Im Juli 1943 wurde Mussolini gestürzt

Sturz des „Duce“

Von Gerhard Feldbauer

Das Scheitern der Blitzkriegsstrategie der Hitlerwehrmacht und die im Sommer 1942 einsetzenden Gegenoffensiven der Roten Armee veranlassten führende Kapitalkreise Italiens bereits im Herbst 1942, über ein Ausscheiden aus der Achse mit Berlin nachzudenken. Im November 1942 trafen sich in Mailand in der Wohnung des Schwerindustriellen Enrico Falck, König der Eisen- und Stahlindustrie, ihre Vertreter mit Marschall Pietro Badoglio und Größen der faschistischen Partei. Badoglio, 1920/30 Exponent der faschistischen Expansionspolitik, der bei der Eroberung Äthiopiens das Giftgas Yperit eingesetzt hatte, war im Juni 1940 gegen den Kriegseintritt Italiens gewesen und am 6. Dezember als Generalstabschef des Heeres zurückgetreten. Anwesend waren der Schwiegersohn des „Duce“, Graf Galeazzo Ciano, der im Februar 1943 als Außenminister (seit 1936) abgesetzt worden war, und der Christdemokrat Alcide De Gasperi. Nach mehrjähriger Haft hatte er im vatikanischen Exil 1942 die Democrazia Cristiana (DC) gebildet. Die Wirtschaftskreise beauftragten Ciano, zu den Amerikanern und Briten Kontakte aufzunehmen, um deren Haltung zu einem Bruch mit Deutschland zu sondieren. Die Alliierten bekundeten Bereitschaft.

Zur Unterstützung der Aggression gegen die UdSSR hatte Mussolini eine Armata Italiana in Russia (ARMIR) an die Ostfront geschickt, die 1942 auf 230 000 Mann aufgestockt wurde, um die schweren Verluste der Wehrmacht in der Schlacht vor Moskau auszugleichen.

Zwischen dem 11. und 22. Dezember wurde die ARMIR in die verschneite Donezsteppe getrieben, dort eingekesselt und größtenteils vernichtet. Nach Italien kehrten nur einige Tausend Soldaten zurück. Das Schicksal der ARMIR trug zur wachsenden Antikriegsstimmung bei.

In Nordafrika scheiterte im Oktober/November 1942 die Eroberung Ägyptens, die in den Nahen und Mittleren Osten führen sollte. In der Schlacht um El Alamein führte Rommel Hitlers Befehl, die Stellung‚ „koste es, was es wolle, zu halten“ und „zu siegen oder zu sterben“ nicht aus. Er zog sich 1 200 Kilometer nach Westen zurück. (Andreas Hillgruber: Von El Alamein bis Stalingrad, München 1964, S. 13 ff.) Im März 1943 begann die anglo-amerikanische Offensive. Am 13. Mai kapitulierte am Kap Bon bei Tunis die zur Hälfte aus Deutschen und Italienern bestehende, noch 250 000 Mann zählende Heeresgruppe Afrika, von der Rommel vorher abberufen wurde.

Angst vor Volksaufstand

Die Palastverschwörer wollten sich in die abzeichnende Niederlage der Wehrmacht nicht hineinziehen lassen. Vor allem aber befürchteten sie einen Volksaufstand, der das faschistische Regime stürzen und eine antifaschistische Volksregierung hätte an die Macht bringen können. Denn die entscheidende Triebkraft des Widerstandes war die italienische Arbeiterklasse mit der kommunistischen Partei (IKP) an der Spitze. Sie handelte mit der Sozialistischen Partei (ISP) in Aktionseinheit, übte einen zunehmenden Masseneinfluss aus und orientierte auf die Zusammenarbeit mit allen antifaschistischen Kräften. Die Furcht vor einem Volksaufstand wuchs, als im März 1943 in Turin mit über 10 000 Teilnehmern Antikriegsstreiks begannen, die auf Mailand und weitere norditalienische Städte übergriffen. Die IKP rief auf, sich auf den bewaffneten Kampf vorzubereiten.

Am 17. Juni erhielt Vittorio Emanuele III. von US-Präsident Roosevelt über den apostolischen Nuntius in Italien, Borgoncini Duca, die Zusicherung, Italien werde „im Falle eines Bruches der Allianz mit Deutschland eine wohlwollende Behandlung erhalten“. (I Giorni della Storia d‘ Italia. Novara 1997, S. 494.)

Von Bedeutung für die Palastverschwörer war auch, dass mit der Auflösung der Komintern am 21. Mai 1943 den westlichen Partnern signalisiert wurde, dass die UdSSR im Kampf gegen den Faschismus nicht die sozialistische Revolution voranbringen wollte. Laut Georgi Dimitroff hatte Stalin bereits nach dem faschistischen Überfall auf die UdSSR die Parteien der Komintern mit Blick auf die Schaffung einer Antihitlerkoalition angewiesen: „Die Frage der sozialistischen Revolution nicht aufzuwerfen“. Stalin ging es darum, die im Kampf gegen Deutschland entstandene Antihitlerkoalition zu festigen und die anglo-amerikanischen Partner zur Eröffnung einer zweiten Front in Westeuropa zu drängen.

Palastrevolte

Am Nachmittag des 24. Juli 1943 begann im Gran Consiglio del Fascismo der Putsch gegen Mussolini. An der Spitze standen Graf Ciano sowie Justizminister Dino Grandi. Der Großrat forderte den „Duce“ auf, nach den katastrophalen Niederlagen den Oberbefehl über die Streitkräfte abzugeben und als Ministerpräsident zurückzutreten. 19 Mitglieder stimmten dafür, sieben dagegen, eines enthielt sich. Zur militärischen Absicherung der Revolte ließ der Chef des Generalstabes, Vittorio Ambrosio, die Heeresdivision Piave vor Rom Stellung beziehen.

Am 25. Juli um 17 Uhr empfing der König Mussolini und autorisierte den Beschluss. Der „Duce“ wähnte sich weiterhin an den entscheidenden Machthebeln und fügte sich. Vor dem Quirinal bat ihn ein Hauptmann der Carabinieri unter dem Vorwand der besseren Sicherung seines Schutzes bei möglichen Unruhen, in einen Krankenwagen zu steigen. Damit war der Diktator verhaftet und wurde in einem Kurhotel auf dem etwa 150 Kilometer nordöstlich von Rom liegenden, 2 914 Meter hohen Gran Sasso in den Abruzzen festgesetzt.

Fünf Stunden später meldete der Rundfunk, der König habe den Oberbefehl über alle bewaffneten Kräfte übernommen und Marschall Badoglio mit der Bildung einer Militärregierung beauftragte. Der Sturz des „Duce“ wurde von der Bevölkerung jubelnd begrüßt. In Großstädten des Nordens wurden faschistische Parteisitze und Zeitungsredaktionen gestürmt. Zahlreiche faschistische Parteigrößen flohen nach Deutschland.

Um die Deutschen zu beruhigen erklärte Badoglio, dass „der Krieg fortgesetzt“ werde. Am 19. August traf jedoch General Giuseppe Castellano in der britischen Botschaft in Lissabon mit dem amerikanischen General Bedell Smith zusammen, der ihm im Auftrag des angloamerikanischen Oberkommandierenden im Mittelmeerraum, General Eisenhower, den Text des Waffenstillstandsabkommens übergab. Bedingung war die „italienische Zusammenarbeit mit den Alliierten im Kampf gegen die Deutschen“. Mit dem am 3. September unterzeichneten Waffenstillstand brach die Badoglio-Regierung mit der faschistischen Achse. Die Hauptkräfte des italienischen Imperialismus schieden aus dem Krieg aus. Das waren im militärischen Bereich 3,5 Millionen Soldaten.

Nichts dazugelernt

Aus mehreren Faktoren, die dieser Renaissance des Faschismus-Rassismus den Weg ebneten, sollen hier zwei hervorgehoben werden: Im Ergebnis des Zweiten Weltkrieges war auch in Italien die Herrschaft des Imperialismus angeschlagen und Linke und Kommunisten auf dem Vormarsch. In dieser Situation kamen in der Tradition der Zweiten Internationale Opportunisten in der IKP mit ihrer Liquidierung 1990/91 dem Kapital zu Hilfe. Von in den 70er Jahren über zwei Millionen Mitgliedern sank ihre Zahl auf heute etwa 30 000 organisierte Kommunisten ab. Damit wurde der Weg frei für die „schwarzen Regierungen“ (mit Unterbrechungen von 1994 bis 2011) des Mitglieds des Dreierdirektoriums der faschistischen Putschloge Propaganda due (P2), Silvio Berlusconi. Die Medienherrschaft des Kapitals, besonders das von der P2 finanzierte Medienimperium Berlusconis, erreichte einen bis dahin nicht gekannten Masseneinfluss. Die italienische Arbeiterklasse, die mit der Beseitigung der IKP ihre entscheidende Waffe, im Kampf gegen die Ausbeuterherrschaft, „die Organisation“ (Lenin), verlor, ist über diese Mediendiktatur einem bis heute schwer zu stoppenden Einfluss der bürgerlichen Ideologie ausgeliefert.

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"Sturz des „Duce“", UZ vom 10. August 2018



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