Die Gespräche über eine mögliche gemeinsame Regierung beginnen

SPD übernimmt „Verantwortung“

Von Nina Hager

Der Parteitag, auf dem sich die SPD „kapitalismuskritisch“ zeigen wollte, wurde von folgenden Unternehmen gesponsert: die RWE-Tochter amprion, die Krankenkasse AOK und die Automobilhersteller Audi, BMW und Roll-Royce. Daneben finanzierten die Bundesverbände der Autoclub ACE, der Energie- und Wasserwirtschaft, AWO, der Steuerzahlerbund Deutschland e. V., Erneuerbare Energie e. V., Garten-, Landschafts- und Sportplatzbau e. V., Geothermie, Windenergie, der Lebensmittelwirtschaft und des deutschen Baugewerbes das Stelldichein der deutschen Sozialdemokratie.

Kommt es doch zu einer Neuauflage der Großen Koalition? Nach wie vor ist das in der SPD umstritten. Denn vielen in der Partei ist klar, dass eine weitere Große Koalition die Sozialdemokraten noch tiefer in die Krise führen wird. Vor dem SPD-Parteitag in der vorigen Woche hörte man selbst aus dem rechten Seeheimer Kreis der Partei keine laute Forderung sich an Verhandlungen über eine Fortsetzung der Koalition mit den Unionsparteien zu beteiligen, aber man müsse „kompromissfähig“ sein und mit der Union reden. „Spätestens das Scheitern der Sondierungsverhandlungen für eine Jamaikakoalition hat gezeigt, dass wir bei aller Beschäftigung mit uns selbst nicht in eine Oppositionsromantik verfallen dürfen“, hieß es in einem vor dem Parteitag vorgelegten 21-Thesen-Papier der Seeheimer.

Mittlerweile ist das Geschichte. Auf dem SPD-Parteitag in Berlin (7. bis 9. Dezember) wurde bereits am ersten Tag über diesen, derzeit größten Streitpunkt in der Partei diskutiert. Doch der Parteivorsitzende Martin Schulz hatte eingangs in einer kämpferischen Grundsatzrede nicht nur die Verantwortung für das schlechte Ergebnis der Partei bei den Bundestagswahlen übernommen, ein sozialeres Europa, soziale Gerechtigkeit im eigenen Land, armutsfeste Renten, den Kampf gegen Massenentlassungen usw. gefordert sowie die Erneuerung der SPD beschworen. Er warb in dieser Rede vor allem darum, mit Blick auf eine neue Bundesregierung – trotz aller Skepsis und Ablehnung in der Partei –, „Verantwortung wahrzunehmen“ und „ergebnisoffene Gespräche“ mit den Unionsparteien zu führen. Dafür erhielt er auf dem Parteitag nach kontroverser fünfstündiger Debatte die Mehrheit der Stimmen. Der Antrag der Jusos, eine erneute Koalition mit den Unionsparteien abzulehnen, fiel durch. Andrea Nahles, die noch vor Kurzem für eine SPD in der Opposition stand, freute sich, dass die Unionsparteien nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen nun wieder auf die SPD angewiesen seien, um eine Regierung zu bilden. „Es gibt doch kein Naturgesetz: Opposition gleich starke SPD. Und Regierungsbeteiligung gleich schwache SPD.“ Sie kündigte eine „eisenharte“ Verhandlungspolitik in den Gesprächen mit der Union an. „Wir schenken denen nichts. Bätschi, das wird teuer.“ Auch Parteivize Olaf Scholz verteidigte die Entscheidung, Gespräche mit der Union zu führen: „Wir können uns nicht einfach davonstehlen, damit machen wir es uns zu einfach.“ Die Aufgabe sei, die neue Lage zu bewerten und alle Alternativen auszuloten.

Ein erstes „ergebnisoffenes“ Gespräch der SPD mit den Unionsparteien soll nun am Mittwoch dieser Woche stattfinden. Am Freitag entscheidet der SPD-Parteivorstand ob es zu förmlichen Sondierungsgesprächen kommt. Vielleicht folgt dann vor Weihnachten noch ein Treffen. Ob aber den ersten Gesprächen und möglichen Sondierungstreffen Verhandlungen über eine neue Große Koalition folgen, soll im Januar ein Sonderparteitag – und nicht wie vorher vorgesehen ein Parteikonvent, auf dem neben den nur 200 Delegierten aus allen Landesverbänden auch alle 35 Vorstandsmitglieder mit abstimmen könnten, – entscheiden. Der Vorstand hatte dazu auf dem SPD-Parteitag in der vorigen Woche einen Antrag des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen akzeptiert. Noch hört man aus der Partei, viele andere Wege – von einer „Kooperationskoalition“, d. h. einer Koalition, bei dem nur bestimmte Kernprojekte im Koalitionsvertrag verankert werden und andere bewusst offen bleiben, damit sie im Bundestag diskutiert und ausverhandelt werden können, über die Tolerierung einer Minderheitsregierung bis zu Neuwahlen – seien möglich. Aber sind die Weichen nicht schon gestellt? Und wird es wirklich eine „eisenharte Verhandlungspolitik“ der SPD-Vertreter in den Gesprächen mit der Union geben?

Olaf Scholz rief vor dem ersten Gespräch mit den Unionsparteien am Mittwoch alle Beteiligten zur Zurückhaltung auf. „Es wäre nicht klug, in dieser Phase rote Linien zu ziehen oder Punkte für unverhandelbar zu erklären.“ Daran seien die Jamaika-Verhandlungen gescheitert. „Deshalb tut die Sozialdemokratische Partei das nicht, und – wenn ich das richtig sehe – tun das auch die Verantwortlichen in der Union nicht.“ Johannes Kahrs, der Sprecher des Seeheimer Kreises der SPD, erklärte am Dienstag der „Passauer Neuen Presse“, ohne gemeinsame Schwerpunkte werde es keine neue Zusammenarbeit mit der Union geben. „Zentral wird sein, dass man gemeinsame Projekte für eine Kooperation, eine Minderheitsregierung oder eben doch eine schwarz-rote Regierung findet. Notwendig wären Ziele mit Strahlkraft, die uns weitertragen, auch wenn es einmal schwierig wird.“ Daran habe es bei den Jamaika-Gesprächen völlig gefehlt. Für die SPD stehe die Stärkung der EU ganz weit vorne. Beide sind sich nicht nur da mit Kanzlerin Angela Merkel einig, die am Montag vor der Presse erklärt hatte, sie sehe auch „Schnittmengen“ zwischen den Unionsparteien und den Sozialdemokraten. Keine Übereinstimmung dürfte es nach wie vor vor allem in Bezug auf eine „Obergrenze“ sowie den Familiennachzug für Flüchtlinge mit eingeschränktem Schutzstatus geben.

Die SPD wird viele ihrer aktuellen Forderungen aufgeben müssen, die eigentlich das „Profil“ der Partei schärfen sollten, wenn sie tatsächlich wieder in die Regierung geht. Der Co-Vorsitzende der Partei „Die Linke“, Bernd Riexinger, erklärte dazu nach der Rede von Schulz auf dem SPD-Parteitag unter anderem: „… unter Bundeskanzlerin Merkel wird es keinen Aufbruch für soziale Gerechtigkeit geben. Grundlegende Veränderungen wie armutsfeste Renten, eine Bürgerversicherung, Steuergerechtigkeit, Maßnahmen gegen Lohndumping und prekäre Arbeit sowie ein Ende der europäischen Kürzungspolitik sind mit der CDU/CSU nicht zu machen.“

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"SPD übernimmt „Verantwortung“", UZ vom 15. Dezember 2017



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