Die KPD im antifaschistischen Abwehrkampf – Teil 4

„Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft“?

Die Herbststreikwelle 1932 wirkte. Ernst Thälmann analysierte auf der 3. Parteikonferenz der KPD im Oktober, dass wesentlich nicht nur eine veränderte Situation und der andauernde Angriff der Kapitalseite seien, sondern die Orientierung auf „eine Wendung zu einer wirklichen Massenpolitik, zu einer Politik der Kämpfe und Aktionen der Massen“ als Grundlage der Kampferfolge der KPD. Das meinte vor allem einen Bruch mit der immer wieder festgestellten Tendenz nur schwach in der Klasse verankerter Parteien, sich auf die Agitation zurückzuziehen, anstatt konkrete Kämpfe zu führen. In einer scharfen Selbstkritik hatte das ZK diese Tendenz in der KPD, die zu diesem Zeitpunkt zu einem immer größeren Teil aus Arbeitslosen bestand, festgestellt. In der Herbeiführung, Durchführung und Unterstützung der Herbststreikwelle konnten die Kommunisten diese Schwäche gezielt angehen. Thälmann wertete aus: „Breite Massen haben zum ersten Mal praktisch erkannt, dass Erfolge nur im Kampf errungen werden können, wie es die Kommunisten und die RGO stets gesagt haben.“

Linksradikale Fehler

Die gleiche Tendenz stellte die KPD kritisch in der Frühphase der Antifaschistischen Aktion und in der Tätigkeit des lange Zeit von einer linksradikalen Fraktion um Heinz Neumann dominierten Kommunistischen Jugendverbandes Deutschlands (KJVD) fest. Thälmann schockierte die jungen Genossen mit der Forderung, weniger abstrakt-verbalradikale Positionen und Einschätzungen zu vertreten und dafür eher konkret die Lage der Arbeiterjugend zu studieren. Mit dem – weiteren – Rechtsschwenk der Sozialdemokratie nach deren Leipziger Parteitag 1931 hatten viele junge Genossen vor allem in den Betriebszellen Kontakte zur Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ) und jungen Gewerkschaftern aufgenommen. Diese Kontakte konnten sehr gut in die Arbeit der Antifaschistischen Aktion, in die Aktionen und Streikkämpfe einfließen. Als man versuchte, unter der Losung einer „Krise in der SAJ“ einen „revolutionären Winter“ auszulösen, wurden diese Kontakte wieder verspielt. Thälmann mahnte zu mehr Besonnenheit und Genauigkeit in der Arbeit. Die Einheitsfront der Jugend herzustellen brauche Zeit.

„Warum wachsen sie dann?“

In diesem Kontext sprach Thälmann eine damals populäre, gleichwohl falsche – weil linksradikale – Losung an: „Natürlich: ‚Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft‘ ist leichter, ist einfacher. Aber, Genossen, wenn das so leicht ist, sie zu schlagen, warum wachsen sie dann?“ Eine Frage, auf die damals wie heute moralisierend-rechtsopportunistische wie linksradikal-massenverachtende Positionen keine Antwort haben.

Woher kam diese Losung? Sie war die Orientierung Neumanns aus dem Jahr des Aufkommens der zweiten faschistischen Welle. Sie war auch eine Reaktion auf die Hinhaltetaktik der Sozialdemokratie und der Freien Gewerkschaften, die es dem bürgerlichen Staat überlassen wollten, den Nazis beizukommen. Dessen Tätigkeit als ideeller Gesamtkapitalist war aber darauf gerichtet, sich mit den Faschisten die Möglichkeit zu erhalten, sie als Reserve-Massenbasis einzusetzen. Ohne die Tätigkeit der diversen staatlichen Stellen – unter anderem in der bayerischen „Ordnungszelle des Reiches“, in der der Nachrichtendienst des Militärs einen jungen V-Mann namens Adolf Hitler in die damaligen rechten Gruppierungen eingeschleust hatte – hätte es keinen Aufbau der Nazipartei gegeben.

Am 5. November 1929 tauchte sie in der „Roten Fahne“ auf als die „einfache“ Lösung des Problems, dass sich große Teile der Volksmassen in der Krise nicht nach links, sondern nach rechts wendeten. Also: Alles Handlanger des Kapitals – draufhauen! Das stand in linksradikaler Tradition – Arkadi Maslow und Ruth Fischer hatten schon 1924 versucht, dem Roten Frontkämpferbund (RFB) eine solche Linie vorzugeben. Dieser wehrte sich: Sicher sei Selbstschutz seine Aufgabe, aber der beste Selbstschutz eines Revolutionärs sei dessen Verankerung. Unter Thälmanns Leitung wurde diese Linie zur Grundlage der Selbstschutz- wie der politischen Arbeit des RFB.

Wer ist der Klassengegner?

Die KPD bemerkte die Beschränktheit dieser Losung sehr schnell: Kaum einen Monat später wurde sie vom Politbüro kritisiert mit der Feststellung, dass weder die kleinen Nazis noch die „kleinen Zörgiebels“ (also Sozialdemokraten) der Klassengegner seien, sondern vielmehr gewonnen werden müssten. Der Gegner seien das Monopolkapital und sein Staat, die Faschisten seien deren Versuch, sich eine Massenbasis zu schaffen. Das ZK musste mehrmals auf diesen Punkt zurückkommen, denn immer wieder gab es die Tendenz, politische Differenzen schlicht mit der Faust zu lösen. Den Ordnungsstaat-Politikern spielte das in die Hände – sie konnten entsprechende Vorfälle als Vorwand für den weiteren Abbau demokratischer Rechte nutzen. Jahrzehnte später nannte der marxistische Faschismusforscher Reinhard Opitz das die „Alibifunktion“ der Faschisten für den Staat. Die Nazis gaben daher die Orientierung heraus, mit den Kommunisten möglichst häufig Händel anzufangen – in den diversen „Führer-Briefen“, in den Anleitungsschreiben der NSDAP-Gliederungen und für die SA wird deutlich: Das Mundwerk dieser Kommunisten, ihre Gedanken und Reden und vor allem ihre konkreten Vorschläge, die Situation der Werktätigen wirklich durch Kämpfe zu verbessern, waren Gift für die „nationale Revolution“.

Gegen die Tendenz, nicht zu überzeugen, sondern draufzuhauen, musste das ZK schließlich schweres Geschütz auffahren: „Ohne auch nur einen Augenblick lang auf die Anwendung aller zweckmäßigen Kampfmittel zu verzichten, ohne auch nur im Geringsten die kommunistische Losung des organisierten proletarischen Massenselbstschutzes gegen faschistische Überfälle und Gewalttaten einzuschränken, erklärte das Zentralkomitee jede Verfechtung oder Duldung der terroristischen Ideologie und Praxis für vollkommen unzulässig. Wer sich von Verzweiflungsstimmungen mitreißen lässt, wer sich von den Feinden des Proletariats sein Verhalten diktieren lässt, wer den faschistischen Provokateuren nachgibt, wer die Parteidisziplin bricht, ist des Namens eines Kommunisten unwürdig“, hieß es 1931 in einem Bericht der „Roten Fahne“ über eine ZK-Tagung der Partei.

Suche nach der richtigen Strategie und Taktik

Die besondere Schwierigkeit, der sich die Genossen gegenübersahen, bestand darin, dass sie real den Angriffen der Faschisten ausgesetzt waren, sich also auch real wehren mussten.

Sich den faschistischen Wellen klar entgegenzustellen brachte der KPD große Sympathien ein – und so falsch die Losung „Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft“ auch war: Sie war Ausdruck der Suche der Kommunisten nach einer richtigen antifaschistischen Strategie und Taktik.

Das Ergebnis der Suche verpflichtet uns auch heute: „Verzweiflungsstimmungen“ müssen wir widerstehen, um uns nicht „von den Feinden des Proletariats unser Verhalten diktieren zu lassen“. Stattdessen brauchen wir eine klare Analyse und die disziplinierte sowie kontinuierliche ideologisch-politische Alltagsarbeit der Partei in Betrieb und Wohnviertel, um die Massen im Kampf um ihre Interessen zu gewinnen.


Kurt Tucholsky griff – mit einer kleinen Abwandlung – die KPD-Losung auf und bescheinigte in einem seiner bittersten – und stärksten – politischen Gedichte der Republik und vor allem der Sozialdemokratie deren Versagen und Zurückweichen vor der faschistischen Gefahr.

Rosen auf den Weg gestreut

Ihr müsst sie lieb und nett behandeln,
erschreckt sie nicht – sie sind so zart!
Ihr müsst mit Palmen sie
 umwandeln,
getreulich ihrer Eigenart!
Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –
Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!
Wenn sie in ihren Sälen hetzen,
sagt: „Ja und Amen – aber gern!
Hier habt ihr mich – schlagt mich
 in Fetzen!“
Und prügeln sie, so lobt den Herrn.
Denn Prügeln ist doch ihr Geschäft!
Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!
Und schießen sie – du lieber Himmel,
schätzt ihr das Leben so hoch ein?
Das ist ein Pazifisten-Fimmel!
Wer möchte nicht gern Opfer sein?
Nennt sie die süßen Schnuckerchen,
gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen …
Und verspürt ihr auch
in euerm Bauch
den Hitler-Dolch, tief, bis zum Heft –:
Küsst die Faschisten, küsst die ­
 Faschisten,
küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft!

Kurt Tucholsky, März 1931

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"„Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft“?", UZ vom 16. Dezember 2022



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