Stillstand

Am Montag stellte die deutsche Arbeiterklasse eindrucksvoll unter Beweis, welche Macht sie hat: Einen Tag lang organisierter Stillstand des ÖPNV, der Eisenbahn und des Flugverkehrs durch den gemeinsamen Warnstreik von EVG und ver.di. Im Vorfeld wurde ein Superchaos herbeiphantasiert. Es blieb aus. Die Propaganda-Offensive gegen die Beschäftigten geht weiter. Mit geheucheltem Verständnis wird versucht, die Beschäftigten einzulullen. Schließlich säßen wir alle im selben Boot. Nur leider reiche das Geld halt nicht. Das können doch alle verstehen – da braucht es doch keinen Streit. Streikrecht gut und schön, eben verhältnismäßig muss es sein: Ohne Auswirkungen auf die Wirtschaft.

Das ist nichts anderes als die ideologische Vorbereitung eines zumindest faktischen Streikverbots. Erfahrungen damit sammelt gerade der französische Staatsapparat. Millionen sind seit Monaten gegen den Rentenklau auf der Straße. Getragen werden die Proteste durch eine seit 30 Jahren nicht dagewesene Streikwelle. In den Straßen von Paris stapelt sich der Müll, so dass sie teilweise nicht mehr passierbar sind, da die Müllabfuhr seit drei Wochen im Ausstand ist. 94 Prozent der Beschäftigten in Frankreich sind gegen die „Reform“.

Der französische Präsident Emmanuel Macron setzt auf Gewalt: „Gesetzlicher Arbeitszwang für Streikende, Polizeieinsätze bei Arbeitsplatzbesetzungen, Verhaftungen, Einschüchterungen, Infragestellung des Streikrechts“ sind laut Gewerkschaftsverband CGT an der Tagesordnung.

Das deutsche Monopolkapital und seine Regierung werden die Vorgänge in Frankreich genau studieren und Entsprechendes hier vorbereiten. Die Rufe nach einer „Kriegswirtschaft“ sind die Vorbereitung eines Durchregierens per „Notverordnung“ à la Macron.

Auch die deutschen Gewerkschaften sollten ihren Blick nach Frankreich wenden. Nicht nur, weil die französischen Kolleginnen und Kollegen zeigen, wie sie für ihre Interessen kämpfen. Vor allem, um zu studieren, wie sich der bürgerliche Staat, den viele Gewerkschafter immer noch mit einer Demokratie verwechseln, gegenüber den legitimen Interessen der Beschäftigten, aber auch gegenüber ihren demokratischen Rechten verhält. Alle Streiks sind politisch.

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Über den Autor

Björn Blach, geboren 1976, ist als freier Mitarbeiter seit 2019 für die Rubrik Theorie und Geschichte zuständig. Er gehörte 1997 zu den Absolventen der ersten, zwei-wöchigen Grundlagenschulung der DKP nach der Konterrevolution. In der Bundesgeschäftsführung der SDAJ leitete er die Bildungsarbeit. 2015 wurde er zum Bezirksvorsitzenden der DKP in Baden-Württemberg gewählt.

Hauptberuflich arbeitet er als Sozialpädagoge in der stationären Jugendhilfe.

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"Stillstand", UZ vom 31. März 2023



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