Arbeiterklassefrauen in aktuellen Serien

Schlau sein, zusammenhalten

Dennis Broe, People‘s World

In weiten Teilen der Welt sind heute zwischen 50 und 70 Prozent der Frauen berufstätig. Die meisten verdienen weniger als Männer und viele üben die wesentlichen Dienstleistungs- und Pflegearbeiten aus, die ihre Gesellschaften am Laufen halten. Die Reproduktionsarbeit ist weiterhin unbezahlt und wird als nicht produktiv angesehen.

Zwei Krimiserien beleuchten, wie Frauen aus der Arbeiterklasse sich mit dem Patriarchat auseinandersetzen, das sie überall bedrängt. „Wanted“ (Net­flix) aus Australien zeigt zwei Frauen, die sich zufällig treffen und gemeinsam die Flucht ergreifen müssen, in einer Version von „Thelma und Louise“, die viel klassenbewusster ist als das Original. „Mare of Easttown“ (HBO/Sky Atlantic) zeigt das dichte Geflecht familiärer und sozialer Beziehungen in einer ehemaligen Bergbaustadt in Pennsylvania, in deren Mittelpunkt Kate Winslet als Polizistin steht, die versucht, den Mord an einem jungen Mädchen in der Stadt aufzuklären und dabei ihre Familie zusammenzuhalten.

Die Hauptfiguren bei „Wanted“ sind Lola, eine alternde Kassiererin, die ihren niederen Job nicht liebt und ihren Arbeitsplatz verlässt, wenn ihr danach ist, und Chelsea, eine junge Buchhalterin mit einem reichen Vater, die sich danach sehnt, sich in einem Job zu behaupten, der ihr fremd bleibt. Sie laufen sich über den Weg, weil beide jede Mitternacht an einer sonst menschenleeren Bushaltestelle warten, hätten aber nie miteinander gesprochen, wenn sie nicht plötzlich mitten in einen schiefgelaufenen Drogendeal mit einem korrupten Polizisten hineingeraten wären. Bei ihrer Verteidigung erweist sich Lola als geschickt im Umgang mit einer Waffe, was zu einem Tod und dazu führt, dass sie zusammen mit dem Geld aus dem Drogendeal fliehen müssen, verfolgt sowohl von den Dealern als auch von der Polizei.

Das eigentliche Thema der Serie ist die Beziehung zwischen der aus der Arbeiterklasse stammenden Lola, deren Familie in australischen Gefängnissen keine Unbekannte ist, und der privilegierten Chelsea, die sich danach sehnt, aus einem gemusterten Luxusleben auszubrechen, das sie geerbt hat und das sie letztlich einschränkt und begrenzt. Lola ist raffiniert darin, sich am Rande des Gesetzes zu bewegen, während Chelsea sich als geschickt darin erweist, das Finanzsystem zu manipulieren, das oft gegen sie gerichtet ist.

Anders als „Thelma und Louise“endet die letzte Staffel von „Wanted“ auf einer tragischen Note, aber nicht in einer Tragödie. Es ist ein Eingeständnis innerhalb des Genres, dass sich die Aussichten auf weibliche Emanzipation geändert haben. Sie ist jetzt mehr als nur eine entfernte Möglichkeit.

Kate Winslets „Mare“ ist eine durchnässte, unterdrückte Polizistin aus soliden und nun verfallenden schottisch-irischen Verhältnissen in einem Ort, der weniger Vorort von Philadelphia ist, als vielmehr eine verbitterte Ex-Bergbau-Stadt, deren Minen schon lange geschlossen sind. Mares Familie besteht aus ihrer Mutter, ihrer lesbischen Tochter, die unter dem Tod ihres Bruders leidet, und einem adoptierten Jungen mysteriöser Herkunft. Gleich nebenan wohnt Mares Ex, der, als ob die Wohnsituation nicht schon Folter genug wäre, kurz davor steht, wieder zu heiraten.

Mare ist eine ausgezeichnete Polizistin, die ihr Wissen über die Stadt und ihre Beziehungen sowohl direkt als auch indirekt nutzt, um Verbrechen zu lösen. Niemand ist über jeden Verdacht erhaben, wenn es um den Tod eines jungen Mädchens geht, nicht der örtliche Priester, der sich weigert, darüber zu sprechen, warum er in Mares Gemeinde versetzt wurde, noch der Vater des Sohnes des toten Mädchens, oder sogar der einst verehrte Schriftsteller (Guy Pearce), der jetzt Professor am örtlichen College ist und Mare den Hof macht. Was der Serie ihre Breite und Tiefe verleiht, ist die Darstellung der rohen Emotionen von Mare und den anderen Charakteren in dieser trostlosen Arbeiterklassenumgebung. Jeder kämpft darum, beruhigende Worte statt Fäuste oder aufrührerische Rhetorik zu finden, um sich auszudrücken.

Dieser Kampf, die Unartikuliertheit abzuwerfen, manifestiert sich am stärksten in Mare, die alles tut, um die Menschen um sie herum zu schützen und das zu behalten, was ihr gehört. Dies ist eine der besten US-amerikanischen Serien über den Tribut, den der Mangel an wirtschaftlichen Möglichkeiten von Arbeiterklasse fordert. In Easttown kämpfen die Menschen darum, ihren Kopf über Wasser zu halten, während sie zusehen, wie die um sie herum ertrinken.

Übersetzung und redaktionelle Bearbeitung: Melina Deymann

Wanted
Mit Rebecca Gibney, Geraldine Hakewill und Kerry Fox
Abrufbar auf Netflix

Mare of Easttown
Mit Kate Winslet, Jean Smart und Evan Peters
Abrufbar auf Sky Ticket

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"Schlau sein, zusammenhalten", UZ vom 2. Juli 2021



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