Solidarität mit den Flüchtlingen, Fluchtgründe beseitigen!

Menschen schützen!

Von Ulrich Schneider

Nun fließen sie wieder, die dicken „Krokodilstränen der Betroffenheit“ der Politiker über zunehmende rassistische Gewalttaten gegen Flüchtlinge. Aber über ihre eigene Verantwortung mag keiner von ihnen reden. Jüngst brachte der Bürgermeister der Gemeinde Jamel (Mecklenburg-Vorpommern) es auf den Punkt: „Jetzt kann man das nicht mehr verhindern.“ Und er meinte damit die langjährige Toleranz gegenüber NPD und extremer Rechten in verschiedenen ostdeutschen Bundesländern.

Insbesondere in Sachsen hat die CDU-geführte Landesregierung alles getan, um rassistischen „Wutbürgern“ Raum zu geben. Man erinnere sich nur an den politischen Eiertanz um die unsäglichen PEGIDA – Aufmärsche. Seit Jahren agieren offene Faschisten, wie NPD, die gewalttätige SSS (Skinheads Sächsische Schweiz), Freie Kameradschaften und die Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) mit ihrem jährlichen in Dresden zum „Gedenken an den Bombenholocaust“ ungehindert in Sachsen. Auch die NPD-Parteizeitung hat ihren Sitz im sächsischen Riesa.

Natürlich gibt es auch in Sachsen engagierte Antifaschisten, die sich solchen Umtrieben entgegenstellen. Doch ihr Widerstand wird als „extremistisch“ von der Polizei und den anderen Staatsorganen massiv behindert. Als in den ersten Nächten in Heidenau Rassisten gewalttätig gegen Polizei und Flüchtlingsunterkunft agierten und 35 Polizisten verletzten, wurde eine (1) Person verhaftet – ein Journalist. Als später Antifaschisten sich zum Schutz der Flüchtlingsunterkunft in Heidenau versammelten, fuhr die Polizei Wasserwerfer auf und begann mit der erkennungsdienstlichen Erfassung von Demonstranten – wenn sie denn aus der linken Ecke kamen. Und so versteht man, warum der sächsische Innenminister Markus Ulbig bei dem Willkommensfest in Heidenau, dass seine nachgeordnete Behörde am liebsten verboten hätte, mit Pfiffen und Sprechchören vertrieben wurde.

Nun sprechen selbst CDU-Politiker von „Dunkeldeutschland“ und manche entblöden sich nicht, die vor 25 Jahren zerstörte DDR politisch in die Verantwortung zu nehmen. Da man damals kein demokratisches Engagement gelernt habe, würden heute undemokratischen Auswüchse entstehen. Zu Recht verwahrten sich die ostdeutschen Ministerpräsidenten gegen eine erneute Ost-West-Debatte zum Rassismus, da Brandanschläge und andere gewalttätige Übergriffe in fast allen Bundesländern zu verzeichnen sind.

Am Montag nahm auch die Bundeskanzlerin in ihrer bekannten Art zu dem Problem Stellung. Keine Toleranz gegen die, die die Würde anderer Menschen infrage stellen, ließ sie verlauten. Dieser Satz sollte sich gegen die rassistischen Gewalttäter richten, die sich über eine solche „Drohung“ sicherlich sehr erschreckt haben. Wenn man aber diesen Satz auf die Wirklichkeit bezieht, dann bedeutet er eine klare Verurteilung der oft noch menschenunwürdigen Behandlung der Flüchtlinge in unserem Land.

Ein Beispiel: Eine hochschwangere Frau wird unmittelbar nach der Ankunft in Kassel-Calden zwar in ein Krankenhaus zur Entbindung gebracht, dann aber – ohne gynäkologische Nachsorge – in die Erstaufnahmeeinrichtung zurückgeschafft, weil sie noch nicht „registriert“ und damit krankenversichert ist – soviel zum Thema: Die Würde des Menschen infrage stellen.

Wahrscheinlich hatte die Bundeskanzlerin aber das mit der „deutschen Gründlichkeit“ gemeint, mit der die Aufnahme der Flüchtlinge zu erfolgen habe. Zugleich drohte sie: „Wer keine Bleibeperspektive hat, muss schnell in sein Heimatland zurückkehren“. So ähnlich wie Markus Ulbig, der sich vor einigen Wochen für die Medien beim Kaffeetrinken mit einer Flüchtlingsfamilie ablichten ließ. Wenig später wurde diese Familie in einer Nacht und Nebel-Aktion abgeschoben.

Antirassisten und Antifaschisten haben heute drei Aufgaben: Solidarität mit den Flüchtlingen, die Fluchtgründe beseitigen, die Menschen schützen!

Konkret bedeutet das vor Ort, in den Einrichtungen und im Netzwerk mit anderen demokratischen Kräften die praktische Hilfe für die Flüchtlinge zu organisieren, wie z. B. symbolische Gesten wie ein Willkommens-Fest, Spendensammlungen oder Hilfestellungen bei der Betreuung, der Sprachvermittlung o. ä.

Das Handeln zur Beseitigung der Fluchtgründe ist indirekter. Wir müssen unsere Friedenspolitik, das öffentliche Auftreten gegen Militärschläge, Expansionspolitik enger mit der Situation der Flüchtlinge verknüpfen, denn sie sind die für alle sichtbaren Folgen dieser Politik imperialer Hegemonie. Die aktuelle Flüchtlingsbewegung ist das deutliche Zeichen, dass die „Festung Europa“ keine „sichere Burg“ ist.

Die Menschen schützen bedeutet, allen Formen von rassistischer Gewalt, aber auch rechtspopulistischer Fremdenfeindlichkeit aktiv und konsequent entgegenzutreten. Rassismus und Faschismus sind keine Meinungen, sie sind – und das zeigen Freital, Heidenau und Salzhemmendorf – Verbrechen, die es zu bekämpfen gilt.

(Dr. Ulrich Schneider ist Generalsekretär der FIR, der Internationalen Förderation der Widerstandskämpfer und Bundessprecher der VVN-BdA)

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"Menschen schützen!", UZ vom 4. September 2015



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