Kein Regime-Change in Kasachstan

Nach tagelangen gewaltätigen Ausschreitungen hat der Präsident Kasachstans, Kassym-Schomart Kemelewitsch Tokajew, am Dienstag (Redaktionsschluss dieser Ausgabe von UZ) angekündigt, dass die OVKS-Friedenstruppen innerhalb von zehn Tagen das Land wieder verlassen würden. In einer Ansprache sagte er, die „Hauptmission der OVKS-Truppen ist abgeschlossen.“ Bei der Beratung der Mitgliedstaaten der „Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit“ (OVKS) am Montag hatte Tokajew erklärt, in Kasachstan sei die „vollständige Ordnung wiederhergestellt“ und ordnete die Unruhen als einen versuchten Staatsstreich ein.

Auf Bitten Kasachstans hatte das Bündnis, dem neben Russland und Kasachstan auch Armenien, Belarus, Kirgistan und Tadschikistan angehören, in der vergangenen Woche Friedenstruppen in die zentralasiatische Republik entsand. Dort war es nach der Verdoppelung des Flüssiggaspreises und einer Entlassungswelle durch westliche Öl- und Gaskonzerne zu sozialen Protesten gekommen, die im Westen Kasachstans begannen und sich über die Republik ausbreiteten. Die Proteste verliefen zunächst friedlich, zu den Forderungen der Demonstranten gehörten neben niedrigeren Preisen auch höhere Löhne und Sozialleistungen und die Rückkehr zum alten Renteneintrittsalter. Arbeiter mehrere Ölfelder gingen in einen Solidaritätsstreik.

Mit der Zunahme der Gewalt verschwanden auch die sozialen Forderungen: Terror- und Vandalismusakte fanden in den Städten Zhanaozen und Aktau statt, in Almaty und anderen Städten kam es daraufhin zu gewalttätigen Zusammenstößen, die unter anderem Flughäfen lahmlegte und die Sicherheit des Kosmodroms Baikonur bedrohten. Bewaffnete Demonstranten griffen Sicherheitskräfte, Ersthelfer, Feuerwehrleute und Zivilisten an. Tokajew entließ daraufhin die kasachische Regierung, ordnete ein hartes Vorgehen gegen die Aufständischen an und bat die OVKS um die Entsendung von Friedenstruppen.

Nach Angaben der Agentur „Tengrinews“ hat das kasachische Innenministerium angegeben, dass etwa 9.900 Menschen während der Unruhen in Gewahrsam genommen worden seien, laut deutschen Medienberichten sind viele davon Ausländer. Das deckt sich mit russischen Berichten, nach denen sowohl Islamisten als auch westliche NGOs an den Ausschreitungen beteiligt waren. Die in deutschen Medien kursierende Zahl von mindestens 160 Getöteten wurde inzwischen zurückgenommen.

Einstimmig wählte das kasachische Parlament derweil Alichan Smailow zum neuen Ministerpräsidenten. Der ehemalige Vize-Regierungschef hatte den Posten bereits übergangsweise nach der Entlassung der alten Regierung ausgefüllt.

Falls sich NATO, USA und EU Hoffnung gemacht haben, mit einer Farbenrevolution in Kasachstan die Einkreisung Russlands und Chinas weiter zementieren zu können, so ist diese – zumindest vorerst – zerschlagen worden.

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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Kein Regime-Change in Kasachstan", UZ vom 14. Januar 2022



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