Oder warum Bücher Pudding für die Seele sind

Ich will auch einen Zesel haben!

Das Ende des Jahres steht vor der Tür und mit ihm die leicht merkwürdig anmutenden Rituale der christlichen Welt: Kindergeburtstag mit Gans, Tannenbaum im Wohnzimmer, nicht näher definiertem Mann in Rot oder wahlweise Kind im Nachthemd. Aber – egal wie merkwürdig das Drumherum bei näherer Betrachtung wirkt – gegen einige Weihnachtsrituale haben wir nichts: Gutes Essen, guter Wein, Geschenke … Nur – was soll es sein, verpackt unterm Baum? An dieser Stelle stellen wir in den kommenden Wochen Bücher vor, die Großeltern, Freunde, Tanten und andere Menschen den Heranwachsenden in ihrem Leben schenken können. Von Vor- bis Selber-Lesen, aber immer zum Selber-Denken. Und nicht unbedingt nur für Heranwachsende.

Ein bisschen Esel, ein bisschen Zebra, aber von beidem das Beste! – so stellt sich Möhrchen, der kleine Zesel, dem Buchhändler Grimm vor, als er eines nassen Regentages unvermittelt in dessen Buchhandlung auftaucht. Mit einem kleinen Köfferchen und jeder Menge Fröhlichkeit im Gepäck bringt er Schwung in den Alltag des Mannes, der ganz vielleicht ein bisschen in die taffe Feuerwehrfrau Feline verliebt ist. Während der kleine Zesel das Leben entdeckt und erfreut und erstaunt ist über alles, was anderen normal und langweilig erscheint, schleicht er sich immer mehr in das Herz von Grimm – und von jenen, die das Buch in den Händen halten.

Es werden Raketen aus Pappkartons gebaut, Nachbarn zum Keksessen eingeladen, Pudding gekocht, Laternen umgezogen und vor allem viele Bücher vorgelesen, denn was Grimm und Möhrchen eint, ist eine große Liebe zu Wörtern – gesprochen, gedruckt oder gegessen (Buchstabensuppe ist ihr Liebstes!).

Die jeweiligen Erlebnisse sind in kurzen Kapiteln erzählt, was das Buch zu einem hervorragenden Betthupferl macht. Die Geschichten ergeben auch unabhängig voneinander Sinn, da sie so alltäglich wie zeitlos sind. Stephanie Schneiders Erzählstil erinnert an eine Mischung aus den Klassikern Findus und Pumuckl. Lediglich die Art ist deutlich einfacher, weswegen es sich super eignet, um einer breiten Altersgruppe, zum Beispiel Geschwistern, daraus vorzulesen. Spaß für die Großen und leichte Sätze für die Kleinen. Die Sprache ist voller Wortfindigkeiten, Doppeldeutigkeiten, Spielerei und letztlich einer so großen Liebhaberei, wie sie in vielen Kinderbüchern, die für den Massenwahn produziert werden, schon lange verloren ist. Famos, wunderherrlich, entzückend!

Doch nicht nur den lauschenden Ohren wird etwas Besonderes geboten, auch die Augen kommen auf ihre Kosten. Nahezu jede Seite ist illustriert von Stefanie Scharnberg: bunte, fröhliche Bilder untermalen die Geschichte fast schon mit Zärtlichkeit. Besonders die Vielfältigkeit der dargestellten Figuren fällt ins Auge, die in anderen Kinderbüchern oft bemängelt wird. Stellenweise wirkt es gewollt, vielleicht auch vom Verlag vorgegeben, aber tut der Lesefreude keinen Abbruch.

Es ist unmöglich, diesen kleinen Zesel nicht ins Herz zu schließen und sich auf weitere Abenteuer zu freuen. Insbesondere, da die Geschichten Lust auf Bücher und Wörter machen und zeigen, wie wichtig freier Zugang zu diesen Kulturgütern ist. Denn Bücher bilden – sowohl den Kopf als auch das Herz.

Von daher lässt sich sagen: Ein bisschen Bilderbuch, ein bisschen Selbstlesebuch – aber von beidem das Beste! Ab 5 Jahren geeignet. Mit älteren Geschwistern bereits ab 3.


Stefanie Schneider, Stefanie Scharnberg
Grimm und Möhrchen – Ein Zesel zieht ein
dtv, 128 Seiten, 15 Euro


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"Ich will auch einen Zesel haben!", UZ vom 16. Dezember 2022



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