Die Ausstellung „Karl Marx und der Kapitalismus“ in Berlin ist nicht so unerfreulich wie befürchtet und nicht so spannend wie erhofft

Rosaroter Sonntagsausflug

Was haben eine Opiumpfeife, ein Pinguin und ein Fahrrad gemeinsam? Man findet alle drei in der Karl-Marx-Ausstellung im Deutschen Historischen Museum in Berlin, die noch bis zum 21. August läuft – das Fahrrad als Beispiel für die bunte Warenwelt, der Pinguin wegen der Guano-Produktion und die Opiumpfeife in der Themenecke zur Religionskritik.

Von diesen Themenblöcken gibt es noch sechs weitere – „Judenemanzipation und Antisemitismus“, „Revolution und Gewalt“, „neue Technologien“, „Natur und Ökologie“, „Kämpfe und Bewegungen“, „Ökonomie und Krise“. Obwohl diese Auswahl deutlich von einer aktuellen Perspektive geprägt ist, gelingt es, relevante Bezüge zu den Schaffensphasen von Marx herzustellen. Und auch wenn die Auswahl der Exponate manchmal beliebig erscheint, hat sich das Team, das die Ausstellung erarbeitet hat, durchaus Gedanken gemacht, wie man die verschiedenen thematischen Stationen und biographischen Ereignisse illustrieren kann – etwa durch Fotografien, Gemälde und Karikaturen, Maschinen, die im 19. Jahrhundert modern waren, die letzte erhaltene Seite des Manifests, einen von Marx‘ Tochter bemalten Porzellanteller oder eine Fahne der Internationalen Arbeiterassoziation.

Manches ist auch ungewöhnlich, etwa das Spiel „Strikes“, das die Familie Marx angeblich oft zu Hause spielte, dessen Regelwerk aber verschollen ist und das man trotzdem irgendwie in der Ausstellung spielen kann, mit neuen Regeln. Oder die Pumpe zur Veranschaulichung der Mehrwerttheorie. Beim Selbstversuch floss durch mehr Pumpen allerdings vor allem Kapital aus einem großen Wasserbehältnis ab und wurde danach auch nicht mehr als vorher, aber vielleicht hat das Ganze auch eine unverstandene tiefere Bedeutungsebene. Die Treppe rauf stinkt‘s dann ein bisschen – angeblich nach Maschinenöl, Schweiß, Geld und Holz. Das ist eine Geruchsinstallation, durch die man die wesentlichen Duftnoten dieses Gesellschaftssystems erschnüffeln kann. Besonders gut riecht er nicht, der Kapitalismus.

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(Foto: © Deutsches Historisches Museum/Yves Sucksdorff)

Etwas willkürlich zusammengestellt ist dann auch die Ecke zur Marx-Rezeption – das „Alle reden vom Wetter“-Plakat des SDS hängt unter NS-Propaganda gegen die Marxisten, in der internationalen Ecke finden sich Fotos aus Kuba, Angola und Kambodscha mit etwas historischem Sicherheitsabstand zum Chávez auf der anderen Seite der Wand, bei den Büchern stehen Piketty, Eagleton und Jaeggi. Also von allem ein bisschen, aber im Rahmen. DKP und SDAJ tauchen nicht auf, natürlich nicht, wer findet die denn schon wichtig.

Die Ausstellung kommentiert eher durch die Zusammenstellung und Auswahl als durch Texte. Einige altbekannte Vorwürfe tauchen en passant trotzdem auf, etwa, dass Marx in seinen frühen Jahren antisemitisch argumentiert habe. Davon habe er aber später Abstand genommen. Inhaltliche Auseinandersetzungen spielen dann auch nur eine untergeordnete Rolle, der Gewaltbegriff steht zum Beispiel etwas verloren im Raum. Eher am Rande wird dann doch eine Kluft aufgemacht zwischen Leben und Werk von Marx selbst und dem, was später daraus gemacht worden sei. Zu Lebzeiten seien viele seiner Werke noch gar nicht veröffentlicht gewesen, erst im Nachgang sei sein Einfluss gewachsen. Lenin habe sein Werk dann instrumentalisiert sowie monopolisiert und der Marxismus-Leninismus hätte zur Legitimation autoritärer Regime gedient. So kann man sich halt über die Marx-Devotionalien freuen und muss sich mit so etwas Profanem wie Realsozialismus gar nicht auseinandersetzen.

Ein bisschen Totalitarismustheorie darf am Ende nicht fehlen. Die taucht am Deutlichsten dadurch auf, dass das Deutsche Historische Museum die Marx-Ausstellung der zu Wagner gegenüberstellt: Beide hätten sich mit Kapitalismus auseinandergesetzt und Kritik daran gehabt, der eine von links, der andere von rechts. Auf den einen hätten sich die Staaten bezogen, die im Namen von Kommunismus Folter und Mord begingen, auf den anderen die Bewegungen, die mit massiven Verbrechen, radikalem völkischen Antisemitismus und Holocaust in Verbindung stehen.

Es hätte wohl trotzdem schlimmer kommen können mit der Marx-Ausstellung. Viel Neues erfährt man aber auch nicht, auch wenn manches Leben und Werk ganz nett illustriert. Das wirft die Frage auf, für wen die Ausstellung gedacht ist. Zumindest eine sozialdemokratische Familie beim Sonntagsausflug kann man sich aber ganz gut darin vorstellen.

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"Rosaroter Sonntagsausflug", UZ vom 24. Juni 2022



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