Einschüchtern und abschieben: Faeser bei Asylrecht auf AfD-Kurs

Rechtsweg ausgeschlossen

Am Mittwoch vergangener Woche legte die gerade in Hessen wahlkämpfende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) ihren „Diskussionsentwurf zur Verbesserung der Rückführung“ vor. Ein Papier, das Wort für Wort auch aus der Feder der Asylverhinderer von der AfD herrühren könnte.

Am 10. Mai hatte die Bund-Länder-Konferenz zum Ausländerrecht Faeser den Auftrag gegeben, bis zu den parlamentarischen Beratungen im Herbst „Leitlinien“ für eine effektivere Abschiebepraxis aufzustellen. Das nun vorgelegte 35-seitige Papier soll im September die Basis für neue gesetzliche Regelungen im Aufenthaltsrecht liefern. Eingeleitet wird die Pressemitteilung mit einem alten Zahlentrick: Es gäbe „gut 304.000“ Ausreisepflichtige. Das täuscht Handlungsbedarf vor. Verschwiegen wird, dass circa 248.000 Menschen davon im Besitz einer Duldung sind, sprich, aus Rechtsgründen nicht abgeschoben werden können. Unter den rund 55.000 vollziehbar (!) Ausreisepflichtigen sind nicht nur Asylbewerber, sondern auch all jene, deren Touristenvisum oder deren Visa zur Ausbildung, zur Arbeit oder zum Studium abgelaufen sind.

Hinter der zynischen Begriffskosmetik (Verschärfung der Abschiebungen heißt jetzt „Verbesserung der Rückführung“) nimmt das Bundesinnenministerium im Versuch, auch noch die letzten Reste des Asylgrundrechts zu schleifen, kein Blatt mehr vor den Mund. Vorbei die Zeit der Humanitätsduselei; die anlässlich der Fußball-WM in die Kameras gehaltene „One-Love-Binde“, mit der Faeser in Katar für die „internationale Geltung der Menschenrechte“ einzustehen vorgab, hängt längst am Haken.

Konnte bisher jeder Asylbewerber bei laufendem Verfahren davon ausgehen, dass eine Abschiebung erst bei rechtskräftiger Ablehnung seines Antrages erfolgen darf, hindern nun Asyl- und Asylfolgeantrag die unmittelbare „Rückführung“ nicht mehr. Durften bisher zwischen Festnahme und Rückflug ins Herkunftsland höchstens 10 Tage vergehen, darf sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Zukunft 28 Tage Zeit lassen. Was bei Faeser verharmlosend „Gewahrsam“ heißt, ist nichts anderes als Haft. Die Neuregelung sieht weiter vor, dass Widerspruch und Klage gegen Bescheide, in denen ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot verhängt wird, keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Rechtliche Standards des Verwaltungsrechts und der Genfer Flüchtlingskonvention sind für Migranten außer Kraft gesetzt.

Suchen Länder- oder Bundespolizei nach einem Abzuschiebenden, dürfen demnächst auch die Wohnräume anderer Migranten in der Gemeinschaftsunterkunft durchsucht werden. Jene, die nach einer Abschiebung wieder einreisen, werden in Zukunft sofort nach ihrem Ergreifen inhaftiert. Ist die Identität nicht geklärt, erhält die Polizei die Befugnis, Mobiltelefone und Datenträger jeder Art zu konfiszieren und auszulesen. In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass die Annahme einer „ungeklärten Identität“ ausländerrechtlich regelmäßig allein an das Fehlen eines gültigen Reisepasses des Herkunftslandes geknüpft ist. Personalausweise, Führerscheine und Geburtsurkunden beinhalten nach herrschender Lesart keinen Beweis der Identität.

Aus der Anwaltspraxis ist bekannt, dass die Jagd nach den Reisepässen von Migranten in Wahrheit einen anderen Hintergrund hat: Die meisten Herkunftsländer weisen Abzuschiebende ohne dieses Papier schlichtweg zurück, ergo kann die Abschiebung nicht durchgeführt werden, der Platz im Flugzeug bleibt leer. Da Kopien oder Fotos den Originalreisepass nicht ersetzen, eine Handyauswertung also von vorneherein ausländerrechtlich sinnlos ist, dient die in Zukunft erlaubte Beschlagnahme der Mobildaten zu nichts anderem als der Einschüchterung der Betroffenen. Für alle, die im Verdacht stehen, ihren Reisepass aus Angst vor Abschiebung versteckt zu haben, will Faeser zusätzlich die Durchsuchung ihrer Räumlichkeiten einführen. Wessen Geistes die Urheber des Papiers sind, lässt sich an der Rechtfertigung zum künftigen Schnellverfahren erkennen: Es liege ja auch im eigenen Interesse der „Asylantragsteller, rasch Klarheit über den Ausgang des Asylverfahrens zu erhalten“. Ganz nach der Logik: Wozu braucht es überhaupt ein Asylverfahren mit dem ganzen unnötigen Ballast von Rechten, Rechtsmitteln und Gerichten?

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Rechtsweg ausgeschlossen", UZ vom 11. August 2023



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