Zum Briefporto

Sachzwänge?

Tim Laumann

Die Deutsche Post stellte den Antrag an die Bundesnetzagentur, vorzeitig das Porto zu erhöhen. Die Teuerung trifft die arbeitenden Menschen und die Rentner scheinbar nicht genug, ein wenig mehr muss drin sein. Begründet wird die Notwendigkeit der Anhebung auch mit den gestiegenen Löhnen der Postler. Diese stiegen zwar unterhalb der Inflationsrate, aber so genau sollte man Konzernpropaganda zur Schröpfung der Bevölkerung ohnehin nicht lesen.

Die Bundesnetzagentur lehnte nun die vorzeitige Portoerhöhung ab, denn es sei ja im Briefgeschäft Geld gemacht worden. ver.di kritisierte diese Entscheidung der Bundesnetzagentur: Es müsse Geld verdient werden dürfen, damit gute Arbeitsbedingungen erhalten bleiben können.

In dieser Argumentation liegen gleich mehrere Fehler: Zum einen wurden die Arbeitsbedingungen die ganze Zeit über schlechter, unabhängig davon, ob der Gewinn stieg oder fiel. Das hängt mit dem Kräfteverhältnis zwischen Kapital und Arbeit im Betrieb und der Gesamtgesellschaft zusammen und nicht mit den Gewinnen der Post.

Was macht denn ein kapitalistisches Unternehmen mit seinen Gewinnen? Es besorgt Maschinen, die die Arbeit verdichten: Verbundautos, Multiformat-Sorter und so weiter. Auch für die verfeinerte Überwachung durch immer neue Software-Updates auf den Zusteller-Scannern war genug Geld da. In der Folge wird die Arbeit intensiviert und Postler werden entlassen. Geld, das tatsächlich in der Ausstattung fehlt, fehlt nicht wegen des mangelnden Gewinns, sondern wegen der postseitig festgelegten knappen Budgets für die Niederlassungen. Das Geld wird als Profit für die Kapitalisten, konkret als Dividende, ausgezahlt und nicht etwa in neue Fahrräder gesteckt.

Eine Gewerkschaft gehört an die Seite der Arbeiter, die gemeinsam mit der Bevölkerung gute Arbeitsbedingungen für die Gesamtgesellschaft fordern. Das steht nicht im Widerspruch zum Preis, den jeder Einzelne für seinen Brief zahlt, sondern zu den Dividenden und Vorstandsgehältern. Die politische Ökonomie des Kapitalismus hilft gegen die sozialpartnerschaftliche Illusion. Die ver.di-Führung scheitert hier an ihrer Aufgabe, die Arbeiter aufzuklären, damit sie hinter die Schein-Sachzwänge blicken können. Sie betet die Sachzwänge lieber an.

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"Sachzwänge?", UZ vom 11. August 2023



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