Überschwemmungen in Libyen sind eine Folge der NATO-Angriffe

Katastrophe mit Ansage

Es war eine Katastrophe mit Ansage, die die Hafenstadt Darna im Nordosten Libyens mit ihren weit über 100.000 Einwohnern buchstäblich ertränkte. Ingenieure und Techniker, die die Dämme im Tal von Darna im letzten Jahr untersucht hatten, warnten vor deren möglichem Bruch – sie blieben ungehört.

Bis zu 15.000 Tote in Darna – die genaue Zahl wird man wohl nie feststellen können – waren die Folge des Sturmtiefs „Daniel“, das vor Libyen zunächst Bulgarien, Griechenland und die Türkei heimgesucht hatte. Rettungsteams aus der Türkei waren als erste vor Ort, es folgten Hilfsteams aus Russland. Selbst aus Ramallah traf ein Team im Auftrag der Palästinensischen Autonomiebehörde ein. Die vordringliche Aufgabe war zunächst die Bergung der Leichen.

Ein Sturmtief wie „Daniel“ – ein „Medicane“, wie es analog zum Wort Hurrikan genannt wird – kommt im Mittelmeer ungefähr einmal im Jahr vor. Hohe Wassertemperaturen wie in diesem Jahr – offenbar eine Konsequenz des Klimawandels – begünstigen und verstärken die „Medicanes“. Schwerste Regenfälle trafen das fruchtbare Gebiet der „Grünen Berge“ und überfluteten die Wadis – die Täler, die in den Sommermonaten austrocknen.

Die Behörden erkannten das Ausmaß der Gefahr nicht. Das Augenmerk der Behörden im Osten Libyens richtete sich auf Bengasi, die größte Stadt in diesem Gebiet. Der Ministerpräsident der Regierung im Osten ließ ein Krisenteam bilden, das die Folgen jedes Notfalls beseitigen sollte. Bengasi blieb weitgehend verschont, hier gab es vor allem Straßenschäden.

Auch die Regierung der Nationalen Einheit im Westen versicherte, Krisenteams stünden bereit, um die Folgen der Flut in den „Grünen Berge“ abzumildern – obwohl diese Regierung im Osten des Landes über keinerlei Autorität verfügt.

Am Ende beließen es beide Regierungen dabei, ein Ausgangsverbot zu verhängen und zu betonen, die Lage sei unter Kontrolle. Mitten in der Nacht jedoch brachen die Dämme oberhalb der Stadt, Wohnhäuser wurden davongeschwemmt, Energieversorgung und jede Form der Kommunikation fielen aus. Die Katastrophe war da.

Begonnen hatte sie Jahre zuvor. Die letzten Instandhaltungsarbeiten an den Dämmen wurden 2009 durchgeführt, unter der Regierung Gaddafi. Danach kamen Dschihadisten, die die Regierung stürzen wollten, monatelange Bombenangriffe der USA, Britanniens und Frankreichs zu ihrer Unterstützung, Machtkämpfe, bewaffnete Milizen und immer wieder ausländische Interventionen. So flog die ägyptische Luftwaffe 2017 Luftangriffe auf Darna. Ausländische Unternehmen erfüllten in dieser Situation ihre Wartungsverträge nicht – es gab niemanden, der sie zur Rechenschaft gezogen hätte. Nur die Ölproduktion in Libyen hatte in den letzten Monaten – zumindest vorübergehend – wieder ungefähr drei Viertel des Vorkriegsstands erreicht.

Libyen ist mit zwei Regierungen, die um die Macht streiten, und mit staatlichen Instanzen, die weitgehend zerfallen sind und keine effektive Katastrophenhilfe leisten können, das Sinnbild eines gescheiterten Staates – ein „Failed State“ im Sinne der Völkerrechtslehre.

Die Regierung im Osten Libyens sucht nun nach Verantwortlichen für das Desaster. Der britische König Charles und der frühere US-Präsident Barack Obama bekundeten angesichts der furchtbaren Lage in Libyen ihr Beileid, freilich – wie zu erwarten – ohne die Verantwortung ihrer Länder für die Zerstörung Libyens zu erwähnen. Denn Libyen war nicht gescheitert, sondern wurde mit NATO-Bomben zerstört. Und ein Staat, der einmal durch die Militärintervention der NATO zerstört ist, lässt sich kaum mehr aufbauen.

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"Katastrophe mit Ansage", UZ vom 22. September 2023



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