Die Hurrikan-Verwüstung in Florida trifft auf die neoliberale Selbstruinierung

Stürme im Sonnenscheinstaat

Die Aufräumarbeiten nach „Helene“ hatten kaum so richtig begonnen, als sich schon „Milton“ den Verwüstungen näherte. Innerhalb von wenigen Tagen wurde die Halbinsel Florida von zwei zerstörerischen Hurrikans heimgesucht. „Helene“ war der fünfte, „Milton“ der sechste Hurrikan dieser Saison. Allerdings geht die atlantische Hurrikansaison noch bis zum 30. November.

Eigentlich würde man vermuten, dass bei der jahrzehntelangen Häufigkeit dieser Wetterereignisse ein so reiches Land wie die USA, das von sich behauptet, das höchste Bruttoinlandsprodukt des Globus zu produzieren, für solche Ereignisse gut gerüstet ist. Dass sturmsicher gebaut wird, die Versorgungsinfrastruktur für solche Ereignisse ausgelegt ist, Transportkapazitäten bereitstehen, um Menschen und kritische, kostbare Güter aus der Gefahrenzone zu bringen. Nun, wie man unschwer erkennen kann, ist dies nicht der Fall. Im neoliberal ruinierten Staat sind Menschen bei Naturkatastrophen sich selbst überlassen.

„Helene“ werden von den US-Behörden mehr als 250 Todesopfer, mehr als 200 Vermisste und ein Schaden von mehr als 38 Milliarden US-Dollar zugeordnet. Bei „Milton“ sind es bislang mehr als 23 Tote, mehr als sechs Vermisste und ein Schaden von 30 bis 50 Milliarden US-Dollar. „Milton“ hatte dazu schwere Regenfälle im Gepäck. Die Hurrikans beschädigten und zerstörten tausende von Häusern. Der Wiederaufbau wird viel Zeit in Anspruch nehmen und da kann ja noch einiges an Sturmschäden kommen.

Rund sechs Millionen Bewohner wurden quasi „auf den letzten Drücker“ aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Nach dem Motto: Seht mal zu, wie ihr wegkommt. Was nicht einfach war, da nun die Autobahnen völlig verstopft waren und viele Tankstellen bald kein Benzin mehr hatten. Dabei hatte sich „Milton“ beim Auftreffen auf die US-Küsten schon von Kategorie 5 (mehr als 250 km/h) auf Kategorie 3 (mehr als 180 km/h) abgeschwächt. „Helene“ schaltete bei 1,3 Millionen Haushalten den Strom ab, „Milton“ zeitweise sogar bei 3 Millionen.

Die US-Katastrophenschutzbehörde, „Federal Emergency Management Agency“ (FEMA) steht den Stürmen immer hilfloser gegenüber. Bei „Milton“ waren gerade noch 9 Prozent des FEMA-Personals verfügbar. Wie sich nun herausstellt, verfügt FEMA im Jahr 2024 weder über genügend Personal noch über genügend Geld. Für prophylaktische Vorsorge erst recht nicht. Betrachtet man den US-Haushalt, so weist er ein Defizit von satten 2,229 Billionen US-Dollar auf. Also kratzt die Biden-/Harris-Regierung alles zusammen, was irgendwo verfügbar scheint. So wurde die FEMA finanziell ausgebombt, um Mittel zur Unterbringung illegaler Einwanderer frei zu bekommen. Ein heikles Thema, nicht nur in den USA. Da erhebt sich bei immer mehr US-Bürgern die Frage, warum Washington hunderte Milliarden US-Dollar, die sie nicht hat, also leihen muss, für verlorene Kriege in fernen Ländern ausgibt und für den Schutz der eigenen Bürger vor den stets wiederkehrenden Naturkatastrophen keinen roten Heller erübrigen kann. Alles in allem nicht gerade eine Wahlkampfhilfe für Kamala Harris. Da gibt es einiges wegzugackern.

Betrachtet man die Bilder der Hurrikan-Nachwirkungen, so zeigt sich, dass es völlig zerstörte Häuser neben völlig intakt gebliebenen gibt. Die in den USA übliche Holzständerwerk-Leichtbauweise ist erkennbar den Anforderungen eines Kategorie-4- oder -5-Hurrikans nicht gewachsen. Massive Stein-, Beton- oder Stahlskelettbauten aber schon. Es erhebt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit der routinemäßig wiederkehrenden Zerstörung, der mühevollen Aufräumarbeiten und des kostspieligen Wiederaufbaus. Das Gleiche gilt für die Infrastruktur. In den US-Städten beispielsweise sind noch Freileitungen mit frei hängenden Einzeltransformatoren üblich wie im Deutschland der 1950er Jahre. Das ist zwar billig, aber auch gefährlich. Bei einem Hurrikan geradezu prädestiniert für großflächige Stromausfälle.

Wie so oft hilft die Weisheit der Alten. „Wem nutzt es?“, fragte schon Marcus Lucius Cicero vor über 2.000 Jahren. Wenn die Ratingagentur Fitch nun einen Schaden vor 30 bis 50 Milliarden US-Dollar konstatiert, dann bedeutet das, dass es jemand, besser eine ganze Reihe dieser Jemands gibt, welche dieses Geld schon in ihren Kassen klingeln hören. Von den Versicherungskonzernen über die Immobilien- und Grundstücksspekulanten bis hin zur Bauunternehmensbranche. „Kaufe, wenn das Blut durch die Straßen fließt.“ Der Investitionsratschlag Nathan Mayer Rothschilds gilt für die Finanz- und Spekulationsbranche auch heute ungebrochen. Und an Blut in den Straßen ist derzeit kein Mangel. Der weltgrößte Versicherer, Lloyds London, schätzt die aktuellen globalen Risiken auf 14,5 Billionen US-Dollar. Ob die Besitzer der Häuser in Florida den Wiederaufbau werden stemmen können oder verarmt und mittellos in eines der endemisch wachsenden US-Armenghettos abwandern müssen, ist nicht ihre Sorge.

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"Stürme im Sonnenscheinstaat", UZ vom 18. Oktober 2024



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