Wie sich eine weiße Comic-Autorin einer schwarzen Biografie nähert

Keine Schwarzmalerei

RudeGirl 1 - Keine Schwarzmalerei - Avant Verlag, Birgit Weyhe, Rude Girl - Kultur
(Bild: Birgit Weyhe: Rude Girl, Avant Verlag)

Crystal ist anders. Anders als ihre Familie, die aus Jamaica und Barbados kommt, während sie gebürtige US-Amerikanerin ist. Anders als die weißen Mädchen in der Schule, und anders auch als die schwarzen, die sie „Oreo“ nennen, denn sie sei wie der Keks „außen schwarz, innen weiß“. Auch später an der Uni wird sie anders sein: ein Arbeiterklassekind, das in den Semesterferien arbeitet, statt mit Mama und Papa auf die Bahamas zu fahren.

Crystal wächst mit Popkultur und Musik auf, liebt „Indiana Jones“ und „Jurassic Park“ genauso wie „The Clash“ und „The Cure“. Sie liebt auch Baseball und Skateboards, aber ein skateboardfahrendes Mädchen im Dinosaurier-T-Shirt will so gar nicht zu den Vorstellungen passen, die ihre Mutter von einem „richtigen karibischen Mädchen“ hat.

Und so macht sich Crystal auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Sie lernt Skinheads kennen und wird ein Rude Girl: die Haare hinterm Pony kurz geschoren, Dr. Martens an den Füßen, Ska auf den Ohren.

Crystal heißt eigentlich Priscilla Layne und ist Professorin für Germanistik. Die Geschichte von Crystal ist ihre. Sie hat sich durchgeschlagen im akademischen und im allgemeinen Leben und sie hat Birgit Weyhe von ihrem Weg erzählt. Die Comic-Autorin hat daraus den Band „Rude Girl“ gemacht.

RudeGirl 2 - Keine Schwarzmalerei - Avant Verlag, Birgit Weyhe, Rude Girl - Kultur
(Bild: Birgit Weyhe: Rude Girl, Avant Verlag)

Aber wie schreibt eine weiße Frau in Zeiten der woken Identitätspolitik eine schwarze Biographie? Weyhe steigt persönlich ein und lässt uns teilhaben an dem Kulturschock, den sie erlebte, als sie zwei Monate im Mittleren Westen der USA unterrichtete – und an ihren Gefühlen, als ihr dort bei einer Konferenz vorgeworfen wurde, „kulturelle Aneignung“ mit ihren Comics zu betreiben. Vor allem aber lässt sie uns teilhaben am künstlerischen Schaffensprozess von „Rude Girl“ und an ihrer Zusammenarbeit mit Priscilla Layne. Kapitelweise wird die Geschichte von Crystal unterbrochen und Priscilla kommentiert die bis jetzt entstanden Panels. So lobt sie am Anfang, ihre Mutter und Großmutter seien charakterlich gut getroffen, doch gefällt ihr nicht, dass Weyhe in ihren Zeichnungen keine Hautfarbe nutzt. „Das suggeriert fast, dass es bereits eine ‚postracial‘ Gesellschaft gibt“, bemerkt sie, um dann Vorschläge zu machen, wie Weyhe Hautfarben darstellen kann, ohne diskriminierend zu werden.

So entstehen in „Rude Girl“ zwei Geschichten in einem: Die Lebensgeschichte von Priscilla Layne vom schüchternen Mädchen mit karibischen Wurzeln zum Rude Girl, die sich mit Stolz auf ihre Herkunft und auf ihre Klasse durchs Leben bewegt, an der Uni Brecht und Marx kennenlernt und schließlich – allen Lebensrealitäten für eine schwarze Frau aus der Arbeiterklasse zum Trotz – eine akademische Laufbahn einschlägt, und eine Auseinandersetzung mit der Gesellschaft, in der wir leben. Während Weyhe in ihren Zeichnungen und mit der Auseinandersetzung mit ihrer Protagonistin auch die Grenzen des Genres Comic austestet, bringt Layne Weyhe in den kommentarhaften Abschnitten die Funktionsweise des Kapitalismus näher, geht der Frage nach, was trennender ist, „race“ oder Klasse, und feiert nebenher Pop- und Subkultur ab.

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(Bild: Birgit Weyhe: Rude Girl, Avant Verlag)

Indem Birgit Weyhe offen zugibt, in dem Prozess der Schaffung von „Rude Girl“ vielfach eine Lernende zu sein, macht sie es auch den Menschen leichter, die sich bisher noch nicht mit Rassismus und Kapitalismus auseinandergesetzt haben. So gibt sie unumwunden zu, dass sie sich nie etwas erkämpfen musste, auch wenn sie mit ihrer Familie zeitweise unter der Armutsgrenze lebte. Sie hat von Haus aus Kultur, Bildung und Etikette mitbekommen und die Haltung eines weißen Menschen aus dem Bildungsbürgertum gleich dazu: Mir stehen Dinge zu.

Priscilla Layne dagegen musste erst die Mechanismen erkennen, die sie beschränken – und gegen die sie bis heute ankämpft, denn der Kapitalismus lässt nur für Wenige Schlupflöcher zu. Und man möchte ihr zurufen: Good on you, Girl. Stay rude, stay rebel!


Birgit Weyhe
Rude Girl
Avant Verlag, 312 Seiten, vierfarbig, 26 Euro
Erhältlich im UZ-Shop


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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Keine Schwarzmalerei", UZ vom 10. März 2023



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