Vor 50 Jahren starb Pablo Picasso

Kommunist bis zum Schluss

Am 8. April vor 50 Jahren starb der Kommunist und Maler Pablo Picasso. Ein Künstler, an dessen Genie niemand vorbeikommt, weder die Kunsthistoriker noch die bürgerliche Presse. Eine Beschäftigung mit der Kunst des 20. Jahrhunderts (und mit allem Heutigen, auf das sie Einfluss genommen hat) kommt ohne das Werk Picassos nicht aus.

Aber bis heute ist Picasso zu unbequem, um ihn als Künstler einfach hinnehmen zu können, auch und gerade, weil er Haltung zeigte. Also wird auch zu diesem Jahrestag wieder tief in die Mottenkiste gegriffen, wird versucht, den Menschen vom Genie zu trennen, vor allem aber den Künstler vom Kommunisten Picasso.

Angriffspunkt Nummer 1 in diesem Jahr ist die Erzählung von Pablo Picasso, dem alten Macho und Sexisten. Hielt er sich doch einfach nicht an die Moralvorstellungen seiner Zeit und schon gar nicht an die neuen Erkenntnisse von #MeToo, die sexuelle Übergriffe und Ausbeutungen richtigerweise aufdeckten und anprangerten, die aber doch nichts daran änderten, dass es nach wie vor in vielen Bereichen, auch und vor allem in der Kunst, nicht das gleiche Geld für gleiche Arbeit gibt. In der Kunst gibt es zudem auch noch nachweislich nicht die gleichen Chancen, viel zu wenige Frauen können Regie führen in Oper und Film, bekommen Einzelausstellungen oder ganzseitige Feuilleton-Artikel gewidmet. Da macht es also Sinn, Picasso, dem Kubisten, vorzuwerfen, er habe Frauen zerstückelt gemalt und dazu auch noch nackt. Und während in jeder Berliner Hipsterkneipe das Loblied auf die Polyamorie (also die Liebe zu und die Beziehungen mit verschiedenen Partnerinnen und/oder Partnern gleichzeitig) gesungen wird – denn die Monogamen sind ja nur spießige GesellInnen, die eh heimlich fremdgehen –, kann man Picasso an den Kopf werfen, dass er genau das getan hat, als es noch kein schickes Kunstwort dafür gab. Denn glaubt man den Erinnerungen, die die Frauen an Picassos Seite über ihn weitergegeben haben, war er zumindest eins: ehrlich gegenüber allen Beteiligten.

1411 Alonso Gramatges Picasso - Kommunist bis zum Schluss - Diogenes Verlag, Melissa Müller, Monika Czernin, Pablo Picasso, Picassos Friseur - Kultur
Picasso 1961 in Nizza mit der kubanischen Choreografin Alicia Alonso und dem kubanischen Komponisten Harold Gramatges (Foto: PassionatoAssai / Wikimedia Foundation / CC BY-SA 4.0)

Die angeblich aus feministischer Ecke kommende Kritik an dem Menschen Picasso, die ihn an den Moralvorstellungen unterschiedlicher Zeiten misst, je nachdem, was halt gerade passt, macht sich dabei noch nicht einmal die Mühe, korrekt zu recherchieren. So schreibt Sabine Glaubitz für die „Deutsche Presseagentur“ (dpa) einen reichlich hilflosen Artikel, der danach fragt, ob man Picasso „noch so feiern kann wie vor der Zeit von #MeToo“, und lässt sich unter anderem darüber aus, dass zwei von sieben Frauen Picassos Selbstmord begangen hätten: „Die einzige die es schaffte, ihn zu verlassen, war Marie-Thérèse Walter, die 1965 das Buch ‚Leben mit Picasso‘ veröffentlichte. Darin beschrieb sie ihn als einen ‚launischen Mann, der jenen das Leben schwer machte, die es mit ihm teilten‘.“ Walter erhängte sich im Oktober 1977, vier Jahre nach dem Tod Picassos. „Leben mit Picasso“ (deutsche Ausgabe erschienen im Diogenes-Verlag) ist nicht von ihr, sondern von Françoise Gilot. Darin beschreibt sie Picasso, als Künstler, als glühender Liebender des Lebens und der Menschen, als Kommunisten. Und damit wird er auf ewig Dorn im Auge der Bürgerlichen bleiben.

Dass Picasso Kommunist war, ist auch das, was Monika Czernin und Melissa Müller an ihm stört. Sie sind, so schreiben sie im Vorwort ihrer im Diogenes-Verlag zum 50. Todestag erschienen Neuauflage von „Picassos Friseur“, extra noch einmal der Frage nachgegangen, wie das denn eigentlich sein kann, dass so einer Kommunist ist. „Inwieweit hat sich der große Individualist und öffentliche Gegner von Gewalt und Krieg durch sein Bekenntnis zur KP in den Dienst einer menschenfeindlichen Ideologie gestellt? Was hat ihn dazu bewogen?“

Das „Bekenntnis“ ist Pablo Picassos Eintritt in die Französische Kommunistische Partei im Oktober 1944. Er sollte sie nie wieder verlassen. Es rührt die, die seine Überzeugung teilen, im Picasso-Museum in Paris sein Parteibuch zu sehen, ordentlich geklebt bis zum Monat seines Todes. Andere überkommt wahrscheinlich Ärger. Da ist jedes Mittel recht, seine Weltanschauung schlecht zu machen, auch wenn sie seine Kunst mit in den symbolischen Abgrund reißt.

So auch bei Czernin und Müller. Eigentlich schrieben die beiden Frauen ein Buch über „Die Geschichte einer Freundschaft“, wie der Untertitel heißt, die zwischen Picasso und seinem titelgebenden Friseur Eugenio Arias. Beide sind Spanier im Exil im Süden Frankreichs, beide sind Fans von Stierkämpfen, beide vermissen die Heimat, in die sie nicht zurück können und wollen, und vor allem sind beide Kommunisten. In der Neuauflage (Original 2001 bei Kiepenheuer und Witsch erschienen) treibt die Autorinnen nun genau das „Warum?“ über den letzten Punkt um. Die durchaus ansprechenden Beschreibungen dieser Freundschaft gehen im antikommunistischen Geschnaube leider unter. Die beiden fuhren gemeinsam zum Stierkampf, oft auf den letzten Drücker, „dann wurde also Gas gegeben, Spanisch gesprochen, Spanisch gelacht, über Franco geflucht, von der Heimat geschwärmt, über die Schwäche der französischen Kampfbullen gelästert“. Diese Stellen, die den Eindruck vermitteln, man bekomme beim Lesen ein Gefühl für eine besondere Freundschaft, sind selten in dem Buch. Gerade lächelt man noch ein bisschen darüber, wie sich der Spanier Picasso über den Möchtegern-Stierkampfexperten Hemingway lustig macht, schon ist es vorbei mit der Freude an dem Buch. Mit dem Auftritt von Dolores ­Ibárruri („eine stalinergebene Genossin“) wird klar, welche Entschuldigung sich die Autorinnen dafür ausgedacht haben, dass Picasso Kommunist war: Er war vielleicht an der Leinwand, dem Bleistift und mit Ton ein Genie, aber ansonsten ein bisschen naiv, wenn nicht sogar dumm. Als erstes „Beispiel“ für diese Dummheit muss das Hôspital de Varsovie herhalten, ein Krankenhaus für im Spanischen Krieg verwundete Republikaner. Picasso unterstützte es finanziell bis zur Schließung in den 1950er Jahren. Die französische Regierung begründete die Schließung damit, es als „kommunistische Frontorganisation“ enttarnt zu haben. „Wie genau Picasso hinter die Kulissen geblickt hat, ist bis heute fraglich“, orakeln Czernin und Müller. Und das ist nur der Anfang.

Sie unterstellen dem Kommunisten Picasso, der bereits bei seiner Ankunft in Paris um die Jahrhundertwende von der französischen Fremdenpolizei des Anarchismus verdächtigt wurde und der sich seit 1936 aktiv gegen den Faschismus engagierte, und dem Friseur Arias, der auf Seiten der Republik im Spanischen Krieg gekämpft hatte, Gedankenlosigkeit beim Eintritt in die Kommunistische Partei: „Dass sowohl Picasso als auch Arias sich scheinbar ohne hinter die Kulissen zu schauen zum Kommunismus bekannten, hatte, wie sich zeigen wird, vielerlei Gründe.“ Die bleiben sie dann zwar schuldig, aber der Eindruck bleibt. Verstärkt wird er dann mit der Unterstellung, Picasso sei einen „mephistophelischen Pakt“ eingegangen, da er Stalin für das geringere Übel als Hitler gehalten habe. Leider muss man, damit eine solche Darstellung funktioniert, das Porträt vergessen, das Picasso im März 1953 aus Anlass seines Todes malte: Stalin als junger Revolutionär, das war neun Jahre, nachdem das „größere Übel“ den feigen Freitod gewählt hatte, statt sich für seine Verbrechen zu verantworten.

An Picassos wohl berühmtestem Werk, „Guernica“, kommen auch Czer­nin und Müller nicht vorbei. Hier wird es – wie bei allem im Zusammenhang mit dem Spanischen Krieg – absonderlich. Abgesehen davon, dass sie diesen Krieg permanent einen „Bürgerkrieg“ nennen, auch wenn sie von deutschen Bomben schreiben, kennen sie keine Internationalen Brigaden, nur finstere Pläne, die Stalins Sowjetunion hatte (und die nicht näher erläutert werden). Den Auftrag zur Weltausstellung habe Picasso nur widerwillig angenommen, meinen die Autorinnen und betonen, er habe zwar eingewilligt, sich in den Dienst der einen Kriegspartei zu stellen (wobei sie die „eine“ betonen, als hätte es sich um zwei gleichberechtigte, gleich gute und gleich böse Seiten gehandelt), aber er habe keine Propaganda machen wollen. „Er sollte ein Massenpublikum mit den Bürgerkriegsschrecken konfrontieren, wusste aber, dass dieses Publikum weder seine kubistischen Arbeiten noch die verrenkten Körper und verzerrten Gesichter seiner nachkubistischen Phase verstand oder gar schätzte“, schrieben die Autorinnen, nur um zwei Seiten später festzustellen, dass die Nazis das Bild zwar öffentlich herabwürdigten, es aber doch verstanden als „Provokation in Form und Inhalt – ein Zeichen, dass es wirkte“. Picasso hatte also weniger Vertrauen in seine Kunst als Nazi-Deutschland Angst vor seiner propagandistischen Wirkung?

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Delegation spanischer Republikaner bei der UNO am 10. Dezember 1946, darunter Picasso (Foto: Nationaal Archief)

Den Rest der Argumentation ersparen wir uns besser, es gibt noch eine Nacherzählung der angeblichen Feigheit Picassos, der erst nach der Befreiung von Paris Mitglied der KP wurde und sich nicht vorher der Résistance angeschlossen hatte, und anderer Mythen, die den politischen vom künstlerischen Picasso trennen sollen. Auch hier aber noch eine Bemerkung zur Sorgfalt: Natürlich kommen auch Monika Czernin und Melissa Müller nicht ohne Hinweise auf den Sexisten Picasso aus. „Die turbulente Trennung von Olga, die Geburt seiner Tochter Maya aus der leidenschaftlichen Liebesbeziehung zu der sinnlichen und minderjährigen Marie-Thérèse Walter – das alles überforderte ihn.“ Hier hätte zumindest das Lektorat von Diogenes eingreifen müssen. Walter und Picasso lernten sich im Januar 1927 kennen, da war sie 17 und stand ihm zuerst Modell, über den Beginn ihrer Liebesbeziehung gehen die Angaben auseinander, nach Walter selbst war sie da 21. Wie dem auch sei, die gemeinsame Tochter Maya Picasso wurde am 5. Oktober 1935 geboren. Da war Marie-Thérèse Walter 26 Jahre alt.

So bleibt unter dem Strich – Nichtverstehen. Nichtverstehen einer tiefen Freundschaft, weil ihre grundsätzliche Voraussetzung unangenehm ist. Nichtverstehen des Kommunisten Picassos und dadurch des Künstlers.

Auch fünfzig Jahre nach seinem Tod bleiben Picasso und seine Kunst faszinierend für die meisten, unverständlich in seinen Arbeiten, seiner Symbolik und seinen Aussagen für einige. Die, denen es nicht so geht, nennen ihn bis heute Genosse.


Monika Czernin, Melissa Müller
Picassos Friseur
Die Geschichte einer Freundschaft

Diogenes Verlag, 25 Euro


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Über die Autorin

Melina Deymann, geboren 1979, studierte Theaterwissenschaft und Anglistik und machte im Anschluss eine Ausbildung als Buchhändlerin. Dem Traumberuf machte der Aufstieg eines Online-Monopolisten ein jähes Ende. Der UZ kam es zugute.

Melina Deymann ist seit 2017 bei der Zeitung der DKP tätig, zuerst als Volontärin, heute als Redakteurin für internationale Politik und als Chefin vom Dienst. Ihre Liebe zum Schreiben entdeckte sie bei der Arbeit für die „Position“, dem Magazin der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend.

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"Kommunist bis zum Schluss", UZ vom 7. April 2023



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