Ein Beitrag des Branchentreffens Gesundheit der DKP zur Personalbemessung in der Pflege

Konzernprofite sind schlecht für die Gesundheit

Jedes Jahr findet unter Vorsitz eines anderen Bundeslandes eine Fachkonferenz der Gesundheitsminister statt. Trotz massiver Proteste in den letzten Jahren sind die Verantwortlichen in den Ländern nicht bereit, wirksame Lösungen zur Bekämpfung des Pflegenotstands auf den Weg zu bringen.

Im Januar 2020 hatten sich nach langer Vorarbeit die Krankenhausgesellschaft, der Deutsche Pflegerat und ver.di auf ein neues Pflegepersonalbemessungsinstrument, die sogenannte Pflegepersonalregelung (PPR) 2.0, geeinigt. Ungewöhnlich ist, dass der Berufsverband, die Gewerkschaft und der Unternehmerverband der Krankenhausbetreiber an einem Strang ziehen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass momentan für die Finanzierung der Pflege eine Selbstkostendeckung vorgesehen ist und die Klinikbetreiber somit keine Einbußen zu fürchten hatten.

Der Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) blockierte diese Lösung und schaffte es, die PPR 2.0 vorerst zu verhindern.

Der Pflegenotstand resultiert nicht daraus, dass es zu wenige Fachkräfte gibt, sondern daraus, dass die Kolleginnen und Kollegen regelrecht aus ihrem Beruf hinausgetrieben werden. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten arbeiten in Teilzeit, weil die Belastung durch eine volle Stelle nicht auszuhalten ist; viele wandern in andere Berufe ab. 600.000 examinierte Pflegekräfte arbeiten nicht mehr in ihrem erlernten Beruf. In der Corona-Krise steigerte sich die Belastung nochmals drastisch, sowohl auf den Covid-Stationen selbst als auch in den anderen Bereichen, da dort massiv Personal abgezogen wurde. Von den Intensivpflegekräften und den Auszubildenden haben viele angekündigt, nach der Pandemie den Beruf aufzugeben. Die Geschäftsführungen der großen Kliniken werben zur Kompensation Fachkräfte aus Vietnam, den Philippinen und anderen Ländern ab. Der Bundesgesundheitsminister tourte persönlich durch Mexiko und Kosovo, um Personal anzulocken.

Erforderlich wären bessere Arbeitsbedingungen und eine verbindliche Personalbemessung, deren Grundlage der Bedarf und die Bedürfnisse der Patientinnen und Patienten sind. Die Praxis beweist das: Überall, wo – wie in Australien oder im US-Bundesstaat Kalifornien – eine verbindliche Personalbemessung eingeführt wurde, kehrten Zehntausende in ihren Beruf zurück.

Stattdessen wird mehr und mehr Geld in die Personalakquise gesteckt. Der Sana-Konzern investiert in flotte Sprüche, teure Großplakate und Werbebanner. Kolleginnen wurden zu Teilzeit-Models für den Pflegeberuf. Abwerbeprämien werden gezahlt. Wer seine Bekannten zum Vorstellungsgespräch schleift, dem winkt eine Belohnung. Genutzt hat all das nicht viel. Viele, die eine Stelle antreten, sind schon bald wieder weg – nicht ohne gute Gründe. Der Haustarifvertrag ist schlechter als der TVöD. Die Dienstpläne sind geschönt. Bei Personalengpässen heißt es bei der Pflegedirektion, die Stellen seien besetzt, daher gebe es keinen Ersatz für dauerkranke oder versetzte Kolleginnen und Kollegen. Dabei zählen beim Sana-Konzern nur Köpfe, Azubis und Praktikanten werden gerne mitgezählt. Richtiger wäre es, nur die besetzten Vollzeit-Fachkraftstellen zu zählen. Es sind auch schon Kolleginnen und Kollegen aus anderen Berufsgruppen und Abteilungen auf Dienstplänen einer Station aufgetaucht. Wenigstens im Nachtdienst sind die Pflegekräfte zu zweit, im Frühdienst leider manchmal auch. Die Lücken werden notdürftig gefüllt durch Einsatz von Leasingkräften und vor allem aus dem hauseigenen Springerpool. Die Unzufriedenheit wächst in allen Bereichen. Die anderen Klinikkonzerne wie Helios oder Asklepios wenden ähnliche Mechanismen an. Gesetzliche Regelungen sind Teil des Problems.

Die bisherigen gesetzlichen Regelungen sind Teil des Problems. Seit Anfang 2019 gelten die Pflegepersonaluntergrenzen. Maßstab dafür ist die Minimalbesetzung auf dem Niveau der 25 Prozent am schlechtesten besetzten deutschen Krankenhäuser. Diese Mindestgrenzen galten anfangs nur für Teilbereiche der Kliniken, wurden aber inzwischen auf den Großteil der Stationen ausgeweitet. In der Praxis wurden die Untergrenzen, die Situationen von gefährlicher Pflege verhindern sollten, mittlerweile zur Normalbesetzung. Besser besetzte Kliniken bauten Personal ab. Wo nicht genügend Personal vorhanden war, führten die Untergrenzen zu Beginn zu frisierten Dienstplänen. Jetzt werden die Dienste mit Leihkräften aufgefüllt. Wo das nicht ausreicht, wird weiterhin frisiert. Die Arbeitsverdichtung nimmt weiter zu, ohne dass die Untergrenzen daran etwas ändern.

Die Untergrenzen sind das Gegenteil einer Personalbemessung, wie sie die Beschäftigten fordern. Sie wurden allein auf Basis des schlechten Istzustands und der für die Pflege ausgegebenen Kosten ermittelt. Sie zementieren den Pflegenotstand. Ein Pflegebedarf, der auf die konkrete Situation der Patientinnen und Patienten ausgerichtet ist, drückt sich in Zeit aus, nicht in Geld.

Von Seiten der Politik wird oft so getan, als müsse ein Instrument zur Personalbemessung erst noch entwickelt werden. Dabei liegen valide und einfach zu handhabende Instrumente bereits vor. Die PPR 2.0 hat eine lange Vorgeschichte. Ende der Achtzigerjahre herrschte in der alten BRD und in Westberlin Pflegenotstand. Durch erstmalige Massenproteste von Beschäftigten aus den Kliniken konnte erfolgreich Druck ausgeübt werden. 1994 wurde die erste Pflegepersonalregelung (PPR) eingeführt. Bestandteil der PPR war es, täglich den Pflegebedarf pro Patient zu erheben. Dieser Pflegebedarf wurde differenziert nach Grundpflege und Behandlungspflege. Die Auswertung ergab eine unzureichende Pflegepersonalausstattung. Aufgrund der Regelungen wurden von 1994 bis 1996 im Pflegebereich 16.000 neue Stellen geschaffen. Genau deshalb wurde die PPR 1997 wieder abgeschafft. Es fand eine ökonomische Neuorientierung der Krankenhäuser statt. Die Kliniken sollten für privates Kapital attraktiv gemacht werden und Gewinne erwirtschaften. So kam es seit Ende der Neunzigerjahre zum Personalabbau. Mit Einführung der Diagnosebezogenen Fallpauschalen (DRGs) 2003 erlebte die Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung einen qualitativen Sprung. Innerhalb von fünf Jahren wurden 33.000 Stellen vernichtet. Finanziert wurde nicht mehr über Budgets oder Tagessätze, sondern jeder Fall einzeln – mit einem über eine medizinische Codierung ermittelten Preis, der Fallpauschale. Mit dieser In-Preis-Setzung wurde ein Anreizsystem geschaffen, mit dem ein Wettbewerb in Gang gesetzt wurde um die profitabelsten Fälle und Fachgebiete. So können die Klinikbetreiber viel verdienen an Operationen, Herzkatheteruntersuchungen und endoskopischen Untersuchungen und Behandlungen. Unprofitabel sind dagegen arbeitsintensive Bereiche wie die Kinderkliniken oder Diabetologie. Komplikationen werden zum positiven Anreiz, denn mit ihnen lässt sich mehr verdienen. In großem Ausmaß hat das seit 2003 zu Unter- und Fehlversorgung geführt. Zu Tausenden wurden Kaiserschnitte, Hüftoperationen und Herzkatheteruntersuchungen durchgeführt, für die es keine medizinische Indikation gab.

Da die festen Kosten der Kliniken in den DRGs überhaupt nicht abgebildet werden, wuchs der Druck auf die Personalkosten. Die Folge war ein beschleunigter Personalabbau. Auszubildende wurden jahrelang nicht mehr übernommen. Neueinstellungen fanden zeitweise kaum statt – bei gleichzeitig steigenden Fallzahlen und verkürzter Verweildauer. Für das verbliebene Personal bedeutete das kaum Zeit am Patienten, Arbeitsverdichtung und nicht selten Burn-out. Für Patientinnen und Patienten heißt das gefährliche Pflege, Prophylaxen werden nicht durchgeführt und Komplikationen zu spät erkannt.

Auch wenn in den letzten Jahren die Zahl der Ausbildungsplätze wieder erhöht wurde und Neueinstellungen verstärkt stattfinden, fehlt es weiterhin massiv an Pflegepersonal. Nach konservativen Schätzungen fehlen allein im Pflegebereich bundesweit 143.000 Stellen.
2019 wurden mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz die Pflegekosten formal aus dem System der Fallpauschalen herausgenommen und durch das Pflegebudget ersetzt. Dieses Pflegebudget wird für jedes Krankenhaus individuell zwischen ihm und der Krankenkasse ausgehandelt und entspricht dem Selbstkostendeckungsprinzip. Dies war ein erster wichtiger Schritt für die Beendigung des Pflegenotstands, denn nur mit einer wirklichen Ausfinanzierung kann PPR 2.0 erfolgreich umgesetzt werden. Doch dieser kleine Fortschritt soll nun mit dem neuen Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz wieder zurückgedreht werden. Im Gesetz werden alle Weichen dafür gestellt, das Pflegebudget durch eine Pflegefallpauschale zu ersetzen, also durch Pflege-DRGs. Außerdem beauftragte Gesundheitsminister Spahn die sogenannte Selbstverwaltung, also Krankenhausbetreiber und Krankenkassen, bis zum Jahr 2025 ein Instrument zur Personalbemessung zu entwickeln.

So lange können die Beschäftigten nicht mehr warten. Dass von den Vorschlägen aus Konzernen und Politik nicht viel zu erwarten ist, zeigt die Erfahrung. Die Beschäftigten müssen selbst aktiv werden, mobilisieren für die Verwirklichung von PPR 2.0, für mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen. Die Belegschaften und ver.di als ihre Gewerkschaft kommen nicht umhin, weiter für Entlastungstarifverträge zu kämpfen. Nur durch Druck von unten kann eine bedarfsgerechte Pflegepersonalplanung und -ausstattung durchgesetzt werden. Und es ist im Interesse der gesamten Arbeiterklasse, sie dabei nach Kräften zu unterstützen! Für gute Arbeitsbedingungen und eine gute Gesundheitsversorgung für alle!

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"Konzernprofite sind schlecht für die Gesundheit", UZ vom 11. Juni 2021



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