Nicht arm genug, um reich zu sein

Guntram Hasselkamp zum Sachverständigenratsgutachten

Die Wirtschaftsweisen, nein korrekt, der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung“ hat sich wieder um die Volksaufklärung verdient gemacht: „Der geringe Aufbau von privaten Nettovermögen hat verschiedene Gründe“, schreibt er in seinem neuen Gutachten. „So reduziert beispielsweise das bereits umfangreiche Steuer- und Sozialversicherungssystem gerade für einkommensschwächere Haushalte die Anreize und Möglichkeiten zur privaten Vermögensbildung.“

Man muss das richtig verstehen. Klar, zugegeben, sagt der Rat, da gibt es Arme und Reiche. Die „Vermögensungleichheit in Deutschland“ sei hoch, und „die Einkommens- und Vermögenspositionen verfestigt“. Die obersten 10 Prozent besitzen 60 Prozent des Gesamtvermögens. Die untere Hälfte gar nichts.

Das ist nicht schön. Die Ungleichheit habe sich in den letzten Jahren erhöht. Auf dem G 20-Gipfel in China sei das Ziel einer Reduzierung der Ungleichheit sogar ins Abschlussdokument geraten. Jetzt komme man aber nicht mit Vermögenssteuer oder Erbschaftssteuer. Das deutsche „Steuer-Transfer-System“ zähle im ohnehin „zu den am stärksten umverteilenden Sozialsystemen in der OECD“, glaubt der Rat. Von wo nach wo hat er allerdings nicht gesagt.

Ja, aber warum ist das alles so? Weil die Anreize fehlen: Der knurrende Bauch, die Frostbeulen an den Füßen, die gefährlichen Seuchen. Weil die Armen faul in der sozialen Hängematte liegen und nicht anständig malochen, wie es sich gehört. In der Hängematte liegen, macht faul und dumm, das wusste schon der Thilo Sarrazin. Heißt im Umkehrschluss: Je weniger soziale Sicherheit und steuerliche Umverteilung, umso reicher werden auch die Armen. Ohne Stütze hätte man eben gar keine andere Möglichkeit, als reich zu werden. So lungern Millionen verhinderte Millionäre auf den Ämtern, wieder falsch, Jobcentern rum.

Ohne Stütze gäbe es in Gelsenkirchen wahrscheinlich Tausende Bill Gates, Steve Jobs oder Mark Zuckerbergs, wer weiß. Oder in Mecklenburg-Vorpommern zwanzig neue Monsantos, oder ein paar neue Nestlé’s, warum nicht auch ein Luis Vuitton in Kötzschenbroda. Alles ist möglich, wenn man erst einmal arm genug ist. Das hat die bürgerliche Wirtschaftswissenschaft schon immer gewusst: Der Arbeiter verdient einfach zu viel und deshalb ist er arm. Nur wir haben es wieder mal nicht kapiert.

Reichtum ist also da, wo es keine soziale Sicherheit und keine steuerliche Umverteilung gibt. Da wären die USA. Dort sind bekanntlich alle Tellerwäscher Millionäre. Wenn sie trotzdem noch Teller waschen, ist das mehr so aus Gewohnheit. Noch besser wäre beispielsweise der Tschad. Soziale Sicherheit ist hier eher unbekannt. Die 10 Millionen Menschen, die hier hungern, machen das mehr so aus Tradition. Eigentlich ist der Tschad berühmt dafür, dass alle Menschen dort nicht wissen, wohin mit dem Geld. Na, und weil das hier so gut klappt, soll das ja in Griechenland und im Süden Europas auch so laufen. Die Griechen sind einfach noch nicht arm genug, um reich zu werden. Einfach noch zu viel Hängematte.

Es ist schon erstaunlich, mit welchen Weisheiten man heute in diesem unseren Lande ein führender Wirtschaftswissenschaftler werden kann. Aber wenn es frau mit dem schlichten Mantra, „Deutschland geht es gut“, zur Bundeskanzlerin bringt, ist alles möglich.

„Reicher Mann und armer Mann,/standen da und sahn sich an./

Und der Arme sagte bleich:/“Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich“.

Brecht jedenfalls, hätte es nie zum Wirtschaftsweisen gebracht.

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"Nicht arm genug, um reich zu sein", UZ vom 11. November 2016



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