„Bungalow“ von Helene Hegemann – schön schief

Regenwald wie Brokkoli

Von Ken Merten

Helene Hegemann: Bungalow, Hanser Verlag, Berlin 2018, geb. 288 Seiten, 23 Euro (eBook: 16,99 Euro)

Nebst der Natur kündet alljährlich die Longlist des Deutschen Buchpreises noch im Sommer das Ende des Sommers an. Denn was dort vorgestellt wird, ist quasi die der Breite der Lesegemeinschaft vorgeschlagene Schmökerliste für feuchtkalte Herbsttage. Das klingt langweilig und oft ist es das auch.

In diesem Jahr wurde die Longlist gleich mit zwei VerursacherInnen bundesdeutscher Literaturskandale in diesem Jahrtausend aufgepeppt. Da wäre Maxim Biller mit „Sechs Koffer“ (Kiepenheuer & Witsch). Dessen Roman „Esra“ (ebenfalls KiWi) erschien 2003 und wurde kurz darauf wieder eingestampft, nachdem seine Ex, die US-amerikanische Schauspielerin Ayse Romey sowie deren Mutter, dagegen geklagt hatten, weil sie sich im Buch allzu realistisch und ungeschmeichelt, in ihren Augen also falsch, wiederfanden. Autor und Verlag mussten an diese 50000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Zum Enfant terrible Biller gesellt sich in der Buchpreisliste – aus zwanzig Titeln bestehend – Skandalnudel Helene Hegemann, deren Roman „Axolotl Roadkill“ (Ullstein 2010) zuerst als das Sprachmonstrum einer damals Siebzehnjährigen zuerst bekniet und dann zerpflückt wurde, weil sich herausstellte, dass sie für ihre hauptstadthedonistischen Szenen großzügig beim Blogger Airen abgeschrieben hat, ohne sich mit einem Hinweis auf den Diebstahl zu bedanken.

Auf „Jage zwei Tiger“ (Hanser, 2013) wurde schon verhaltener reagiert. Hegemann schrieb später das Drehbuch zur im letzten Jahr angelaufenen Verfilmung ihres Debüt-Bestsellers, „Axolotl Overkill“. Für den Buchpreis ist sie nun nominiert mit ihrem jüngst bei Hanser erschienenen dritten Roman „Bungalow“. In dem lebt Charlie zwischen Schimmel, kahlen Wänden und Phasen ohne Geld und Essen mit ihrer alkohol- und pillenabhängigen, manchmal halbrohes Huhn fressenden und gewalttätigen Mutter in einer Platte in einer Stadt, die (West-)Berlin ganz nahe kommt. Den abgefuckten Betonmietskasernen gegenüber – kapitalistischer Offensichtlichkeit entsprechend – stehen Bungalows für die besser Betuchten. Dort zieht das Schauspielerpaar Georg und Maria ein, in das sich das zu dem Zeitpunkt zwölfjährige Mädchen hart verknallt. Vor allem Maria hat es Charlie angetan, einer Darstellerin und Künstlerin mit Leib und Seele, die gar nicht dem entspricht, was das Prekariat so an Nichts anbietet, wenn man nicht mal eigenes WLan hat. Maria ist Geldverdienerin und Alphatier in der Beziehung zu Georg. „Sollte es in der gesamten Weltliteratur je ein tieferes Gefühl gegeben haben als Georgs Liebe zu ihr, wusste sie genauso wenig davon wie ich.“

Mit der zwischenmenschlichen Konstellation im Dreieck mit Altersgefälle bricht Hegemann mit einigem an hegemonialen Vorstellungen von Männlein-Weiblein-Beziehungen und emotionaler Abhängigkeit.

Die Coming-of-Age-Geschichte samt Brutalität, Rausch, Sex und Freundschaft konterkariert eine Reihe Tode und Selbstmorde – der Stiefvater einer Klassenkameradin suizidiert sich zum Beispiel, nachdem er sich im Schlaf auf sein Baby gerollt hat. Apokalyptische Vorausschauen auf Krieg und Naturkollaps erweitern das Sozialmilieu-Setting und finden ihren gelungensten Konnex im permanenten Verrecken kleinerer und größerer Tiere auf den Straßen, Grünflächen und Parkplätzen, die sich die Klassengesellschaft teilen muss, ohne dabei die Kluft dazwischen zu überwinden.

Selbst die Figuren sind oft keine wirklichen Figuren, sondern Sammelsurien von Gegensätzlichkeiten und unterlaufen die Erwartungshaltung so, als wäre das ihr einzig täglich Brot. Exemplarisch ist da die meschuggene Mutter von Charlie, die unberechenbar zwischen Wahn, Missbrauch und Fürsorge springt. Man misstraut jedem Anflug von Mitleid ihr gegenüber sofort und kann solche Empfindungen trotzdem nicht unterdrücken.

All die Krassheit schafft schließlich eine Collage aus Ungleichzeitigkeiten und aus für Hegemann typischen, zum Ende aber abflachenden Anekdoten aus halbabsichtlichen Ungenauigkeiten und hingenommenen Katastrophen. Zu diesem Mosaik lässt sich sagen, was Charlie halbverhungert in einem Dönerimbiss über ein mit „Sieht aus wie Brokkoli“ unterschriebenem Poster vom Regenwald sagt.

„Bungalow“ ist eines der Werke, zu denen mir unvermittelt das Wort „originell“ einfällt. Es stellt eine Oberfläche aus, etwas, das plastische Mosaiken liefern sollen oder ein Poster, auf dem durchaus Fotos von Tropen und Gemüsebeilagen zum Verwechseln ähnlich sein können. Für Literatur jedoch reicht keine noch so interessante Oberfläche, wenn sich dahinter nur halbe Haltungen verbergen und die der Literatur eigenen Dimensionen herunter gekürzt werden. Denn das als dem Zeitklima abgespiegelte Ambivalenzen zu entschuldigen, wäre ein zu großes Zugeständnis. Dafür ist auch die Story zu unmotiviert und ab der zweiten Hälfte auch nicht mehr unterhaltsam. Selbst die Suizide wirken auf Dauer in dieser Tragikomödie dröge, willkürlich und stiften unfreiwillig Langeweile.

So ist der Roman in seinem turbulenten ADHS-Stil eine schöne Schiefheit, gehemmt lasziv. „Bungalow“, der am Ende brav eine Quellenangabe aufweist, reicht aber an den Knall von „Axolotl Roadkill“. Für den Deutschen Buchpreis daher nicht zu unrecht nominiert.

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Über den Autor

Ken Merten (seit 1990) stammt aus Sachsen. Er hat in Dresden, Hildesheim und Havanna studiert. Seine Schwerpunkte sind die Literatur der Jetztzeit, Popkultur und Fragen von Klassenkampf und Ästhetik. 2024 erschien sein Debütroman „Ich glaube jetzt, dass das die Lösung ist“ im Berliner XS-Verlag.

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"Regenwald wie Brokkoli", UZ vom 12. Oktober 2018



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