Die Stuttgarter wehren sich seit sechs Jahren gegen die Zerstörung ihrer Stadt

Ruine 21

Von Björn Blach und Alexander Schäfer

Stuttgart 21 macht mal wieder bundesweite Schlagzeilen und schickt sich an, die Chaosbaustelle Berliner Flughafen wieder vom Thron der größten Unsinns­projekte in Deutschland zu stoßen.

Im Juni musste dem Bahnaufsichtsrat eingestanden werden, dass der Kostenrahmen ein weiteres Mal gesprengt wird, der Eröffnungstermin nicht zu halten ist. Der zuständige Bahnvorstand Kefer kündigte in diesem Zusammenhang seinen Rücktritt an.

Die Kostenüberprüfung des Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 veranschlagt Baukosten von zehn Mrd. Euro. Ähnliche Zahlen stehen auch in einem internen Papier des Bundesrechnungshofes.

Kein Projektpartner der Bahn ist bereit die Mehrkosten zu tragen. Trotzdem sind sie sich einig, dass weitergebaut werden muss. Denn schon jetzt hängen die fünf Großbaustellen in der Stadt teils Jahre hinter den Plänen her. Viel mehr als Abriss- und Vorbereitungsarbeiten sind noch nicht geschafft.

Am Bahnhof selbst gibt es den geringsten Baufortschritt. Ein Gang über das Gelände überzeugt von der Totengräberarbeit, es existiert noch nicht einmal ein Grundstein. Das bisherige Ergebnis ist die Zerstörung des Stadtbilds, immense Umweltschäden durch die Zerstörung des Parks, Bedrohung der wichtigen Mineralquellen. Das Verkehrschaos – besonders im S-Bahn-Verkehr – wird inzwischen verstärkt durch die Umleitung zentraler U-Bahn-Linien.

An vielen Baustellen zeigt sich schnell, dass die Planungen der Bahn mangelhaft sind. Fast überall musste der Lärmschutz verbessert werden. Im Stadtteil Untertürkheim musste die Bahn Anwohnern monatelange Hotelunterbringung anbieten. Im Nordbahnhofsviertel klagen Anwohner über massiven Baustellenverkehr bis spät in die Abendstunden, selbst am Wochenende. Die schweren LKW sollten laut der Pläne schon lange über eine eigene Baustraße fahren. Selbst die ist noch nicht fertig.

2010 wurde hastig begonnen, um von der Mär der Unumkehrbarkeit zu überzeugen, bevor Finanzierung und Planung endgültig geklärt waren. Es wird gebaut, ohne bezahlt zu sein. Die Überprüfung der Sicherheitsstandards erfolgt nach Vollendung des Baus, wenn also an diesen nichts mehr geändert werden kann. Das Ergebnis sind ungeklärte Brand- und Wasserschutzfragen.

Trotz alledem ist der Widerstand in Stuttgart nach wie vor aktiv. Jeden Montag kommen Hunderte auf dem Marktplatz zusammen, feierte die Mahnwache ihren sechsten Geburtstag. Jede Möglichkeit wird genutzt, um der Bahn Sand ins Getriebe zu streuen. Aber es gibt auch Zukunftsvisionen.

Das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 hat nun ein Umstiegskonzept vorgelegt, das als Alternative zu einer vollständigen Rückgängigmachung die Nutzung der bereits entstandenen Baustelle vorsieht. Es sind dabei Pläne entstanden, die die Wiederherstellung der Parkanlagen und des Busbahnhofs beinhalten sowie die Nutzung der Baugruben für Parkplätze und Fahrradständer. Der Bahnhof soll als Kopfbahnhof erhalten bleiben und damit die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Personenverkehrs verbessert werden. Das neue Bahnhofsgebäude und im wiederherzustellenden Park soll für die Menschen gebaut werden.

Die Prestige-Ruine Stuttgart 21 erlebt aktuell eine weitere Krise, dennoch kommen von Bahn und Politik weiter Durchhalteparolen, bei denen jetzt auch die Grünen mitmachen dürfen.

Was sind schon zehn Mrd. Steuergelder? Steuern zahlen eh zum Großteil die Arbeiter, wenn noch größere Profite winken. Riesige Grundstücke in bester, sprich teuerster, Stuttgarter Lage werden zu haben sein, ein Riesengeschäft, um die Immobilienblase weiter aufzupusten.

Damit soll das Projekt auch dem Umbau der Innenstädte im Interesse der Kapitalverwertung Vorschub leisten.

Der Rückbau von Schienenkapazität macht einen Ausbau des Straßenverkehrs notwendig, was der Automobilindustrie zupass kommt, die ja ein verstärktes Interesse an Stuttgart 21 hat. Die IHK (Industrie- und Handelskammer) ist in den Händen von Daimler-Benz, Bosch und Porsche, die gewissermaßen die Triebfedern von Stuttgart 21 sind.

Hinzu kommt der politische Wille, dem Widerstand auf keinen Fall nachgeben zu wollen.

Das gesamte Monopolkapital und seine politischen Handlanger wollen Stuttgart 21 nach wie vor. Kostensteigerungen oder Terminverzögerungen werden sie nicht zum Einlenken bringen.

Der Widerstand muss den Weiterbau des Projektes unmöglich machen. Dazu sind die Nadelstiche, die der Bahn versetzt werden, wichtig. Es muss aber gelingen, wieder mehr Menschen auf die Straße zu bringen. Das kann gelingen mit der Forderung nach einem Bau- und Vergabestopp, bis Finanzierung und Planung endgültig geklärt sind. Dann wird sich auch zeigen, dass das Umstiegskonzept der Weg im Interesse des Großteils der Menschen in Stuttgart ist, Stuttgart 21 hingegen nur der Minderheit von Banken, Konzernen und Reichen zugute kommt.

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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"Ruine 21", UZ vom 5. August 2016



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