Die Kindergrundsicherung ist gescheitert. Das „Deutschlandticket“ folgt demnächst

Nichts zu bieten

Von der Bundesregierung erwarten die meisten Deutschen nicht mehr viel. Im „ARD-Deutschlandtrend“ sprachen sich in der vergangenen Woche nur 32 Prozent der Befragten für eine Fortsetzung der Ampel-Koalition bis zum Jahr 2025 aus. 41 Prozent forderten sogar vorgezogene Neuwahlen. So ganz spurlos geht das jahrelange Abwälzen von Kriegs- und Krisenlasten auf die Bevölkerung dann doch nicht an den Beliebtheitswerten vorbei. Von der ursprünglichen Selbstbezeichnung als „Fortschrittskoalition“ ist nichts geblieben. Der progressive Nimbus, mit dem sich vor allem die grün-gelben Mehrheitsbeschaffer gerne umgaben, hat sich abgenutzt, während ganz offen die Interessen der Rüstungskonzerne bedient und der soziale Kahlschlag vorangetrieben wurde. Um die Stimmung zu heben, hielten die Koalitionäre diesem Prozess gebetsmühlenartig zwei durchaus populäre Projekte entgegen: die Kindergrundsicherung und das „Deutschlandticket“.

Zur Erinnerung: Die Kindergrundsicherung war als „größtes sozialpolitisches Projekt“ der Ampel vorgestellt worden. 12 Milliarden Euro hatte Bundesfamilienministerin Elisabeth Paus (Grüne) ursprünglich dafür vorgesehen; gerade einmal 2,4 Milliarden Euro schafften es in den Haushaltsplanentwurf des Bundes. Aus der von Sozialverbänden und Gewerkschaften unterstützten Idee war eine Verwaltungsreform geworden, mit „Digitalisierung“, aber ohne „Leistungsausweitungen“, wie sich Finanzminister Christian Lindner (FDP) freute. Dennoch sprach Paus am 9. November im Bundestag von einem „Einstieg in die Bekämpfung der strukturell verfestigten Kinderarmut in Deutschland“. Dass dem nicht so ist, war den zahlreichen Stellungnahmen zu entnehmen, die zu diesem Zeitpunkt bereits vorlagen.

Die Bundesagentur für Arbeit gab sich zwar technokratisch-optimistisch: „Wir können diese große Aufgabe der Kindergrundsicherung stemmen.“ Das gehe allerdings nicht ohne ausreichende Vorlaufzeit. Der geplante Starttermin am 1. Januar 2025 sei „aus finanziellen, organisatorischen, infrastrukturellen und personellen Gründen nicht mehr zu realisieren“. Für den Umbau der Verwaltung müssten 5.355 Vollzeitstellen geschaffen und besetzt werden. Die zusätzlichen Bürokratiekosten würden 449 Millionen Euro betragen.

Ein Fünftel des Budgets geht also planmäßig an den betroffenen Familien vorbei. Höhere Leistungen sieht das Gesetz ohnehin nicht vor. Stattdessen verspricht die Regierung, den Familien zukünftig „aus einer Hand“ zu helfen. Armen Kindern soll ein Kinderzusatzbetrag zustehen, mit dem verschiedene bisherige Leistungen gebündelt werden. Damit soll der Tatsache entgegengewirkt werden, dass zahlreiche Familien bestimmte Leistungen gar nicht erst beantragen, weil sie nichts von ihnen wissen.

Dass auch dieses Minimalversprechen gebrochen wird, bescheinigte der Deutsche Städtetag in seiner Stellungnahme. Der kommunale Spitzenverband hält eine Kindergrundsicherung zwar für „grundsätzlich sinnvoll und notwendig“. Der aktuelle Gesetzentwurf enthalte jedoch „wenige Verbesserungen und sehr viele Verschlechterungen“. Der Zugang zu den Leistungen werde „leider nicht erleichtert“. Eine „automatische Benachrichtigung der Familien mit Anspruch auf den Zusatzbetrag wird es nicht geben“. Ein Großteil der Betroffenen würde weiterhin nichts von ihren Ansprüchen erfahren. Um die beabsichtigte Abwicklung der Grundsicherung über die Familienkassen zu ermöglichen, müssten zudem 300 Unterbehörden neu geschaffen werden.

Auch Betroffene meldeten sich zu Wort. Der Bundesverband alleinerziehender Mütter und Väter bezeichnete die Kindergrundsicherung als „faules Ei trotz schöner Verpackung“. Er wies darauf hin, dass Alleinerziehende das höchste Armutsrisiko haben. Die neue Kindergrundsicherung werde für sie aber keine Verbesserungen, sondern „sogar Verschlechterungen bringen“. Durch die geplante Kürzung des Kinderzusatzbetrages für Umgangstage drohe „für Kinder von Alleinerziehenden, die heute Kinderzuschlag beziehen, ein sattes Minus in der Haushaltskasse“. Zudem „soll der Erwerbsdruck auf Alleinerziehende verstärkt werden, indem der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss für alle Schulkinder an ein elterliches Mindesteinkommen geknüpft wird“. Der von der Familienministerin angekündigte „Systemwechsel“ findet also tatsächlich statt. Doch dürfte er für viele Familien in die falsche Richtung gehen.

In die falsche Richtung entwickelt sich auch das „Deutschlandticket“. Das zentrale Versprechen des Fahrscheins bestand stets in seinem Preis. Für 49 Euro im Monat durch ganz Deutschland – damit dürfte im nächsten Jahr Schluss sein. Das „Deutschlandticket“ war von Beginn an unterfinanziert. Seit Monaten warnen Kommunen und Verbände vor Einschränkungen im öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV). In der vergangenen Woche ging dann das Bund-Länder-Treffen ohne Durchbruch zu Ende. Bis April 2024 soll das Ticket zum aktuellen Preis erhalten bleiben. Die Zukunft ist ungewiss. Längst werden Preiserhöhungen diskutiert.

Dass das Kriegskabinett kaum darum bemüht scheint, das öffentliche Scheitern dieser beiden Reformvorhaben zu verhindern oder wenigstens zu verschleiern, darf als Warnsignal verstanden werden. Diese Bundesregierung hat der großen Mehrheit der Bevölkerung nichts mehr zu bieten. Vor dem Hintergrund der gewaltigen Rüstungs- und Kriegskosten scheint eine Einbindung der Bevölkerung durch vermeintliche Wohltaten – und seien sie auch noch so klein – nicht mehr möglich oder aber nicht mehr beabsichtigt. Beide Optionen bieten Anlass zur Sorge.

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"Nichts zu bieten", UZ vom 17. November 2023



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