos. An diesem Projekt haben Regisseur Andreas Dresen und seine Drehbuchautorin Laura Stieler zehn Jahre gearbeitet. Gundermanns Frau Conny wurde einbezogen.

Mit Alexander Scheer ist die Rolle des Protagonisten mehr als glänzend besetzt, er interpretiert Gundermanns Lieder grandios. Es ist deren starke Poesie, die scheinbar unendlich tiefgehende Melancholie und ihre Zerrissenheit, zugleich auch die Zeitlosigkeit vieler Texte, die Gundermann zu einem der wichtigsten Liedermacher und Rockpoeten werden ließen, mithin zu der von ihm selbst apostrophierten „Tankstelle für Verlierer“. Alexander Scheer stellt Gundermann „mit allem, was er selbst hat“ dar, und kommt Gundermann nicht nur als Künstler, sondern auch in den Alltagssituationen damit ganz nah. Anleihen aus den beiden Dokumentarfilmen „Gundi Gundermann“ (1981) und „Ende der Eisenzeit“ (1999) von Richard Engel sind im aktuellen Film erkennbar und gekonnt adaptiert. Mit Anna Unterberger als Conny Gundermann ist deren Rolle ebenfalls ganz hervorragend besetzt. Die Akteure der Nebenrollen mit hochklassigen Schauspielern wie Peter Sodann, Axel Prahl, Milan Peschel, um nur einige wenige zu erwähnen, verstärken die darstellerischen Qualitäten des Filmes weiter.

Der Film changiert fast durchgängig zwischen zwei Zeitebenen. Die 70er Jahre sind umrissen durch die sich entwickelnde Liebesgeschichte Gundis mit Conny. Dazu gehören der Einstieg in den Beruf, zunächst als Hilfsarbeiter und die „Quallefizierung“ (Gundermann wörtlich im Interview mit Hans-Dieter Schütt) zum Facharbeiter auf dem Großraumbagger 1417 im Tagebau Spreetal. Parallel dazu „Kulturarbeit“ mit dem Singeclub Hoyerswerda, der später zur „Brigade Feuerstein“ wird, der Eintritt in die SED und auch der spätere Rauswurf aus derselben sowie der Beginn der Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) ab 1976. Die zweite Zeitebene beginnt nach dem Ende der DDR und zeigt in teils konfrontativen Szenen mit der Vergangenheit der 70er Jahre Gundermanns wachsende Popularität als Künstler, den Verlust der beruflichen Existenz aufgrund der Schließung des Tagebaus und zuletzt sein Outing als „IM Grigori“ mit all den Spannungen und Konflikten, die sich daraus für sein künstlerisches, familiäres und politisches Umfeld ergeben. Als eine Konstante durch beide Zeitebenen zieht sich die Zusammenarbeit Gundermanns mit dem MfS.

Der Film porträtiert überzeugend die Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit Gundermanns. Er versteht sich als Revolutionär und Kommunist und stößt dabei häufig an die Grenzen des Realen im Sozialismus. Die NVA ist „nicht die Armee Che Guevaras“, erkennt er und weigert sich, ein Loblied auf den Verteidigungsminister zu singen. Gundermanns Ausschluss aus der SED und seine beharrliche Weigerung, sein Parteibuch abzugeben, sind beklemmend authentisch dargestellt. Brillant dabei Peter Sodann, der als ehemaliger antifaschistischer Widerstandskämpfer die Partei vertritt und völlig unerwartet Gundermann angreift: „Solche wie du machen die Partei kaputt.“ Die durchgängig hohe Authentizität des Filmes bei Schlüsselszenen erweist sich als eine der großen Stärken des Films und ist zugleich auch sein Problem. Der Background der Gundermannschen Entwicklung, die sozialistischen Produktions- und Eigentumsverhältnisse der DDR mit all ihren Chancen und zugleich auch begrenzten Möglichkeiten, verschwinden als gesellschaftlich determinierter Kontext weitgehend aus dem Blickfeld.

Ebenso authentisch setzt sich der Film, wie bereits erwähnt, mit Gundermanns MfS-Zusammenarbeit auseinander, die er 1984 von sich aus beendet. Der Film zeigt, wie Gundermanns sich selbst als IM outet und sich bei betroffenen Kollegen, Freunden, Genossen persönlich entschuldigt. Dresen überzeugt durchaus in seinem Bemühen, Gundermanns „anderes Leben“ sensibel statt denunziatorisch à la Donnersmarck/Mühes „Leben der Anderen“ darzustellen. Das ist dem Regisseur und seiner Drehbuchautorin hoch anzurechnen. Authentisch auch Gundermanns Kommentar dazu: „Ich fühle mich nicht als Opfer. Und auch nicht als Täter.“ Die Vorlage dazu ist ein Interview-Text des Journalisten Hans-Dieter Schütt, in dem der reale Gundermann indes noch ein Stück weitergeht und die Rolle der Gauck-Behörde thematisiert: „Die Gauck-Behörde ist ja nicht dazu da, sich an der Wahrheitsfindung zu beteiligen. Sie ist dazu da, die Munition für die Gnadenschüsse zu liefern.“ Nicht die Schilderung dieses Kapitels der Gundermannschen Vita an sich, sondern dessen Präsenz nahezu während des gesamten Filmes wird indes zur Falle und konterkariert Dresens/Stielers ansonsten einfühlsame Darstellung. Die Durchläufigkeit der Stasi-Thematik verschiebt die Perspektive des gesamten Filmes. Sie verstellt den Blick auf die brutalen Auswirkungen des Regime-Change von 1989 auf die Lebenssituation der Handelnden. „ach meine grube brigitta ist pleite“, singt Gundermann 1992 und reflektiert damit die De-Industrialisierung ganzer Regionen der ehemaligen DDR, die Zerstörung der sozialen Beziehungen, Arbeitslosigkeit und die Arbeitskraft, die zur Ware wird. „Ich stell mich nicht mehr an, in den langen Warteschlangen, wo man sich verkaufen kann“ textet Gundermann 1993 und drückt damit die Hilflosigkeit aus in einer Situation, die brachial in das Leben zahlloser Menschen eingreift. Die Betrachtungsweise des Filmes aus dem Blickwinkel subjektiven Verhaltens erweist sich als selbstauferlegte Schranke. Dennoch ist Dresen insgesamt ein großartiges und äußerst sehenswertes Porträt Gundermanns gelungen. „Gundermann“ ist ein außergewöhnlicher Film. Er bietet die Chance, jenseits eines Zerrbildes über Anspruch und Möglichkeiten des Sozialismus in der DDR ins Gespräch zu kommen.

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"„Hier bin ich geboren“", UZ vom 14. September 2018



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