Schulz will die „Erneuerung“ der SPD und stößt auf Kritik

Ein bisschen antikapitalistisch

Von Nina Hager

Am Montag präsentierte Martin Schulz in Berlin den Entwurf eines Leitantrags. Diesen hatte das Parteipräsidium zuvor gebilligt. Der gescheiterte Kanzlerkandidat will auf dem bevorstehenden SPD-Parteitag im Dezember erneut für den Vorsitz der Partei kandidieren und ganz offensichtlich mit dem Antrag seine Position stärken. Dabei hat er bislang wohl gar keinen Gegenkandidaten. Schulz will mit dem Antrag auch Weichen für die künftige Entwicklung der Partei stellen. Und hofft offenbar, dass seine Partei 2021 gestärkt – und erneuert – in die Regierungsverantwortung zurückkehren bzw. dann selbst die Regierungsbildung bestimmen wird.

Schulz stellte die vier Kernthemen des Leitantrages – Europa, Digitalisierung und sozialer Fortschritt, Antworten auf Flucht und Migration sowie Stärkung von Zusammenhalt und Demokratie – vor. Ihm geht es auch darum die Krise der Sozialdemokratie in Europa zu überwinden, die sozialdemokratischen Parteien in der EU zu stärken. Die Partei werde, so Schulz, zudem wieder kritischer auf den globalen Kapitalismus schauen. Man müsse den „ungebändigten Neoliberalismus“ an die Kette legen. Vorsichtig wurde auch der Agendakurs kritisiert. Im Entwurf des Leitantrags heißt es: „Ziel ist es, innerhalb eines Jahres bis Ende 2018 zu einer mutigen und klaren innerparteilichen programmatischen Klärung zu kommen.“

Das klingt kämpferisch. Niemand sollte aber erwarten, dass nun plötzlich aus dieser SPD wieder eine antikapitalistische Partei in der Tradition Bebels und Liebknechts wird. Und aus dem Schulz-Saulus wird sicher auch kein Schulz-Paulus. Aber ein bisschen kapitalismuskritische Rhetorik bringt Punkte. Die Enttäuschung wird – wieder – folgen.

Über die Schwerpunkte des Antrags wurde und wird in acht Dialogforen breit diskutiert, die nicht nur Parteimitgliedern offenstehen. Alle Bürger seien eingeladen, „sich an dem Neustart der sozialdemokratischen Bewegung zu beteiligen“. Der Parteivorstand solle zudem eine umfassende Mitgliederbefragung zur organisatorischen Erneuerung vornehmen. „Darüber hinaus werden wir die Beteiligung der Mitglieder bei Personalentscheidungen auf Bundesebene ermöglichen.“ Ab 2019 soll die Basis den Parteivorsitzenden wählen. Mal sehen, wie lange dieser basisdemokratische Anfall hält.

Die Bundespartei werde außerdem finanzielle und personelle Ressourcen bereitstellen, um regionale Schwächen der SPD anzugehen. Im Entwurf des Leitantrages für den Bundesparteitag übernimmt Martin Schulz nicht nur die Verantwortung für die Wahlniederlage der Partei bei den Bundestagswahlen im September. Im Wahlkampf habe man auch zu wenig thematisch zugespitzt.

Unmittelbar nachdem die ersten Ergebnisse der Bundestagswahlen bekanntgegeben worden waren, hatten führende Vertreter der SPD erklärt, dass die Partei in die Opposition gehen werde. Seitdem wird versucht die Partei auch an der Spitze neu aufzustellen. Dazu diente die Wahl von Andrea Nahles zur Vorsitzenden der Bundestagsfraktion. Der bisherige Fraktionsvorsitzende Oppermann, Mitglied des rechten Seeheimer Kreises in der SPD, wurde Vizepräsident des Bundestages. Diese Entscheidungsprozesse verliefen offenbar weitgehend ohne Konflikte. Martin Schulz bringt aber augenscheinlich in der Parteispitze jetzt vor allem seine Getreuen in Stellung – und stößt auf Kritik. Als der Parteivorstand am 23. Oktober Lars Klingbeil für den Posten des Generalsekretärs nominierte, gab es Zoff: Juliane Seiffert, die den Posten innehatte, trat, nachdem bekannt geworden war, dass Klingbeil ihren Posten übernehmen solle, sofort zurück. Klingbeil gehört wie Oppermann dem rechten Seeheimer Kreis der SPD an.

In diesen Tagen wird in den bürgerlichen Medien aber vor allem auf die kritischen Positionen von Olaf Scholz verwiesen. Der sieht offenbar – aufgrund fehlender Mehrheiten – für sich derzeit noch keine Chance den Vorsitz der SPD selbst zu übernehmen. Für ihn, unter Gerhard Schröder von 2002 bis 2004 Generalsekretär der SPD, ist jede, auch zahme Kritik an der Agenda 2010 und Hartz IV offenbar nicht hinnehmbar. Doch die tatsächlichen Unterschiede zwischen seinen und den Positionen von Schulz sind nur geringfügig.

Über die Autorin

Nina Hager (Jahrgang 1950), Prof. Dr., ist Wissenschaftsphilosophin und Journalistin

Hager studierte von 1969 bis 1973 Physik an der Humboldt-Universität in Berlin. Nach dem Abschluss als Diplom-Physikerin wechselte sie in das Zentralinstitut für Philosophie der Akademie der Wissenschaften der DDR und arbeite bis zur Schließung des Institutes Ende 1991 im Bereich philosophische Fragen der Wissenschaftsentwicklung. Sie promovierte 1976 und verteidigte ihre Habilitationsschrift im Jahr 1987. 1989 wurde sie zur Professorin ernannt. Von 1996 bis 2006 arbeitete sie in der Erwachsenenbildung, von 2006 bis 2016 im Parteivorstand der DKP sowie für die UZ, deren Chefredakteurin Hager von 2012 bis 2016 war.

Nina Hager trat 1968 in die SED, 1992 in die DKP ein, war seit 1996 Mitglied des Parteivorstandes und von 2000 bis 2015 stellvertretende Vorsitzende der DKP.

Hager ist Mitherausgeberin, Redaktionsmitglied und Autorin der Marxistischen Blätter, Mitglied der Marx-Engels-Stiftung und Mitglied der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften zu Berlin.

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"Ein bisschen antikapitalistisch", UZ vom 10. November 2017



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