Die Zahl der Privatiers ist seit 2000 um 70 Prozent gestiegen

Immer mehr Schmarotzer?

Von Richard Corell

Der Rentner bezieht Rente, die wird ihm aus der Rentenkasse (Deutsche Rentenversicherung) bezahlt. Davon gab es, Stand 1. Juli 2018, rund 20,1 Millionen. Die durchschnittlich ausgezahlte Altersrente liegt bei monatlich 862,12 Euro (Männer: 1.130,79 Euro/Frauen: 642,33 Euro). Für diese Armseligkeit haben die Kollegen und Kolleginnen in der Regel ein Leben lang geschuftet und in die Rentenversicherung einbezahlt. Dann gibt es noch die Pensionäre, die waren Beamte und werden im Alter vom Staat versorgt: Hier betrug die durchschnittliche monatliche Pension immerhin 2 930 Euro.

Und dann sind da noch die Rentiers, gelegentlich auch Privatiers genannt. Das sind inzwischen 627000 Personen (das sind knapp 0,8 Prozent der Bevölkerung) nach einer vom „Handelsblatt“ beim Statistischen Bundesamt in Auftrag gegebenen Untersuchung; und bald 70 Prozent mehr als im Jahr 2000. Rentiers leben vom Vermögen (meist reichen die Zinsen schon) und viele sind darunter, die dafür noch keine Minute gearbeitet haben. 6 000 dieser Herrchen und Dämchen sind unter 18 Jahren. Wie zynisch klingen da die Sprüche wie „Leistung soll sich wieder lohnen!“.

Was soll aus einem Land werden, das seine wirtschaftliche und politische Tätigkeit davon leiten lässt, wie es dieser kleinen satten Minderheit geht? So etwas gilt bei uns auch noch als „Elite“ mit Vorbildfunktion. Für die wurde die Vermögensteuer abgeschafft, die Kapitalertragssteuer gesenkt und die Erbschaftsteuer noch löchriger gemacht. Und so wirklich fette Parasiten wie etwa der allseits hofierte Wolfgang Porsche tauchen in der Statistik gar nicht auf. Denn der Herr Porsche, der seine Einkünfte überwiegend vom VW-Konzern aus der BRD bezieht, lebt in Österreich. Und wahrscheinlich würde der sich noch nicht mal als Privatier sehen. Er „arbeitet“ ja schließlich, wie man das Hocken in Aufsichtsräten und Stiftungsvorständen und das Abmühen beim Geldzählen und die Krämpfe beim schwindenden Überblick über die Konten auch gerne bezeichnet. Oder ein August von Finck junior, der AfD-Finanzier, der in seinem Schloss in der Schweiz auf seinem aus Deutschland abgeschleppten Vermögen (geschätzte 8 Milliarden US-Dollar) hockt wie Alberich auf dem Nibelungenschatz.

Das rasante Wachstum der reichen Schmarotzer auf dem einen Pol ist nicht nur mit der faktischen Steuerfreiheit für die Reichen verbunden, sondern mit dem rasant gewachsenen Hartz-Elend seit 2003 direkt verknüpft. Der Niedriglohnsektor, der Druck auf die Reallöhne und daraus abgeleitet die Herabsenkung des Rentenniveaus, der Arbeitslosenunterstützung und so weiter haben die Profite explodieren lassen und die Taschen der Millionäre gefüllt. Bei einem Vermögen von 10 Millionen Euro kann einer schon auf Rentier machen und „verdient“ dabei (zum Beispiel dank Zinsen, Dividenden, Mieteinnahmen) schlappe 500000 Euro (einen Zinssatz von 5 Prozent angenommen) pro Jahr und gute 40000 im Monat. Da staunt der Rentner mit seinen strammen 862,12 Euro.

Aber es wäre zu kurz gegriffen, nur die unsägliche Kluft bei der Verteilung des Reichtums anzuprangern. Da versuchen einige SPD-Führer immerhin mal links mit der Wiederbelebung der Vermögensteuer zu blinken, um den Unmut zu kanalisieren. Das ganze System ist faul. Auf der einen Seite die großen Ankündigen von Entwicklung wie „Digitalisierung“, „Industrie 4.0“, „5G-Vernetzung“ und so weiter, also rasche Entwicklung der Produktivkräfte. Die ist aber mit hohen Risiken verbunden für Unternehmen und die an die Rentiers ausgeschütteten Dividenden. Daher gleichzeitig die jahrelange Verschleppung bei der Umsetzung der Fortschritte unter anderem durch die Autoindustrie oder die Stagnation und Fäulnis, wie sie beim Bau des Flughafens Berlin-Brandenburg, der Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen sichtbar wird. Fortschritt bitte nur dann, wenn er den Privatiers zugutekommt, diesen vom Kapitalismus hochgezogenen Früchtchen, denen im Sozialismus einmal mühsam wieder beigebracht werden muss: das Arbeiten.

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"Immer mehr Schmarotzer?", UZ vom 13. September 2019



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