Neuwahlen in Österreich

Koalition hat nicht geliefert

Von Anne Rieger

Innerhalb von einem Jahr wurden bei drei der vier größten Parteien Österreichs die Vorsitzende bzw. der Vorsitzende ausgetauscht – jeweils ohne Parteitag: Im Mai 2016 in der SPÖ, im Mai 2017 in der ÖVP und bei den Grünen. Die Rochaden waren Ergebnisse von Unzufriedenheit und Querschüssen in den jeweils eigenen Parteien, der Bevölkerung, vor allem aber beim Kapital. Die Regierungsparteien hatten „nicht geliefert“: Den seit Jahren gewünschten schnellen und radikalen Sozialabbau und weitere Vergünstigungen fürs Kapital. Schon sehr lange wurde über vorgezogene Neuwahlen „spekuliert“, sie wurden praktisch herbeigeschrieben. Nun wird es sie im Oktober geben.

Natürlich trugen Querelen, Konkurrenzen, persönliche Machtinteressen des parlamentarischen (Regierungs-)Personals das Ihre dazu bei. Wer aber an drei Einzelfälle glaubt, scheint mir ein Träumer. Nur Heinz-Christian Strache steht in der FPÖ, der drittstärksten Partei, weiter im Amt. Der SPÖ-Bundeskanzler war im Jahr zuvor getauscht worden. Jetzt traf es den ÖVP-Vizekanzler, Wirtschafts- und Wissenschaftsminister Reinhold Mitterlehner, der durch den von Teilen der Unternehmerschaft seit langem favorisierten Außenminister Sebastian Kurz als Vorsitzender ersetzt wurde. Den Vizekanzlerposten verweigerte er. Kurz will Wahlkampf frei von der „Bürde“ eines solchen Amtes.

„Es geht nichts weiter!“ – Industriellen-Vereinigung (IV) und Wirtschaftskammer (WKO) trommeln das seit Jahren. Gemeint sind drastische Senkung der Lohnnebenkosten, Steuerumverteilung, Sonntagsöffnung, Schleifung des Pensionssystems. Besonders aber geht es um die Arbeitszeitflexibilisierung mit dem 12-Stunden-Arbeitstag als Herzstück, einer 60-Stunden-Woche und 24 Monaten Durchrechnungszeitraum. Damit sollen Überstundenzuschläge gestrichen und Personal abgebaut werden, denn für Spitzenzeiten muss dann keines mehr vorgehalten werden. „Die Anhebung der Arbeitszeitgrenze bei Gleitzeit auf 12 Stunden steht seit mehr als drei Jahren im Regierungsprogramm und ist eine gesetzliche (!) Materie“, tadelte Georg Kapsch, Präsident der IV, Anfang des Jahres.

Der im vergangenen Jahr inthronisierte Kanzler Christian Kern hatte – wie seine Vorgänger auch – mit der Regierungskoalition einiges im Interesse des Kapitals geleistet, wie z. B. die Kürzung der Bankenabgabe von 640 auf 100 Mio. Euro jährlich oder Zahlung der Lohnnebenkosten aus Steuermitteln für Start-Up-Unternehmen. Zu wenig, ließ die IV jetzt über die Medien ausrichten, als sie den beiden neuen Ministern nach der ÖVP-Rochade gratulierte.

Die Menschen im Land sind ebenfalls unzufrieden mit der Regierung. Die Arbeitslosenquote liegt bei 8,6 Prozent, 414 000 Erwerbslosen stehen nur 55 000 offene Stellen zur Verfügung. 1,5 Mio. Menschen sind armutsgefährdet, die Wohnungspreise steigen und die Lohnsteigerung betrug 2016 nur 0,32 Prozent, so die Studie des Europäischen Gewerkschaftsbundes. Die Angst vor ausländischen Menschen wird geschürt. Die gesamte Situation hat sich in den vergangenen Wahlergebnissen niedergeschlagen, die in der Regel zunehmend zugunsten der FPÖ ausfielen.

Zwar konnten Kerns geniale Selbstinszenierung und seine linken Sprüche von Wertschöpfungsabgabe und Ablehnung von Freihandelslabkommen sowie sein Weg in Richtung Abschottung ausländischer Arbeitskräfte und seine Bitte an die EU um Dispens bei der Flüchtlingsaufnahme, die SPÖ-Umfrage-Werte wieder erhöhen. Aber für eine erfolgreiche Weiterführung einer Koalition des Sozialabbaus hatte sein Koalitionspartner, die bürgerlich-konservative ÖVP, keine in der Wahlbevölkerung ausreichend stabile Basis. Die ÖVP ist eine diffizil strukturierte Partei mit sechs teilweise gegensätzlichen Interessengruppen, sogenannten Bünden, die ihre eigene Opposition gleich mitliefert: die Junge Volkspartei, Wirtschaft, Bauern-, und Seniorenbund, Frauen und ÖAAB (Österreichischer Arbeitnehmerinnen- und Arbeitnehmerbund).

So dümpelte die ÖVP in Umfragen abgeschlagen hinter SPÖ und FPÖ. Neuwahlen wurden immer wieder kolportiert, eine rot-blaue Koalition ins Spiel gebracht. Shootingstar Kurz, 30 Jahre jung, agil, aus der Jungen Volkspartei kommend, und seine Hintermänner (u. a. Schüssel, ehemaliger Kanzler der blau-schwarzen Koalition der 2000er Jahre), sahen nach Macrons erfolgreicher Wahlbewegung auch eine (abgewandelte) Möglichkeit für Österreich.

Zwei Tage nach Macrons erfolgreicher Wahl wurde der Rücktritt Mitterlehners „erzwungen“ und damit der Weg frei gemacht für vorgezogene Neuwahlen. Kurz presste der ÖVP seine alleinige Vollmacht über Programm, Besetzung der Bundesliste, auch mit Nichtparteimitgliedern und Vetorecht bei Landeslisten, ab, um mit der Wahlbewegung „Liste Sebastian Kurz – die neue Volkspartei“ anzutreten. Er wurde einstimmig von den unterschiedlichen Interessengruppen gewählt. Finanzierung und Organisation für die Wahl“schlacht“ scheinen gesichert.

„Wir freuen uns mit Bundesparteiobmann Sebastian Kurz – weil Österreich klare Verhältnisse braucht“, triumphiertet Christoph Leitl, Präsident der WKO: „Mit Sebastian Kurz schlagen wir ein neues Kapitel auf. Helfen wir alle mit, dieses Kapitel zu gestalten und zu einem erfolgreichen für die österreichische Wirtschaft und unserem Standort zu machen. Gemeinsam ist alles möglich“. Wohl auch Blau-Schwarz, Hauptsache sie liefern.

Das ist zu fürchten. Kurz, entschiedener Verfechter gesicherter EU-Außengrenzen und wesentlicher Konstrukteur der Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge, gratulierte Emmanuel Macron zum Wahlsieg: „Linke Politik wurde klar abgewählt. Wichtig,dass #Frankreich nun umfassende Reformen angeht.“ Der Tweet zeigt die Richtung seiner Politik in sozialen Fragen, zu denen er sich bisher bedeckt hielt.

Den Erfolg des Coup zeigt die neueste Umfrage: Kurz erhält den ersten Platz mit 31 Prozent und deklassiert Strache an die dritte Stelle mit 26 Prozent. Kern bleibt bei 28 Prozent. Komfortabel fürs Kapital: Mal sehen, welche Koalition „liefert“.

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"Koalition hat nicht geliefert", UZ vom 26. Mai 2017



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