Türkische Rechte können ungehindert regelrechte Hetzjagden veranstalten

Kurdinnen und Kurden, andere Minderheiten, Linke im Visier

Von Birgit Gärtner

Was jetzt wieder verstärkt passiert ist keine neue Erscheinung, sondern begann in den 1980ern, steigerte sich in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre, hatte im Herbst 2007 seinen Höhepunkt, um dann zeitweilig etwas abzuflauen. In den vergangenen Monaten hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan als Reaktion auf seine Abwahl den Krieg nach Kurdistan zurückgebracht. Mit ihm die Pogromstimmung, die bis nach Europa ausstrahlt.

Experten wie die Autoren Fikret Aslan und Kemal Bozay („Graue Wölfe heulen wieder“) nennen für die Anfälligkeit von Türken für rechtes und rassistisches Gedankengut im Wesentlichen vier Gründe: 1. „das Nicht-Ankommen-Können“ in der deutschen Mehrheitsgesellschaft hat eine starke Bindung an die „Heimat“ zur Folge. 2. Diese wird mittels Medien von Politikern und Militärs in der Türkei zur Verankerung von Nationalismus und Chauvinismus auch in den Köpfen des „Europäischen Türkentums“ genutzt. 3. Das führt zu dem besagten Zulauf bei nationalistischen und faschistischen türkischen Organisationen. 4. die deutsche Justiz und die zuständigen Behörden pflegen einen ähnlichen Umgang mit türkischen faschistischen Gruppierungen und deren Aktivisten wie mit deutschen: Einfach wegsehen.

Am 17. April 1995 fand etwas bislang in der TV-Geschichte Einmaliges statt: der staatliche türkische Fernseh-Sender TRT-INT brachte eine 56stündige Sondersendung mit dem Titel „Los Türkei! Hand in Hand mit den tapferen Soldaten! Unterstützen wir voller Freude unsere tapferen Soldaten, die sich mit Freude für das Vaterland opfern!“. Bei diesem mehr als zweitägigen medialen Spendenmarathon rührten Militärs und Politiker unterstützt von Prominenten die Werbetrommel. Die Sendung wurde von Studios aus Ankara, Istanbul, Izmir und Adana live ausgestrahlt, und war via Satelliten-TV überall auf der Welt zu verfolgen.

Zu dem Zeitpunkt war der Krieg in Kurdistan auf seinem – aus heutiger Sicht vorläufigen – Höhepunkt. Hand in Hand mit der Kriegsverherrlichung ging rassistische Propaganda, die in einer regelrechten Pogromstimmung gegen Personen kurdischer, alevitischer oder armenischer Herkunft, Organisationen, Vereine und Geschäftsleute, ihre Entsprechung fand. Nicht nur in der Türkei, bzw. den kurdischen Gebieten auf türkischem Territorium, sondern auch im Ausland.

Derzeit können wir beobachten, wie sich diese Geschichte wiederholt.

In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre kam es in bundesdeutschen Städten zu Versammlungen von faschistischen türkischen Organisationen mit Tausenden von Teilnehmern, an denen der Gründer der paramilitärischen Organisation „Graue Wölfe“, Alparslan Türkes, unbehelligt teilnehmen konnte. Dazu wurden städtische Hallen zur Verfügung gestellt, und die damalige türkische Staatschefin Tansu Çiller überbrachte Grüße per Telefon. 1995 wurde in dieser aufgeheizten Stimmung in Neumünster ein Kurde von türkischen Faschisten erschossen, weitere verletzt. Zwei Jahre später in Kiel ein Alevit, 1999 ein türkischer Linker in Köln. Es kam zu unzähligen Übergriffen, die sich im Herbst 2007 nach dem Einmarsch der türkischen Armee im Nordirak noch steigerten.

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Erst vor kurzem kam es erneut an mehreren Orten in der BRD, Österreich und der Schweiz zu massiven tätlichen Angriffen auf pro-kurdische Demonstrationen seitens türkischer Nationalisten, bzw. auf türkischen nationalistischen Demonstrationen wurde eine solche Hetze geschürt, dass Teilnehmer sich berufen fühlten, handgreiflich zu werden. In Hannover und Bern haben zwei Kurden solche Angriffe nur knapp überlebt. Eine türkisch-nationalistische Demo in Hamburg geriet soweit aus dem Ruder, dass selbst den Veranstaltern, eine den Grauen Wölfe nahestehende Jugendorganisation, mulmig wurde, wie die innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Partei „Die Linke“ in der Hamburgischen Bürgerschaft, Christiane Schneider, berichtete. Die Linkspartei-Politikerin war als Beobachterin vor Ort. Glücklicherweise hatte die kurdische Gemeinde die weise Entscheidung getroffen, keine Angriffsfläche zu bieten, und auf Protestaktionen gegen die türkisch-nationalistische Demo verzichtet.

Diese Pogromstimmung wird durch Medien noch angeheizt, deren Macht türkische Militärs und Politiker schon lange erkannt haben. Zwei Jahre vor der Ausstrahlung des 56-stündigen Spendenmarathons berief der ehemalige Generalstabschef der türkischen Armee und Vorsitzende des Nationalen Sicherheitsrates (MGK), Dogan Güres eine Konferenz mit Verlegern und Chefredakteuren ein, auf der er die Presse aufforderte, „im Kampf gegen die PKK und den Terrorismus an einem Strang mit dem Militär zu ziehen“.

Als Folge davon wurden 17 Journalisten von so genannten „unbekannten Tätern“ ermordet, 200 Journalistinnen und Journalisten befanden sich vor der neuen Offensive von Erdogan in Haft. In der vergangenen Woche wurden allein im kurdischen Diyabakir 32 Beschäftigte von kurdischen Medien festgenommen.

Das alles fand und findet Tausende Kilometer weit entfernt statt. Aber in einer digitalisierten Welt ist diese tatsächlich medial zum Dorf geworden. Türkische Haushalte sind Studien zufolge im Vergleich zu deutschen überproportional häufig an das Kabelnetz angeschlossen und/oder verfügen häufiger über eine Satellitenschüssel als deutsche. So werden die rund zwei Millionen Türkinnen und Türken in der BRD berieselt von neun TV-Programmen, die im wesentlichen ein Ziel haben: Nationalismus, Rassismus und Kriegsverherrlichung in den Köpfen der Menschen, auch des „Europäischen Türkentums“ zu verankern, und sie so an die Heimat zu binden. Und da offenbar niemand ein Interesse daran hat, sie davon abzuhalten, können türkische Rechte ungehindert regelrechte Hetzjagden oder Demos, auf denen Pogromstimmung verbreitet wird, veranstalten.

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"Kurdinnen und Kurden, andere Minderheiten, Linke im Visier", UZ vom 9. Oktober 2015



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