Berliner Schulen bekommen Preisschilder

Mit „Brüssel“ geht alles

Von Stefan Bednarek

Der Berliner Senat will 1 600 Millionen Euro für den Bau und die Sanierung von 30 Schulen nicht selbst ausgeben, obwohl es eigentlich seine Aufgabe wäre. Diese Kredite soll die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE aufnehmen und abbezahlen. Von der Wohnungsbau GmbH sollen die Berliner Bezirke die Schulen dann mieten. Nach Verkehrsbetrieben, Krankenhäusern, Wasserbetrieben, Wohnungsunternehmen und Grünanlagen dehnt der rot-rot-grüne Senat die seit Jahrzehnten betriebene Politik der Privatisierung nun auf einen Teil der Schulen aus. Inklusive der an die Wohnungsbaugesellschaft übertragenen Grund- und Sachwerte umfasst der Schattenhaushalt um die 30 Schulen mindestens 2 Milliarden Euro. Im Verhältnis zu weltweit mehreren Hundert Billionen liquiden Kapitals ist das nicht sehr viel. Das Berliner Modell könnte aber Schule machen, denn ab dem kommenden Jahr gilt für die Bundesländer das Nettokreditaufnahmeverbot („Schuldenbremse“), zu deren Umgehung die Schulbauprivatisierung dienen soll. Dafür, dieses Modell auf andere Länder und Kommunen zu übertragen, bieten Jahrzehnte lang unterlassene Erhaltungsinvestitionen in Schulen in elfstelliger Höhe Anreiz genug.

Die mögliche Dimension künftiger privater Investitionen in Schulen ist kaum abschätzbar. Für Großbritannien, wo Schulen seit zirka 20 Jahren nach ähnlichen Modellen gebaut werden, ergab eine Studie der European Services Strategy Unit 2016, „dass durch einen regen Handel mit Anteilen an ÖPP-Projekten und vergleichbaren Vertragskonstrukten inzwischen Infrastrukturfonds mit Sitz in Steueroasen an 74 Prozent der 735 aktuellen PFI/PPP-Projekte Großbritanniens beteiligt sind. Allein die fünf größten dieser Fonds machten 2011–2015 rund 2,1 Milliarden Euro Gewinne, die nicht in Großbritannien besteuert wurden“, so die Volksinitiative „Unsere Schulen“ im November 2018 im Berliner Abgeordnetenhaus. Die Warenform von Schulgebäuden ermöglicht eine bedeutende Steigerung der gesamtgesellschaftlichen privaten Gewinnquote.

Das Berliner Modell weist noch mehr Vorteile für das Finanzkapital auf. Gewöhnliche Landesanleihen bieten niedrig verzinste Liquidität, über die vom Volk gewählte Gremien relativ frei entscheiden, in Schattenhaushalten wie dem der HOWOGE entfällt im Vergleich dazu jede demokratische Partizipation. Zum einen schützt das Berliner Informationsfreiheitsgesetz das Betriebsgeheimnis der Landesunternehmen und ihrer Geschäftspartner vor Einblick in die Verträge, zum anderen findet eine politische Steuerung der Berliner Wohnungsbaugesellschaften ohnehin nicht statt.

Ein aus Sicht des Finanzkapitals unschätzbarer Vorteil des Berliner Modells ist die mit Jahrzehnte lang unkündbaren Verträgen verbundene Kostenmiete auf der Grundlage eines Einredeverzichts. So ist abgesichert, dass der Senat in jedem Fall zu bezahlen hat, was Bau und Sanierung der Schulen nach Ansicht der Wohnungsbaugesellschaft und ihrer Generalunternehmer eben kosten werden. Hierfür errechnete die Volksinitiative „Unsere Schulen“, dass der Senat schon jetzt Schulbaukosten plant, die etwa doppelt so hoch sind wie im Bundesdurchschnitt, und das, obwohl der Baupreisindex für Berlin nur wenig über dem bundesweiten Durchschnitt liegt. Kostentreibend wirkt auch, dass der Senat und die HOWOGE durch hohe Mindestumsatzvorgaben in den Ausschreibungen die regionale Bauwirtschaft aus der Auftragsvergabe ausschließen. Das kritisierten Anfang 2019 selbst deren Lobbyorganisationen einhellig und heftig. „Bankrotterklärung öffentlichen Bauens“, formulierte Michael Mackenrodt für die Architektenkammer am 30. Januar im Tagesspiegel.

Ob es dem Finanzkapital gelingen wird, das Renditepotenzial der Berliner Schulen noch weiter aufzuschließen, wird schlussendlich auf EU-Ebene geklärt werden. Mehrfach hat der Senat im Berliner Abgeordnetenhaus infolge parlamentarischer Anfragen zugeben müssen, dass das Europäische Statistikamt EUROSTAT die Schulbauinvestitionen auch dann dem Sektor Staat zurechnen wird, wenn sie bei der HOWOGE versteckt werden. Man berief sich darauf, dass wenigstens die Umgehung der deutschen Schuldenbremse auf diese Weise funktioniert. Sollte EUROSTAT seine Ankündigungen später wahrmachen, dann würde die Verschuldung im Landeshaushalt absehbar um 1,7 Milliarden Euro in die Höhe schießen. Die Regierung wird Ausgabenkürzungen im öffentlichen Sektor, Personalabbau und Privatisierung der Daseinsvorsorge bequem mit „Brüssel“ begründen können. Das ist geplant und gewollt: Von den etwa 30 neuen Schulen, die in Berlin schon 2016 nachweislich fehlten, befinden sich derzeit lediglich zwei im Bau.

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"Mit „Brüssel“ geht alles", UZ vom 1. März 2019



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