Keine Angst vor neuen Klängen

Manfred Idler im Gespräch mit Daniel Osorio

UZ: Viele Leser der UZ kennen dich als den Kopf der Gruppe „musikandes“, mit der du gemeinsam mit Romina Tobar in wechselnder Besetzung die Tradition des politischen Liedes des kämpfenden Chile, des „Nueva Canción“, weiterführst. Nun hast du einen Kulturpreis für dein kompositorisches Schaffen verliehen bekommen. Was ist der Hintergrund dieser offiziellen Anerkennung?

Daniel Osorio: Der Hintergrund ist eine kompromisslose Arbeit mit der Musik. Seit zehn Jahren arbeite ich hier im Saarland als Komponist und Musiker, wo ich viel „zeitgenössische“ Musik komponiere. Ich verstehe die Musik nicht als Unterhaltung und auch nicht als „Geschmacksache“, ich verstehe die Musik als permanente Negation und ernsthafte Störung des ästhetischen Wohlklangs, eine permanente Umwertung des Bekannten und Aufnahme des Unbekannten. Diese kompositorische Arbeit wird aber bei mir nicht in einem „hochintellektuellen“ Raum eingesperrt. Mit dem „musikandes“-Projekt versuchen wir diese Art, Musik zu denken, zu verbreiten. Wir haben keine Angst vor den neuen Klängen, auch keine Angst vor politischer und sozialkritischer Musik. Ich komponiere nicht nur für die Instrumente der europäischen Tradition, nicht nur für die gewöhnlichen Konzerträume. Ich versuche Musik zu machen, wo der Mensch ist.

UZ: Der Regionalverbandsdirektor Peter Gillo sagte bei der Verleihung: „Osorios künstlerisches Wirken hat Bezüge zu aktuellen Themen und Problemstellungen in der Region Saarbrücken.“ Was ist damit gemeint?

Daniel Osorio: Seit einiger Zeit arbeite ich in meiner Musik nicht mehr mit dem Begriff „L‘art pour l‘art“. Das bedeutet, dass meine Musik mehr mit den Menschen und dem Zustand der Gesellschaft zu tun hat, und nicht nur „mit den reinen Strukturen für eine reine Komposition“, wie es für die traditionellen Konzertsäle üblich ist. Das Stück „Jaque“ (2011) z. B. wurde für Sänger/innen komponiert, die weder in einem Chor gesungen haben noch eine musikalische Ausbildung besitzen. Und der Text wurde sogar von den Teilnehmern des Projektes selbst geschrieben aus ihren Alltagssituationen, Beschwerden und sozialen Forderungen. So ist ein 17-minütiges sozialkritisches Chorwerk entstanden. Bei der Uraufführung konnten die „neuen Sänger“ merken, wie sehr die Musik in der Gesellschaft wirken kann. Als Komponist habe ich auch gemerkt, dass die Rolle des Menschen in der Musik das Wichtigste ist. Deswegen habe ich auch Musik für das Lesbisch-schwule Chorfestival (SaarQueerele 2012) komponiert. Auch habe ich für die Integration mit anderen Chören aus Georgien, Frankreich und Deutschland ein Stück komponiert. Aber das wichtigste Projekt für mich ist die Werkstatt für Musik mit den Obdachlosen in der „Wärmestube“. Dort musizieren wir als „musikandes“-Projekt seit mehr als ein Jahr zusammen mit den „Gästen“. Es ist eine sehr schwierige Arbeit. Trotzdem haben wir schon mit einigen „Gästen“ ein Paar kleine Konzerte gegeben. Sie machen Musik, sie singen und wandeln auch Liedertexte (z. B. die „Moritat von Mackie Messer“) für ihre eigene Situation um, sie komponieren ihre Lieder mit unserer Hilfe etc. Was daraus entstehen wird wissen wir noch nicht.

UZ: Werden wir auf dem Pressefest im Juni aktuelle Kompositionen von dir zu hören bekommen?

Daniel Osorio: Leider haben wir als „musikandes“ noch nie eine Komposition von mir aufgeführt. Wir bereiten gerade das Programm für das Pressefest der UZ vor. Weil das Pressefest ein breites Spektrum des Publikums erreicht, denken wir, dass ein neues und kraftvolles Programm notwendig ist.

Wir singen nicht nur die Lieder des „Nueva Canción Chilena“. Wir leben in einem Land, das im Moment vor neuen politischen und sozialen Herausforderungen steht. Die sogenannte „Flüchtlingskrise“ und der Vormarsch der Rechten in Europa zeigen uns, dass wir dringend reagieren müssen. Nicht nur politisch, sondern auch ästhetisch. Mit zwei Gastmusikern werden wir beim Pressefest ein Programm präsentieren, das nicht nur die „alten“ Lieder anbieten wird, sondern auch Lieder, die uns aufrütteln sollen.

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"Keine Angst vor neuen Klängen", UZ vom 12. Februar 2016



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