Zum „Rechtsruck“

Schon da

Es ist jetzt fast genau 24 Jahre her, da ging am 4. Februar 2000 ein Aufschrei des Entsetzens durch Österreich und die anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union. Die österreichischen Konservativen von der ÖVP hatten die Parlamentswahl am 3. Oktober 1999 krachend verloren und fanden sich plötzlich und unerwartet nur auf dem dritten Rang hinter den Sozialdemokraten und den rechtsgerichteten „Freiheitlichen“. ÖVP-Chef Wolfgang Schüssel hatte vor der Wahl angekündigt, in einem solchen Fall in die Opposition gehen zu wollen. Nachdem jedoch Versuche einer Regierungsbildung unter SPÖ-Führung mehrfach scheiterten, entschloss sich Schüssel zu einer Zusammenarbeit mit den eigentlich geächteten FPÖ-Leuten unter dem Rechtsaußen-Politiker Jörg Haider.

In Österreich kam es damals zu Protesten, den „Donnerstagsdemonstrationen“. Die EU-Führung stand unter Schock und verordnete ihren Mitgliedstaaten eine Kontaktsperre mit der ÖVP-FPÖ-Regierung. Die damaligen „Sanktionen“ gegen Wien wurden allerdings schon nach acht Monaten aufgehoben und man konnte wieder zur „Normalität“ übergehen.

Diese „Normalität“ hat sich seit 24 Jahren in mehreren Mitgliedstaaten der EU wiederholt. Inzwischen sind Regierungen installiert worden, die das damalige Schüssel-Haider-Kabinett wie einen Kindergeburtstag erscheinen lassen. Der Wahlsieg der Giorgia Meloni in Italien, die sich mehrmals offen zu den Traditionen des Mussolini-Faschismus bekannt hat, führte in Brüssel zu keinerlei Reaktionen in Richtung einer Verurteilung – im Gegenteil: EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen reiste eigens nach Rom, um die neue Regierungschefin schwesterlich zu begrüßen.

Auch die Kungelei des französischen Präsidenten mit Kräften, die deutlich rechts von seiner Partei stehen, um ein Ausländergesetz in der Nationalversammlung durchzubringen, stieß in Brüssel nicht einmal im Ansatz auf Empörung. Genau genommen liegt das auf der Linie, denn die EU betreibt schon seit Jahren eine Politik der Abschottung, die sich gegen die vor Krieg und Not flüchtenden Menschen aus Afrika richtet, statt gegen Krieg und Not als Hauptursachen für deren Flucht.

Im EU-Parlament selbst wimmelt es von Rechtsextremen, die geduldet sind und gehätschelt werden, wenn es darum geht, unliebsame Beschlüsse zu verhindern, wie zum Beispiel in der vergangenen Woche eine Resolution, die einen sofortigen und bedingungslosen Waffenstillstand für Gaza forderte. Da stimmten auch die Konservativen der EVP und der ESP gegen diesen Beschluss, in trauter Einigkeit mit Rechten und ganz Rechten, die sich in Brüssel und Straßburg so bieder und bürgerlich geben.

Es ist gut und richtig, wenn am Wochenende mehrere hunderttausend Menschen in Deutschland gegen einen Rechtsruck auf die Straße gegangen sind und diesen Protesten noch weitere folgen. Allein, es ist nicht nur die AfD, die eine Gefahr für die bürgerliche Demokratie darstellt, denn die rechte Politik wird bereits von denen betrieben, die an der Regierung sind, ebenso wie von den oppositionellen Christdemokraten. Zumindest sollte es zu denken geben, wenn ausgerechnet der bayerische CSU-Chef die Demos lobt.

Die Rechten sind längst in mehreren Ländern in Regierungsverantwortung, sie sind längst die neue „Mitte“. Dagegen muss sich unser Protest richten, um zu verhindern, dass das Rechtsextreme immer wieder zur „Normalität“ wird.

Unser Autor ist Redakteur der luxemburgischen „Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek

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"Schon da", UZ vom 26. Januar 2024



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