Jewgeni Jewtuschenko schweigt für immer

Sänger seines Volkes

Von Herbert Becker

Jewgeni Jewtuschenko, 18. Juli 1932–1. April 2017

Jewgeni Jewtuschenko, 18. Juli 1932–1. April 2017

( Cybersky / Lizenz: CC BY-SA 3.0)

Am 1. April verstarb im Alter von 83 Jahren in Tulsa (USA) der russische Dichter Jewgeni Jewtuschenko, dort lebte er seit Anfang der 1990er Jahre und hielt Vorlesungen an der dortigen Universität über russische Literatur, besonders über die Poesie.

Bekannt wurde er weit über die Grenzen der Sowjetunion 1961, als er mit den beiden Gedichten „Babi Jar“ und „Meinst du, die Russen wollen Krieg“ nicht vorveröffentlicht wurde, sondern in vollen Stadien vor Tausenden von Menschen diese Texte und weiteres mit rhetorischer Brillanz sprach oder besser sang. „Babi Jar“ erinnerte an den Massenmord an den Kiewer Juden im Jahre 1941 durch die deutschen Faschisten. Mit den Anfangszeilen:

Über Babi Jar, da steht keinerlei

  Denkmal.

Ein schroffer Hang – der eine

  unbehauene Grabstein.

Mir ist angst.

Ich bin alt heute,

so alt wie das jüdische Volk.

Ich glaube, ich bin jetzt

ein Jude.

Dieses Verbrechen war bis dahin in der sowjetischen Gesellschaft nur wenig bekannt, ob latent vorhandener Antisemitismus dies verursacht hatte, muss leider gefragt werden.

Die 13. Sinfonie von Dimitri Schostakowitsch bezieht sich ausdrücklich auf diesen Text und trägt im Untertitel die Gedicht-Überschrift.

Das zweite Gedicht, das Jewtuschenko in ungeahntem Maße populär machte, wurde von ihm mit Vorliebe gesungen, auch hier einige Zeilen:

Meinst du, die Russen wollen Krieg?

Befrag die Stille, die da schwieg

im weiten Feld, im Pappelhain,

Befrag die Birken an dem Rain.

Dort, wo er liegt in seinem Grab,

den russischen Soldaten frag:

Sein Sohn dir drauf Antwort gibt:

Meinst du, die Russen wollen Krieg?

Natürlich hatte Jewtuschenko immer wieder mal Ärger mit dem einen oder anderen Kulturfunktionär, er liebte auch die Pose des „Dichterrebellen“ oder auch das Etikett „politisch unzuverlässig“, aber in seiner Autobiographie sagt er: „Entweder der Dichter ging und druckte alles, was er wollte, im Westen … oder er blieb und schlängelte sich durch die Zensur wie durch einen Stacheldrahtzaun, in dem er Fetzen der eigenen Haut ließ.“

Jewtuschenko verstand sich als Dichter, nicht als Schriftsteller, er wünschte, er sei ein Sänger seines Volkes, er wollte die helle, klare Sprache der Poesie zum Klingen bringen und geriet doch oft in Widersprüche, die er nicht lösen wollte oder konnte.

Das Wort eines anderen, der die Spannung aushalten wollte, sei als Aufforderung an uns an seinem Grab gesprochen „so wie die Erkenntnis die Sprache ahndet, so erinnert sich die Sprache der Erkenntnis“ (Friedrich Hölderlin).

Jewtuschenkos letzter Wille ist es, in dem Moskauer Vorort Peredelkino begraben zu werden, dort lebten und arbeiteten viele russische Literaten.

 

Meinst du, die Russen wollen Krieg?

Meinst du, die Russen wollen Krieg?

Befrag die Stille, die da schwieg

im weiten Feld, im Pappelhain,

Befrag die Birken an dem Rain.

Dort, wo er liegt in seinem Grab,

den russischen Soldaten frag!

Sein Sohn dir drauf Antwort gibt:

Meinst du, die Russen woll’n,

meinst du, die Russen woll’n,

meinst du, die Russen wollen Krieg?

Nicht nur fürs eig’ne Vaterland

fiel der Soldat im Weltenbrand.

Nein, daß auf Erden jedermann

in Ruhe schlafen gehen kann.

Holt euch bei jenem Kämpfer Rat,

der siegend an die Elbe trat,

was tief in unsren Herzen blieb:

Meinst du, die Russen woll’n…

Der Kampf hat uns nicht schwach gesehn,

doch nie mehr möge es geschehn,

daß Menschenblut, so rot und heiß,

der bitt’ren Erde werd’ zum Preis.

Frag Mütter, die seit damals grau,

befrag doch bitte meine Frau.

Die Antwort in der Frage liegt:

Meinst du, die Russen woll’n…

Es weiß, wer schmiedet und wer webt,

es weiß, wer ackert und wer sät –

ein jedes Volk die Wahrheit sieht:

Meinst du, die Russen woll’n,

meinst du, die Russen woll’n,

meinst du, die Russen wollen Krieg?

Jewgeni Jewtuschenko, 1961

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Über den Autor

Herbert Becker (Jahrgang 1949) hat sein ganzes Berufsleben in der Buchwirtschaft verbracht. Seit 2016 schreibt er für die UZ, seit 2017 ist es Redakteur für das Kulturressort.

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"Sänger seines Volkes", UZ vom 14. April 2017



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