Parteitage gegen die Mehrheit und die Demokratie

Kolumne von Ulrich Sander

Ulrich Sander

Ulrich Sander

un hatten wir einmal etwas Neues: Den GroKo-Einheitsparteitag in zwei Teilen. Trotz Gegrummels bei der CDU vor und Aufgeregtheit bei der SPD während des jeweiligen Teilparteitages setzten sich die große Kanzlerin und der zurückgestutzte Vizekanzler durch. Die gemeinsame Unions- und SPD-Politik zugunsten der Konzerne hinsichtlich Freihandelsabkommen TTIP und Steuerpolitik, zugunsten der Geheimdienste hinsichtlich Vorratsdatenspeicherung und zugunsten der Rüstungsindustrie wie der Kriegstreiber wurde durchgesetzt.

Das zentrale Thema des Doppelparteitags war die „Flüchtlingskrise“ und wie man ihrer Herr wird. Vorher fragten sich viele: Was wird aus „Wir schaffen das“, aus dem Land des Lächelns für die Neuankömmlinge, aus der Versicherung, dass die Zahl der Asylbewerber nicht zu begrenzen und die Genfer Flüchtlingskonvention unbedingt einzuhalten ist? Wird die Willkommenskultur nun einer Ausweisungsunkultur und einem rassistischen Rechtspopulismus weichen? Zwar setzt die Mehrheit der Menschen im Lande noch immer auf das „Refugees welcome!“ Aber das ist nicht die Mehrheit, die sich die Unionsparteien wünschen. Und so setzen diese auf das, was die Fremdenfeinde und Rassisten wollen: Stacheldraht und Marineeinsatz, allerdings schon weit vor dem deutschen Gebiet, Abweisung, aber bereits aus dem Land der Erdogan-Diktatur. Ja auch immer noch etwas Herz, aber bitte nicht für die Roma. Freundlichkeit gegenüber denen, die uns nutzen, und nicht jenen, die uns angeblich nur ausnutzen. Obergrenzen werden nun Kontingente genannt. Es gibt keine Begrenzung außer auf der Zahl des Jahres 2015. Somit also doch: Obergrenzen.

Beim SPD-Teilparteitag gab es hinsichtlich der Kriegsbeteiligung in Syrien eine Minderheit der Vernunft. Die fragte: „Wissen wir eigentlich, wie wir aus diesem Konflikt wieder rauskommen?“ (MdB Hilde Mattheis). Beim Unions-Teilparteitag wurde der Krieg gar nicht in Frage gestellt. Es wurde zwar viel von der Beseitigung der Fluchtursachen gesprochen, jedoch die wichtigste Ursache wurde noch ausgebaut: Waffenlieferungen, Waffengewalt – und auch die Stützung des Erdogan-Regimes mit seinen engen Verbindungen zum IS-Terror.

Die Mehrheit der Bevölkerung sieht nur Gefahren und Nachteil im Kriegseinsatz. Aber der GroKo-Gesamtparteitag ist doch nicht dazu da, die Wünsche des Volkes abzubilden. Gerade einmal ein Drittel der Deutschen halten TTIP für eine gute Sache. Es war bei der SPD allen klar, und es wurde auch ausgesprochen: Das TTIP-Abkommen ist „ein Sinnbild eines ungebremsten Kapitalismus“. Aber was ist dagegen zu sagen?

Um den Kapitalismus geht es auch bei der gesteuerten Flüchtlingspolitik. „In 40 Jahren werden der Bundesrepublik Deutschland ca. 15 Millionen Arbeitskräfte fehlen“, warnt „if“, die führende Bundeswehrzeitschrift. Es wird Menschenmaterial fehlen für die Wirtschaft und das Militär. Da muss doch geordnet gegengesteuert werden!

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"Parteitage gegen die Mehrheit und die Demokratie", UZ vom 18. Dezember 2015



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