Zwei Beiträge zur China-Konferenz der DKP

„Parteiprogramm als Richtschnur“

Andrea Hornung, Sophie Autenrieth

Auf der China-Konferenz der DKP sprachen in der allgemeinen Debatte neben vielen anderen die Genossinnen Andrea Hornung und Sophia Autenrieth. Sie haben ihre Beiträge verschriftlicht und baten darum, diese zu veröffentlichen.

Das Parteiprogramm als Richtschnur nutzen

Von Andrea Hornung

In der Diskussion um China wird auch unser Sozialismusverständnis in Frage gestellt. So wertete Wolfram Elsner in seinem Beitrag vom 3. November das sowjetische Modell der Planwirtschaft als eine Ursache für die Konterrevolution. Auf der China-Konferenz wurde – anders als noch auf dem Parteitag – ganz offen gesagt, dass wir unser Sozialismusverständnis anpassen müssten. Beat Schneider tat in der Diskussion auf der Konferenz gar die Vorstellungen von Marx und Engels als utopisch und veraltet ab.

Überleben des Stärkeren im Sozialismus?

Ganz offen widerspricht beispielsweise Yumeng Liu unserem Sozialismusverständnis wenn sie ihre Vorstellung der „sozialistischen Marktwirtschaft“ beschreibt. Ihr Beitrag wurde in der UZ unkommentiert abgedruckt. In ihrem Beitrag schrieb sie offen, dass China heute eine Marktwirtschaft betreibe, „die von Marktkräften angetrieben wird und vollständig in (…) den Weltmarkt integriert ist.“ Statt einer Planwirtschaft gäbe es nur noch eine staatliche Makrosteuerung. Diese Marktwirtschaft und der Erfolg beruhe auf den Prinzipien „Freier Wettbewerb und Überleben des Stärksten“. Die Rolle der Regierung sei explizit nur die Sicherung eines „fairen und wettbewerbsfähigen Umfelds“, während die Ressourcenverteilung den Marktmechanismen überlassen wird. Ganz konsequent bezieht sich Yumeng Liu dann positiv auf Skandinavien – wohlgemerkt nicht auf die skandinavische Arbeiterklasse, die Rechte erkämpft hat, sondern auf die skandinavischen, kapitalistischen Regierungen. Lobend wird erwähnt, dass man es dort auch erfolgreich geschafft habe, Konflikte zwischen Kapital und Arbeit zu mindern. Eine untypische Position aus kommunistischer Perspektive. Doch damit macht Yumeng Liu zumindest deutlich, dass es Fortschritte für die Arbeiterklasse innerhalb des Kapitalismus durchaus geben kann. Damit zeigt sie auch, dass der Verweis auf 800 Millionen Menschen, die aus der absoluten Armut befreit wurden, nicht ausreicht, um den Charakter eines Staates zu beurteilen – so begrüßenswert diese Erklärung auch ist.

Im Parteiprogramm charakterisieren wir den Sozialismus richtigerweise weder als Marktwirtschaft noch beschränken wir die Rolle des Staates darauf, faire Marktmechanismen zu etablieren und das Überleben des Stärkeren zu sichern. Stattdessen nennen wir als entscheidende Merkmale das gesellschaftliche Eigentum an allen wichtigen Produktionsmitteln, an den Finanzinstituten und Naturressourcen, die planvolle Nutzung und Mehrung des gesellschaftlichen Reichtums und ein Ende der auf Profitinteressen ausgerichteten Konkurrenzwirtschaft. Davon ist bei Yumeng Liu jedoch keine Rede mehr.

Markt überlegen im Entwickeln der Produktivkräfte?

Unsere Zielvorstellung wird auch dann in Frage gestellt, wenn nahegelegt wird, der Markt könne die Produktivkräfte grundsätzlich besser entwickeln als eine sozialistische Planwirtschaft. Sicherlich kann es in bestimmten Fällen für eine begrenzte Zeit berechtigt und notwendig sein, Marktelemente zuzulassen – das ist konkret zu prüfen. Ganz grundsätzlich ist es im Sozialismus-Kommunismus jedoch durchaus möglich, die Produktivkräfte zu entwickeln, sogar schneller und stärker, als der Kapitalismus das kann. Er kann es planmäßig, weil die Gesetze nicht hinter dem Rücken der Menschen wirken, weil an Stelle des Marktes die unmittelbar gesellschaftliche Produktion tritt. Ganz entscheidend dafür ist die Produktivkraft Kooperation, die erst im Sozialismus, jenseits von Konkurrenz und Profitstreben, vollständig entfesselt werden kann. Ein ganz praktisches Beispiel für den Erfolg der Planwirtschaft bietet die Sowjetunion, die in den 1930er Jahren ein durchschnittliches Wachstum der Industrieproduktion von knapp 20 Prozent pro Jahr erreichte (in den USA waren es 4 Prozent) und auch in absoluten Zahlen überholte die Sowjetunion gemessen am Gesamtumfang der Industrieproduktion Deutschland, England und Frankreich. Das alles wurde in einer Phase erreicht, in der Marktelemente eine absolut untergeordnete Rolle spielten.

Sozialismusverständnis verteidigen!

Wenn man dem Beitrag von Yumeng Liu nicht widerspricht, dann bedeutet das, das Sozialismusverständnis der DKP ganz grundsätzlich anzugreifen. Wenn wir den Markt an sich zum Non-Plus-Ultra der Produktivkraftentwicklung machen, dann erliegen wir der bürgerlichen Propaganda, dass der Markt besser sei als der Plan und geben im schlimmsten Fall unser gesellschaftliches Ziel, die Erkämpfung einer Gesellschaft, in der die Produktionsmittel in gesellschaftlicher Hand sind und in der nicht nach Profitprinzip und für den Markt produziert wird, den Sozialismus-Kommunismus, auf. Wir sollten in der Diskussion um China nicht den Fehler machen, das Sozialismusverständnis der KPCh einfach für uns zu übernehmen und das Parteiprogramm der DKP ebenso wie die Schriften von Marx, Engels und Lenin und die Erfahrungen aus den sozialistischen Staaten als Grundlage nehmen.

Wie geht’s der Arbeiterklasse in der Volksrepublik China?

Von Sophia Autenrieth

Wir haben im Referat von Conny Renkl gehört: China ein Sozialismus mit Widersprüchen, aber dennoch ein Staat der Arbeiterklasse, da die Kommunistische Partei die politische Macht in den Händen hält und die Marktelemente im Interesse der Arbeiterklasse ausnutzt.

Auf die Situation der Arbeiterklasse möchte ich nun noch einmal genauer eingehen: 1988 wurden durch eine Verfassungsreform Privatunternehmen zugelassen. Zuvor hatte es bereits unter Deng Xiaoping unterschiedliche Verbesserungen der Lage der Arbeiterklasse gegeben, in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre stiegen die Löhne der städtischen Arbeiter massiv. Im Zuge der Verfassungsreform kam es dann verstärkt zu Kündigungen. Die Volksrepublik erlebte zudem eine starke Inflation, weil Unternehmen die Preise anhoben, um gestiegene Kosten an die Käufer weiterzugeben.

Soziale Probleme

In den 1990er-Jahren wurde ein Großteil der bis dato staatlichen und genossenschaftlichen Unternehmen privatisiert. Zehntausende Arbeiter wurden entlassen, von 1998 bis 2001 verloren nach offiziellen Angaben 25,5 Millionen Menschen ihre Arbeitsstelle. Ehemalige Bauern mussten Arbeitsmigranten werden, arbeiteten als solche für niedrige Löhne für internationale und chinesische Unternehmen und wurden als Lohndrücker eingesetzt. Als Wanderarbeiter verloren sie soziale Rechte, da ihnen die Einwohnermeldung verwehrt wurde.

Die Mindestlöhne werden in China von Lokalregierungen anhand der dortigen Lebenshaltungskosten festgelegt. Zwischen 1993 und 2004 stiegen die Reallöhne trotz zweistelligen Wachstums des BIP nicht. Dieses hätte bei der Berechnung der Mindestlöhne berücksichtigt werden müssen, die lokalen Regierungen versuchten allerdings die Lohnkosten niedrig zu halten.

Massenentlassungen, Preissteigerungen, die an die Bevölkerung weitergegeben werden, Arbeiter, die als Lohndrücker eingesetzt werden, Reallöhne, die hinter dem Wirtschaftswachstum zurückbleiben – all das kommt uns schmerzlich bekannt vor.

All das scheint mir auch nicht mit der zur Maxime erklärten Produktivkraftentwicklung begründbar zu sein, wir haben von Conny gehört, China ist bereits weltweit führender Exporteur von Industriegütern.

Staat der Arbeiterklasse?

Mit meiner Analyse will ich aber nicht auf der Erscheinungsebene stehen bleiben. Schauen wir uns das Wesen der Dinge an:

Die massenhaften Kündigungen fielen nicht vom Himmel, sondern gingen damit einher, dass Unternehmen privatisiert wurden. Die Lohndrückerfunktion der Wanderarbeiter wurde bewusst in Kauf genommen um die ursprüngliche Akkumulation der Privatunternehmen zu unterstützen. Private Konzerne bringen zwangsläufig den antagonistischen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit hervor. Dass der Staat hier die Funktion einnimmt, die Bedingungen für die Konzerne möglichst günstig zu gestalten, was zulasten der Arbeitsbedingungen und des Lohnniveaus der Beschäftigten geht, wirft Fragen auf, inwiefern dies wirklich der Staat der Arbeiterklasse sein kann. Entsprechend erleben wir auch eine Zunahme von Arbeitskämpfen in China, obwohl das Streikrecht – eins der wichtigsten Rechte der Arbeiter – 1982 aus der chinesischen Verfassung gestrichen wurde. Daneben wurden sozialistische Rechte gestrichen, besonders populär die eiserne Reisschale 1997. Diese enthielt Sozialleistungen, eine lebenslange Arbeitsplatzgarantie, die Bereitstellung von Wohnungen, medizinische Versorgung sowie Rentenzahlungen für die städtischen Angestellten und Mitarbeiter der Staatsbetriebe. Einhergehend mit der Privatisierung vieler ehemals staatlicher Betriebe wurde der sozialistische Sozialvertrag durch Arbeitsverträge ersetzt – die Arbeitskraft wurde wieder zur Ware, die Beschäftigten stehen sich als Konkurrenten gegenüber.

Offene Fragen

Die Macht der Arbeiterklasse, gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln und Planwirtschaft hängen zusammen, wie wir es auch in unserem Parteiprogramm festhalten – was passiert mit diesem Verhältnis, wenn die Arbeitskraft eine Ware ist? Kann es das eine ohne das andere geben?

Wie kann es sein, dass der Staat auf Kosten der Beschäftigten, deren Staat er ja sein soll, den Unternehmen möglichst günstige Verwertungs- und Ausbeutungsbedingungen schafft und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten diesen zum Opfer fällt?

Wie ist das Verhältnis von notwendiger Arbeit zu Mehrarbeit und inwiefern fließt dieses Mehrprodukt in private Taschen, statt es zum Ausbau der Gesellschaft nach den Bedürfnissen der politisch herrschenden Klasse zu nutzen?

All diese Fragen gilt es meiner Meinung nach zu klären um in der Frage der Charakterisierung der Volksrepublik voranzukommen.

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