Einige Anmerkungen zur UZ und wohin sie sich entwickeln soll

Konkrete Wahrheit und konkrete Lügen

Von Lucas Zeise

Lucas Zeise

Lucas Zeise

Etwas Grundsätzliches vorweg: Unsere Zeitung, die UZ, ist ein Ins­trument der ganzen Partei mit dem Ziel, den Imperialismus, das gegenwärtige Herrschaftssystem zu begreifen und die Strategie der Partei zu entwickeln.

In diesem Sinne ist die Parteizeitung auch der, nein, ein kollektiver Organisator der Partei.

Ein Blick auf die Entwicklung der Zeitungen des Bürgertums: Sie dienten der Selbstverständigung dieser Klasse und waren wesentliches Element der Nationenbildung. Im Vordergrund standen Informationen über den eigenen nationalen Markt, seine Politik und seine Kultur. Selbstverständigung hieß in den Zeiten, als die Bourgeoisie noch nicht die herrschende Klasse war, auch die Verständigung im Klassenkampf. Das bedeutete auch das Sammeln und Verbreiten von Informationen über andere kapitalistische, konkurrierende Nationen. Schon sehr früh spielte die Beeinflussung der beherrschten Klassen (und Schichten) eine Rolle.

Im Zeitalter des Imperialismus steht dieser Aspekt ganz weit im Vordergrund. Die Medien werden zu Propagandainstrumenten des Monopolkapitals – auch gegenüber der nichtmonopolistischen Bourgeoisie. In diesem Umfeld muss sich die Zeitung unserer Partei behaupten.

Dabei ist klar, dass die Übermacht der Propagandamaschine des Klassengegners in ihrer vermeintlichen kulturellen Vielfalt überwältigend ist. Es kann uns nie gelingen so laut zu brüllen wie sie. Wir können nie so variantenreich die Wahrheit sagen, wie sie lügen, verschweigen und an der Wahrheit drehen. Es scheint ein aussichtsloser Kampf zu sein. Dennoch ist der Spruch der „jungen Welt“ genial und auch für uns gültig: „Sie lügen wie gedruckt, wir drucken, wie sie lügen.“

An dieser Stelle ein vorläufiges Zwischenergebnis: Die UZ ist die Zeitung, die die Wahrheit schreibt. Eine – ich behaupte, die größte – der Schwierigkeiten beim Schreiben der Wahrheit ist es, sie zu erkennen. Mit Bert Brecht gesagt: erforderlich ist „die Klugheit, sie zu erkennen, obwohl sie allenthalben verhüllt wird“.

Wir sollten das mit der Wahrheit also genauer formulieren: Der Zweck der UZ ist zu helfen, den Imperialismus zu begreifen. Das kann nun aber nicht heißen, dass, wer den Imperialismus begreifen will, einfach unsere Zeitung aufschlägt, und dort steht dann Schwarz auf Weiß und in der Art eines Katechismus, was das ist und wie es funktioniert. Vielmehr ist die UZ ein wichtiges Ins­trument, mit dessen Hilfe die Partei (und die Arbeiterklasse) lernen könnten oder lernen sollten, den Imperialismus zu begreifen. Das wiederum bedeutet: In der UZ wird nicht in erster Linie verkündet, was wir (oder einige von uns) schon wissen, sondern in der UZ steht hauptsächlich, was wir noch erkunden müssen und was wir vermuten. Noch etwas genauer: In der UZ versuchen wir, ein Urteil über den aktuellen und historischen Stand des Klassenkampfes zu treffen.

Zur Illustration zwei Beispiele: Es ist sehr schwierig, die drohende Kriegsgefahr genau einzuschätzen, es ist sehr schwer, die Lage im Nahen Osten richtig zu beurteilen – dabei vor allem die Frage, was die Strategie des größten und wichtigsten Gegners, des US-Imperialismus, ist, und natürlich, was die des für uns besonders wichtigen Gegners, des deutschen Imperialismus, ist. Ein anderes Beispiel: Sehr schwer ist es, die Strategie der deutschen Konzerne seit 2008/2009 richtig zu beurteilen, die – vorläufig gesagt – darauf hinausläuft, die Arbeiterklasse zu schwächen, zu spalten und ein „Bündnis für den Industriestandort Deutschland“ zu schließen.

Die UZ sucht ...

Die UZ sucht …

( Gabriele Senft)

Die Wahrheit ist allerdings konkret. Auch die Lügen der imperialistischen Propagandainstrumente sind konkrete Lügen. Auch sie handeln vorwiegend von einzelnen Ereignissen und einzelnen Personen. Das Gute an einer Zeitung – im Gegensatz zu dicken Büchern – ist, dass sie den Imperialismus nicht am ganzen Stück präsentiert, sondern in Einzelereignissen oder besonderen Zusammenhängen. Aber auch in den Einzelteilen ist es natürlich die Hauptschwierigkeit, die Wahrheit zu erkennen. Zu sehen, zu hören und zu erkennen, wer wann was warum gemacht hat, das ist die Aufgabe des Zeitungsschreibers. Dann gilt es, dieses Ereignis einzuordnen im Interessengeflecht der Beteiligten und der Opfer eines solchen Ereignisses. Beides zusammen ist die hohe Kunst des kommunistischen Journalismus. Und es bedeutet auch, dass die Kunst nicht allein darin besteht, ein Ereignis als einen typischen Fall – zum Beispiel von Ausbeutung – einzuordnen, sondern sie besteht darin, neben dem Typischen (der Ausbeutung) auch das Besondere – etwa einen besonders krassen Fall der Leiharbeit – darzustellen.

An dieser Stelle sind eigentlich nicht nur Sätze, sondern ein ganzes Kapitel fällig, das sich der Frage widmet, wie die Wahrheit so darzustellen ist, dass sie verstanden werden kann. Jeder Schreibende und jeder Redakteur, der Artikel verfasst, zusammenstellt und aufbereitet, muss dieser Frage viel Gehirnschmalz widmen. Hier soll ein Hinweis genügen. Die wichtigste Bedingung dafür, über ein Ereignis verständlich berichten zu können, besteht darin, das Ereignis verstanden zu haben.

Die Partei ist eine handelnde Partei. Und gerade unter diesem Gesichtspunkt gilt: Die UZ ist ein inneres und äußeres Wahrnehmungsorgan der Partei. In der UZ steht nicht nur, wie die Welt (der Imperialismus) ist und sich verändert. In der UZ steht auch, was die Glieder der Partei tun, was sie beabsichtigen und wie weit ihr Handeln Wirkung zeigt. Wie wir Materialisten wissen, entsteht Erkenntnis aus dem eigenen Handeln und dem Widerstand, den die Welt dem eigenen Handeln entgegensetzt.

In diesem Sinne führt das bewusste Handeln der Partei zur Entwicklung einer Strategie. Das heißt, die Strategie ist nicht als von den Ahnen als Tradition überlieferte fertig vorhanden. Sie muss vielmehr aus den Überlieferungen (den wissenschaftlichen Erkenntnissen) der Alten, und aus unseren eigenen Erfahrungen entwickelt werden.

Einschub über das Fehlen einer Strategie: Wir verfügen über wichtige Elemente einer Strategie. Zu nennen ist das gesellschaftliche Ziel des Sozialismus. Dieses Ziel ist zu erreichen, indem wir die Arbeiterklasse im Bündnis mit anderen gesellschaftlichen Gruppen gegen das Monopolkapital in Stellung bringen. Im Ringen um und für antimonopolistische Demokratie soll die Revolution der Verhältnisse und die Öffnung zum Sozialismus erreicht werden.

Aber es fehlt die Beschreibung oder Analyse der Ausgangslage, die Bestimmung unseres aktuellen historischen Ortes. Wichtige Elemente wären eine Einschätzung der „Goldenen Periode“ des Kapitalismus (1945 bis 1975) und der großen (vorläufigen) Niederlage der internationalen Arbeiterklasse in der Konterrevolution von 1989–1991 und dem Untergang des Sozialismus in Europa, sowie den vielen Niederlagen der Arbeiterklasse im Klassenkampf innerhalb der imperialistischen Länder.

... und findet Leserinnen und Leser

… und findet Leserinnen und Leser

( Tom Brenner)

Es fehlt demzufolge auch eine Handlungsanleitung, wie wir von der Periode der Niederlagen in einen Zustand kommen, um den Kampf um Reformen, die in Richtung Revolution weisen, überhaupt führen zu können.

Krasser formuliert: Die sich zuspitzende Krise des Imperialismus droht in die Katastrophe des großen Krieges und in die Zerstörung des bewohnbaren Planeten zu führen. Was außer der Antwort „Sich wehren“ haben wir strategisch drauf?

Ich wiederhole: Die UZ ist bei der Entwicklung der Strategie das wichtigste Wahrnehmungsorgan. Sie ist nicht das Verkündungsorgan, und sie entwickelt nicht die Strategie. Das macht vielmehr die ganze handelnde Partei.

Wahrnehmungsorgan ist nicht gleichbedeutend mit „theoretisches Organ“ der Partei. Vielleicht brauchen wir eins? (Die „Marxistischen Blätter“ sind es erklärtermaßen nicht.) In der UZ gibt es auch Debatten über die richtige Strategie. Aber die Wahrnehmung steht bei der Zeitung im Vordergrund – also die ganz gemeine, aus Erfahrung gespeiste Information.

Um ein effizientes Wahrnehmungsorgan sein zu können, braucht die UZ viele Nervenenden. Sie kann nur dann in diesem Sinn Zeitung der Partei sein oder werden, wenn die Genossinnen und Genossen (und auch Nicht-Genossen) in hellen Scharen zu Autoren (und Fotografen) werden.

Mit dem Schreiben ist es ähnlich wie mit dem Singen. Alle können es – ganz unterschiedlich gut. Beide Fertigkeiten werden früh erlernt. Das Singen früher als das Schreiben. Aber beides wird auch ganz oft verlernt. Beides können viele viel besser, als sie es selber wissen. Kurz, man muss es probieren.

Die UZ funktioniert weitgehend schon so. Wir haben viele Arbeiterkorrespondenten unter den Genossinnen und Genossen und den Leserinnen und Lesern. Aber es ist bei weitem nicht genug. Wir brauchen regelmäßige Autoren und wir brauchen auch die gelegentlichen Schreiber.

Das A und O an der Sache ist, dass die Kommunikation funktioniert. Es ist eine Frage der Kommunikation und der Organisation. Und wir als Redaktion sind uns dieser Mängel bewusst. Eigentlich müsste jeder, der etwas zu sagen hat, ganz schnell den Kontakt zum zuständigen Redakteur haben. Und er sollte schnell erfahren, bis wann er einen Beitrag in welcher Länge und mit welchen Schwerpunkten liefern kann. Auch sollte jeder schnell erfahren, wenn wir seinen Beitrag, aus welchen Gründen auch immer, nicht in die Zeitung nehmen wollen.

Ich weiß, dass wir von diesem Zustand noch weit entfernt sind. Wir haben als Entschuldigung dafür anzuführen, dass die Redaktion klein ist. Dazu sind wir fast alle nur in der ersten Wochenhälfte in Essen in der Redaktion. Wir haben deshalb als ersten Schritt anlässlich der Umorganisation in den Themenbereichen, die wir betreuen, diese Verantwortlichkeiten im Impressum der Zeitung genannt und dazu die E-Mail-Adressen der Redakteure. Die Umorganisation war nötig, weil Nina Hager mit ihrem Ausscheiden als Chefredakteurin ins heimatliche Berlin gezogen ist.

Zur Erinnerung, die Arbeitsverteilung sieht wie folgt aus:

Politik Inland: Olaf Matthes und (in Berlin) Nina Hager

Wirtschaft und Soziales: Werner Sarbok und Lucas Zeise

Internationales: Lars Mörking

Kultur: Manfred Idler

Fotos: Thomas Brenner

Abschließende Bemerkung: Wenn die UZ im oben beschriebenen Sinne Wahrnehmungsorgan der ganzen Partei ist oder wird, werden die Leser das in der Zeitung finden, was sie suchen: die Wahrheit über den aktuellen Imperialismus und die aktuellen Klassenkämpfe. Die Leser, die wir haben wollen, werden dann zu uns finden. Ich bin davon überzeugt, dass es deutlich mehr als heute sein werden.

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Über den Autor

Lucas Zeise (Jahrgang 1944) ist Finanzjournalist und ehemaliger Chefredakteur der UZ. Er arbeitete unter anderem für das japanische Wirtschaftsministerium, die Frankfurter „Börsen-Zeitung“ und die „Financial Times Deutschland“. Da er nicht offen als Kommunist auftreten konnte, schrieb er für die UZ und die Marxistischen Blättern lange unter den Pseudonymen Margit Antesberger und Manfred Szameitat.

2008 veröffentlichte er mit „Ende der Party“ eine kompakte Beschreibung der fortwährenden Krise. Sein aktuelles Buch „Finanzkapital“ ist in der Reihe Basiswissen 2019 bei PapyRossa erschienen.

Zeise veröffentlicht in der UZ monatlich eine Kolumne mit dem Schwerpunkt Wirtschaftspolitik.

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"Konkrete Wahrheit und konkrete Lügen", UZ vom 23. September 2016



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