Trotzdem leben immer mehr Studierende unter Hartz-IV-Niveau

Mehr BAföG für weniger Studierende

Von Christoph Hentschel

In den nächsten zwei Jahren will die Bundesregierung die Sätze des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) erhöhen. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) stellte dazu ein Eckpunktepapier vor. Laut „Trendumkehr bis 2021“ soll der Höchstsatz schrittweise von 735 Euro um mehr als 15 Prozent auf 850 Euro steigen, die Wohnpauschale von 250 auf 325 Euro. Zudem soll die persönliche Vermögensgrenze von 7 500 auf 8 200 Euro und die Freibeträge auf das Einkommen der Eltern um neun Prozent erhöht werden. Außerdem will Karliczek Studierenden die Angst vor lebenslangen Schulden nehmen. Deswegen soll das Darlehen bei nachgewiesen geringem Einkommen nach 20 Jahren erlassen werden. Im Koalitionsvertrag sind für alle Maßnahmen im Zeitraum von 2018 bis 2021 zusätzlich eine Milliarde Euro vorgesehen. Die letzte Erhöhung fand 2016 statt. Davor blieben die Sätze über zehn Jahre hinweg unverändert.

Das Deutsche Studentenwerk (DSW) begrüßte die Anhebung, zweifelt jedoch, ob es sich dabei um eine „Trendwende“ handelt. „Eine regelmäßige, automatisierte BAföG-Erhöhung ist besser als viele Jahre der Stagnation, die dann mit einem erneuten ‚großen Wurf‘ wieder kompensiert werden sollen“, sagte DSW-Generalsekretär Achim Meyer auf der Heyde. Die Versäumnisse der vergangenen Jahre zeige sich daran, dass mittlerweile viele Studierende, die selbst den BAföG-Höchstsatz erhalten, unter das Hartz-IV-Niveau gerutscht seien. Derzeit sei dies in 88 von 96 deutschen Hochschulstädten der Fall, wie aus einer Studie des Moses-Mendelssohn-Instituts hervorgeht. Selbst nach den 2019 eintretenden Erhöhungen sei dies weiterhin in 20 Städten der Fall, in denen ein Drittel aller Studierenden wohnen. „Dabei ist natürlich klar, dass der Hartz-IV-Satz das absolute Minimum darstellen sollte für ein Leben in Deutschland“, sagt Stefan Brauckmann, der geschäftsführende Direktor des Moses-Mendelssohn-Instituts.

Auch die Begrenzung auf die Regelstudienzeit hält Meyer auf der Heyde für realitätsfern, da viele Studierende neben dem Studium arbeiten gehen. „Wer eine echte Trendumkehr will, der muss die Studienrealität berücksichtigen. Für den Großteil der Studierenden reicht die Förderungshöchstdauer, gekoppelt an die Regelstudienzeit, nicht aus. Wie es der Wissenschaftsrat bei der künftigen Finanzierung von Studienplätzen fordert, sollte auch hier die Regelstudienzeit zuzüglich mindestens einem Semester gelten“, sagt der DSW-Generalsekretär.

Der studentische Dachverband „Freier Zusammenschluss von StudentInnenschaften“ kritisiert in einer Pressemitteilung: „Um studentischer Wohnungsnot zu begegnen, genügt eine einmalige Anhebung der Wohnpauschale im BAföG als losgelöste Maßnahme nicht. Wir brauchen Investitionen in sozialen und studentischen Wohnungsbau sowie eine funktionierende Mietpreisbremse.“ Darüber hinaus sei es perspektivisch notwendig, das BAföG zu einem Vollzuschuss zu entwickeln.

Das BAföG wurde 1971 von der rot-gelben Koalition unter Willy Brandts eingeführt. Ursprünglich war es als Vollzuschuss gedacht, wurde aber unter der schwarz-gelben Regierung Helmut Kohls zu einem Darlehen umfunktioniert. In den vergangenen Jahren sank die Zahl der Geförderten. 2017 bezogen laut Statistischem Bundesamt 5 Prozent weniger Studierende BAföG als im Vorjahr. Nur rund 20 Prozent der 1,7 Millionen Studierenden, die 2016 Anspruch auf die Studienfinanzierung hatten, wurden gefördert. Rund die Hälfte der Empfänger erhielten den maximalen Förderbetrag. Die Zahl neu abgeschlossener BAföG-Verträge ging zwischen 2014 und 2017 von 59000 auf 41000 zurück – trotz steigender Studentenzahlen, wie das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) angibt. Im Juni 2018 gab es rund 280000 aktive Studienkreditverträge, wobei rund 100000 Studenten Geld ausbezahlt bekommen. Immer unsicherere Zukunftsperspektiven für Akademiker lassen viele Studierende zurückschrecken, sich während des Studiums zu verschulden.

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"Mehr BAföG für weniger Studierende", UZ vom 23. November 2018



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