Leiharbeiter ohne Lobby?

Ulf Immelt zur sozialen Frage

Die Leiharbeit boomt, trotz aller Beteuerungen der Politik, diese eindämmen zu wollen. Im Jahresdurchschnitt 2017 waren nach Zahlen der Bundesagentur für Arbeit 1,03 Millionen Kolleginnen und Kollegen als Leiharbeiter beschäftigt. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum stieg ihre Zahl um 41 000.

Der Boom der Leiharbeit hat seine Ursache in der Arbeitsmarktreform, die unter dem Namen Hartz I traurige Berühmtheit erlangte. Waren 2004 „nur“ 326 000 Menschen in der Mühle Leiharbeit, stieg deren Zahl rasant auf über 800 000 an. Leiharbeit bedeutet für die Betroffenen 30 bis 40 Prozent weniger Lohn, Hire and Fire und keinerlei Zukunftsplanung. Zwar konnten Gewerkschaften in Arbeitskämpfen Verbesserungen in der Leiharbeit durchsetzen, dennoch liegen die tariflichen Entgelte der Leiharbeiter immer noch deutlich unter denen der Stammbelegschaft. Daher sind gesetzliche Regelungen dringend erforderlich.

Seit April 2017 ist das neue Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in Kraft. Demnach haben Leiharbeiter nach neun Monaten im Einsatzbetrieb das Recht auf gleiche Bezahlung wie die Stammbelegschaft. Die Obergrenze für die Einsatzdauer in einem Entleihbetrieb beträgt 18 Monate. Danach müssen die Leiharbeiter entweder übernommen oder anders eingesetzt werden. Diese beschlossenen gesetzlichen Regelungen konnten den massenhaften Einsatz von Leiharbeit nicht eindämmen: Ein Grund hierfür ist, dass die Höchstüberlassungsdauer sich nur auf den konkreten Leiharbeiter bezieht. So können die Unternehmer einzelne Personen gegen einen anderen Leiharbeiter austauschen oder dieselben nach drei Monaten Karenzzeit erneut einsetzen. Sinnvoller wäre es gewesen, Höchstüberlassungszeiten für Arbeitsplätze festzulegen, um diesen Drehtüreffekt zu verhindern. Noch besser wäre es gewesen, sämtliche Liberalisierungen der Leiharbeit seit den 1980er Jahren zurückzunehmen oder diesen modernen „Sklavenmarkt“ ganz zu schließen.

Da die Politik in Sachen Leiharbeit zwar medienwirksam Mäuselöcher schließt und gleichzeitig Scheunentore für das Kapital öffnet, ist es kein Wunder, dass laut einer aktuellen Betriebsratsbefragung der IG Metall immer mehr Betriebe das Instrument Leiharbeit zur Disziplinierung der Kernbelegschaften einsetzen. Rekordzahlen in der Leiharbeit, ein gigantischer Niedriglohnsektor, Armutsrenten und eine rigorose Umverteilung von unten nach oben sind eigentlich gute Gründe für die politische Linke, auf die Straße zu gehen. Leider steht bei einem immer größeren Teil deren Vertreter nicht mehr der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit im Zentrum der politischen Agenda. Man versteckt sich lieber hinter sogenannter Identitätspolitik, von der Verkehrswende, über die Homo-Ehe bis zum veganen Essen und überlässt so den Rechtspopulisten in der sozialen Frage viel zu viel Raum. Man reiht sich mit Kabinett und Kapital in die vermeintliche „antirassistischen Einheitsfront“ ein, statt unter dem Slogan „Unsere Willkommenskultur heißt gemeinsam kämpfen“ Ursachen und Verursacher von Krieg, Flucht, Armut und prekärer Beschäftigung beim Namen zu nennen.

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"Leiharbeiter ohne Lobby?", UZ vom 26. Oktober 2018



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