Hessisches „Versammlungsfreiheitsgesetz“ ­verhindert freie Versammlungen

Schlimmer als in Bayern

Am 21. März hat der Hessische Landtag mit den Stimmen der Regierungskoalition von CDU und Grünen ein „Versammlungsfreiheitsgesetz“ beschlossen. Das Gesetz beinhaltet systematische und umfassende Einschränkungen der Versammlungsfreiheit. Es gibt der Polizei weitgehende Möglichkeiten, die Ausübung dieses Grundrechts einzuschränken und enthält unter anderem einen ausführlichen Straftatenkatalog mit einer Liste von 18 Ordnungswidrigkeiten. Damit übertrumpft das frisch beschlossene hessische Gesetz sogar noch die bayerische Gesetzgebung. Erleichtert wird auch das polizeiliche Eingreifen in Versammlungen, das oft zu einer Eskalation der Situation führt.

Künftig wird es schon im Vorfeld einer Demonstration möglich sein, Menschen an Kontrollstellen aufzuhalten und zu durchsuchen. In besonderen Fällen ist auch die Feststellung der Identität erlaubt. Das Recht auf Anonymität ist dadurch faktisch nicht mehr gewährleistet. Es ist absehbar und offensichtlich beabsichtigt, dass derartige Maßnahmen eine abschreckende Wirkung auf die Teilnehmenden haben werden. Auch von Versammlungsanmeldern sowie Ordnerinnen und Ordnern sollen in Zukunft mehr Daten festgestellt werden. Sie sollen geprüft und auch als ungeeignet abgelehnt werden können. Das Gesetz sieht zudem vor, dass die zuständige Behörde festlegen darf, welche Gegenstände und Verhaltensweisen verboten werden. Dies erleichtert pauschal einschränkende Anordnungen und Auflagen für Versammlungen.

Versammlungsbeschränkungen sollen gemäß Paragraf 14 Absatz 1 schon bei unmittelbarer Gefährdung der öffentlichen Ordnung zur Anwendung kommen können. Was „öffentliche Ordnung“ im Zusammenhang mit Demonstrationen rechtlich bedeutet, ist allerdings nicht definiert. „Diese vage Formulierung ist ein massiver Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Einzelnen und lädt zu polizeilicher Willkür ein“, kritisiert Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe e. V. Doch damit nicht genug, soll schon die bloße Vermutung einer „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ durch die Einsatzleitung ausreichen, um Bild- und Tonaufnahmen von Demonstrationen anzufertigen. Diese Regelung verletze das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es sei anzunehmen, dass durch die technischen Auswertungsmöglichkeiten unliebsame Demonstrierende erfasst würden, so die Rote-Hilfe-Sprecherin.

Massive Kritik kommt auch von der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ). Die VDJ beobachte mit Sorge, wie wenig Gehör bürgerrechtlichen Argumenten im Gesetzgebungsverfahren geschenkt wurde. Der Fokus auf bürokratische und obrigkeitsstaatliche Lösungen komme in dem neuen Versammlungsgesetz – wie bereits in den Versammlungsgesetzen anderer Länder – deutlich zum Ausdruck. „Eine demokratische Grundordnung heißt für uns Sensibilität hinsichtlich der Beschränkung von demokratischen Rechten und kollektiven Freiheiten. Wo diese Sensibilität gegenüber berechtigter Kritik fehlt, nimmt die Regierung sehenden Auges eine Klärung vor den Verfassungsgerichten in Kauf“, erklärt VDJ-Bundessekretär Dr. Andreas Engelmann in einer Stellungnahme der Vereinigung. Im Vorfeld der Gesetzesverabschiedung hatte das landesweite Bündnis „Hessisches Versammlungsgesetz stoppen“ einen Appell an die Landesregierung gerichtet und zu einer Demonstration in Frankfurt am Main aufgerufen.

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"Schlimmer als in Bayern", UZ vom 31. März 2023



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