Berliner Senat treibt Privatisierung im Schatten der Pandemie voran

Schulen im Ausverkauf

Uli Scholz

Ende 2018 schloss der Berliner Senat einen Rahmenvertrag mit der Wohnungsbaugesellschaft HOWOGE, demzufolge mehr als 30 Schulen ins Eigentum der landeseigenen GmbH übergehen sollen. Durch diese formelle Privatisierung im Wege des Erbbaurechts sollten die Sanierung und der Neubau von Schulen ohne Zahlungsmittel aus dem Landeshaushalt erfolgen, um so die „Schuldenbremse“ zu umgehen. Nun hat der Berliner Senat die Zahl der betroffenen Schulen auf 39 gesteigert und Vertragsmuster vorgelegt, die eine vollständige Privatisierung der Schulgebäude und Schulhöfe ermöglichen.

„Die HOWOGE kann zu einem beliebig hohen Preis an jeden beliebigen Investor verkaufen“, heißt es in der Stellungnahme des Rechtsanwalts Benno Reinhardt für „Gemeingut in BürgerInnenhand“. Außerdem würde ein Verkauf der HOWOGE zum Verlust der Schulimmobilien führen. Die Vertragsmuster sind die Vorlage für die Verträge, die alle beteiligten Bezirke als Schulträger für jede Schule einzeln abschließen müssen. Da darin der eigentlich übliche Zustimmungsvorbehalt fehlt, wäre ein Verkauf der Schulen nicht an das Einverständnis des Landes gebunden. Lediglich während der Bauzeit der Schulen ist im Verkaufsfall ein Heimfall an das Land vorgesehen.
Die skandalösen Vertragslücken kommen als Draufgabe auf die formelle Privatisierung der Schulen, die von der Volksinitiative „Unsere Schulen“ im November 2018 selbst mit mehr als 30.000 Unterschriften nicht hatte verhindert werden können. Einige Argumente:

  • Abgezahlt soll werden, was Bau oder Sanierung gekostet haben werden, es gelten keine Obergrenzen, sondern das Prinzip der Kostenmiete.
  • Baumängel sollen keinesfalls zur Mietminderung führen, da das Land gegenüber den Investoren einen Einredeverzicht ausspricht. Gemietet muss dann werden, was auch immer dastehen wird. Das Gesamtrisiko liegt damit beim Land.
  • Die Schulen sollen 30 Jahre lang an die Berliner Bezirke rückvermietet werden. Die so in die Zukunft verschobenen Kosten sind unkalkulierbar, da die echten Verträge dem Betriebs- und Geschäftsgeheimnis unterliegen.

Der Gesamtnutzen liegt bei den privaten Investoren. Sie können die Erbbaurechts- und Mietverträge als Finanzprodukte am Markt handeln und so Profite erlangen. Damit ist das Ganze identisch mit öffentlich-privaten Partnerschaften. Die nun geplante Verkaufsfreigabe dürfte den Wert der Verträge am Finanzmarkt erheblich steigern, da nicht nur jedes Risiko, sondern nun auch Nutzungseinschränkungen effektiv wegfallen. Allein die Baukosten dürften einmal weit über eineinhalb Milliarden und damit in der Dimension des berüchtigten Großflughafens liegen.

Der rot-rot-grüne Senat hatte seit Beginn der „Berliner Schulbauoffensive“ auch in der Partei „Die Linke“ und im DBG Berlin-Brandenburg Unterstützer. Deren Narrativ ist nun zusammengebrochen: Der landeseigene Vertragspartner HOWOGE verspreche Sicherheit, hieß es, und der Schulbau gehe schneller. Nun zeigt sich: Die HOWOGE GmbH kann verkaufen und hat innerhalb von fast zwei Jahren keinen einzigen Spatenstich für einen Schulbau veranlasst. Versprochen hatte die Berliner Linkspartei eine Privatisierungsbremse, tatsächlich gibt es einen Privatisierungsbooster.

Angesichts der großen Zahl der HOWOGE-Neubauten von zurzeit 29 muss davon ausgegangen werden, dass in Berlin bald keine einzige Schule mehr im öffentlichen Recht gebaut werden wird. Denn: Die HOWOGE-Verträge werden in Stein gemeißelt, da sie als Verträge bürgerlichen Rechts vor Gericht einklagbar sind. Im Unterschied dazu können Haushaltspläne (und damit öffentliche Investitionen) jederzeit angepasst werden. Privater Schulbau muss, staatlicher Schulbau kann.

Seit Mitte der 1990er Jahre, als die Umstellung des Schulgebäudeunterhalts auf marktwirtschaftliche Prinzipien begann, wird der Schulverfall systematisch betrieben. Mit rassistischen Pöbeleien lenkte der frühere Finanzsenator Thilo Sarrazin die Öffentlichkeit von seinem Hauptwerk ab: der strengen „Plafondierung“ (= Deckelung) der Bezirkshaushalte. Die Obergrenze der Zuweisungen für den Gebäudeunterhalt ist seitdem der Median der Kosten eines Schulplatzes in allen Berliner Bezirken: Automatisch müssen jedes Jahr fünf der zwölf Berliner Bezirke mit den Schulen ein Haushaltsdefizit einfahren und später ausgleichen. Logisch, dass seitdem nur noch die dringendsten Reparaturen erfolgen und in vielen Schulen Räume und auch ganze Bauteile gesperrt sind.

Dem Anschein nach ist der Schlusspunkt unter eine 25-jährige Schulprivatisierung nun bald gesetzt. Aber dem ist nicht so. Die Unternehmensberatungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers schlug 2016 vor, eine privatrechtliche Gesellschaft möge bundesweit Infrastrukturinvestitionen akquirieren: das Berliner Modell auf nationaler Ebene. Auf dieser Linie blieb der heutige Berliner Finanzsenator Mathias Kollatz kürzlich mit seiner Idee, angesichts neuer (Corona-)Haushaltsschieflagen möge sich „der Bund“ künftig um die Schulen kümmern.

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"Schulen im Ausverkauf", UZ vom 12. Juni 2020



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