ver.di fordert Übernahme aller Beschäftigten bei der Versteigerung von Air Berlin

Slot-Geschacher

Von Nina Hager

Am Freitag der vorigen Woche war es um 14 Uhr soweit: Wer bis dahin seine Übernahmeofferte für die Fluggesellschaft Air Berlin (oder Teile davon) nicht abgegeben hatte, geht auf jeden Fall leer aus. Doch die Bieter, über die Anfang dieser Woche in den Medien noch spekuliert wurde – unter ihnen sind aber auf jeden Fall die Lufthansa und Niki Lauda gemeinsam mit Condor –, vor allem aber die mehr als 8 000 Beschäftigten der insolventen Fluggesellschaft werden bis nach den Bundestagswahlen auf das Ergebnis des Bieterverfahrens warten müssen.

Denn der Termin dafür wurde kurzfristig verschoben. Und so wird es noch einige Tage dauern, bis die Zukunft der Air Berlin geklärt ist – oder auch nicht. Seit vielen Jahren kämpft Air Berlin mit zunehmenden Schwierigkeiten. Vor allem seit dem Börsengang im Jahr 2006. Die Umsätze und die Zahl der Fluggäste stagnierten oder sanken. Nachdem Anfang August dieses Jahres Etihad, die staatliche Airline der Vereinigten Arabischen Emirate, die weitere finanzielle Unterstützung ihrer Beteiligung aufgekündigt hatte, mussten die Fluggesellschaft und ihre persönlich haftende Gesellschafterin (Air Berlin PLC) am 15. August 2017 Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in Eigenverwaltung stellen. Die Bundesregierung gewährte der Airline danach zur Fortführung des Flugbetriebs und als Überbrückung eine Bundesbürgschaft in Höhe von 150 Mio. Euro. Deshalb und weil sie selbst im Bieterverfahren offenbar die Lufthansa favorisiert, liegt es auf der Hand, dass es auch für die Verschiebung vor allem politische Gründe gibt. Die Gewerkschaft ver.di kritisierte am vergangenen Freitag die Verschiebung der Entscheidung für Air Berlin als verantwortungslos. Dies gehe „vor allem zu Lasten der Beschäftigten, die endlich Entscheidungen über ihre Arbeitsplätze und über ihre Zukunft wollen“, sagte Christine Behle, ver.di-Bundesvorstandsmitglied. Die Nerven würden bei den betroffenen Beschäftigten blank liegen, sie seien in großer Sorge um ihre Arbeitsplätze.

Diese Sorge wird gewiss nicht kleiner, wenn die Lufthansa, wie geplant, große Teile von Air Berlin übernimmt. Eine vollständige Übernahme ist – angeblich auch aus kartellrechtlichen Gründen – unwahrscheinlich. Und deshalb werden jetzt, wenn es denn zur Entscheidung kommt, zwei oder möglicherweise sogar mehr Bieter den Zuschlag erhalten. Doch es geht dabei nicht vorrangig um die Flugzeuge der insolventen Air Berlin oder um günstige Leasingkonditionen für diese. Vielmehr wird mit dem Ende von Air Berlin, bislang hierzulande nach der Lufthansa die Nummer zwei im Geschäft, der hiesige Luftfahrtmarkt neu geordnet. Wichtig sind die Start- und Landeberechtigungen, die sogenannten Slots. Air Berlin hielt bislang zusammen mit ihrer Tochter Niki fast die Hälfte aller Slots in Berlin-Tegel sowie mehr als 160000 weitere Start- und Landeberechtigungen pro Jahr auf anderen deutschen Flughäfen.

Man kann annehmen, dass sich in diesem Wettbewerb die Stärksten durchsetzen werden, was auf Kosten der Beschäftigten gehen dürfte. Dass bei ihnen, aber auch bei den Kunden der Airline, Unruhe und Unsicherheit wuchsen, ist nachvollziehbar. In der vorigen Wochen meldeten sich Piloten reihenweise krank – während das Bodenpersonal teilweise Überstunden leistete, um den Flugbetrieb zu sichern oder Reisende zu betreuen. Viele Piloten fürchten, dass sie im Falle einer Übernahme durch einen Käufer mit Lohneinbußen von mindestens 30 Prozent zu rechnen haben. Doch die Techniker, das Boden- und das Kabinenpersonal können nicht einmal damit rechnen. Weder für sie noch für die Piloten gibt es bislang einen Sozialplan. ver.di fordert aber mehr für alle Beschäftigten, nämlich den Erhalt der Arbeitsplätze und die Sicherung tariflicher Ansprüche der Beschäftigten. „Wir fordern, dass die Interessenten nicht nur Start- und Landerechte, sondern auch die Beschäftigten übernehmen. Die Bedingungen der Übernahme müssen in fairen Tarifverträgen vereinbart werden“, so Christine Behle.

Am Dienstag und Mittwoch der vorigen Woche wurden mehr als 200 Air-Berlin-Flüge abgesagt. Von einem wilden Streik war die Rede. Am Donnerstag normalisierte sich der Flugbetrieb wieder. Eigenartig ist allerdings, dass, wie die „Rheinische Post“ am Montag berichtete, in diesen Tagen durch das Management auch Flüge gestrichen wurden, obgleich die Crews anwesend waren. Und dass ebenso schnell in der Folge die Flugpreise auch für Geschäftsreisende stiegen.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Slot-Geschacher", UZ vom 22. September 2017



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