Tönnies am Pranger

Werner Sarbok im Gespräch mit Elmar Wigand

Aktionstag

am Freitag, den 13. September

Rheda-Wiedenbrück, 15 Uhr

Demonstration zum Tönnies-Schlachthof. Zentrale Veranstaltung für Westfalen, Münsterland, Ostwestfalen-Lippe. Treffpunkt: Bahnhof Rheda.

Es wird auch Proteste vor dem Schlachthof in Weißenfels, Sachsen-Anhalt, geben. In vielen Städten besuchen Aktivisten Aldi-Filialen und Supermärkte. Wer mitmachen will, melde sich bitte unter: kontakt@arbeitsunrecht.de.

Übersicht der Planungen: https://aktion.arbeitsunrecht.de

Der Verein „Aktion gegen Arbeitsunrecht“ nutzt schon seit Jahren „Freitag, den 13.“, um den „Schwarzen Freitag“ als Widerstandstag der arbeitenden Bevölkerung zu etablieren. Über den nächsten Aktionstag sprach UZ mit Elmar Wigand. Er ist Pressesprecher der „Aktion gegen Arbeitsunrecht“, Sozialforscher und Berater für Gewerkschaften und Betriebsräte.

UZ: Den kommenden Aktionstag am Freitag, den 13. September, hat die „Aktion gegen Arbeitsunrecht“ dem Fleischproduzenten Clemens Tönnies gewidmet. Was stellt ihr in den Mittelpunkt der Kritik?

Elmar Wigand: Wir haben den Aktionstag in erster Linie nicht der unangenehmen Person Clemens Tönnies gewidmet, sondern seinem Konzern und seinen Methoden. Tönnies ist der größte Vermarkter von Schweinefleisch in Europa. Er ist als Branchenführer ein aggressiver Zerstörer und spielt bei Fleisch eine ähnliche Rolle wie Amazon in den Bereichen Logistik, Transport und Einzelhandel.

Tönnies krempelt den Markt um, und überschwemmt nicht nur Deutschland, sondern die Welt bis hin nach Russland und China mit Dumping-Fleisch, zerstört heimische Produzenten, kauft Schlachthöfe auf, um sie dann zu schließen, und zentralisiert auf eine wahnwitzige Weise den Transport. Die Zerlegung und Verarbeitung der Tiere wird nach Rheda-Wiedenbrück verlagert, dann noch nach Weißenfels in Sachsen-Anhalt, und es gibt noch einen größeren Schlachthof in Kempten im Allgäu.

All das ist aus ökologischer und arbeitsrechtlicher Sicht untragbar. Hinzu kommen noch Cum-Ex-Geschäfte und andere gerichtsnotorische „Tricksereien“.

UZ: Ihr werft Tönnies massiven Missbrauch von Werkverträgen vor. Wie sieht das konkret aus?

Elmar Wigand: In seiner Fabrik in Rheda-Wiedenbrück sind kaum noch Festangestellte, sondern es arbeiten dort hauptsächlich Werkverträgler aus Rumänien und Bulgarien. Das funktioniert wie eine Zentrifuge: Es werden Menschen angesaugt und wieder ausgespuckt. Sie werden unter abenteuerlichen Umständen untergebracht. Es ist im Grunde ein kriminogenes Milieu, ausgestaltet vom Generalunternehmen Tönnies und einem kaum überschaubaren und aus gewerkschaftlicher Sicht schwer organisierbaren Dickicht aus Subunternehmen.

Die Menschen müssen nun Mindestlohn bekommen, aber das Geld wird ihnen von Subunternehmern nicht selten wieder abgezogen, indem die Arbeiter horrende Mieten für die Unterbringung in Bruchbuden bezahlen müssen. So schlafen dann mehrere Menschen, bedingt durch den Schichtbetrieb, abwechselnd in einem Bett. Das sind Zustände wie im 19. Jahrhundert. Zahlreiche Spießbürger im Kreis Gütersloh freuen sich, ihre Schrottimmobilien an solche asozialen Unternehmer vermieten zu können. So ein Schlafplatz soll bis zu 250 Euro im Monat kosten. Sie beschimpfen Kritiker von Tönnies folgerichtig als „Nestbeschmutzer“.

UZ: Nutzt Tönnies mit dem Einsatz von Werkvertragsarbeitern eigentlich nicht nur die rechtlichen Möglichkeiten aus?

Elmar Wigand: Zunächst meine ich, dass Werkverträge – so wie sie derzeit durchgängig genutzt werden – grundsätzlich verboten sein müssten. Ein Werkvertrag wäre ja begründbar, wenn es sich beispielsweise um die Reparatur eines Daches handelt. Also einen zeitlich und inhaltlich begrenzen Auftrag. Aber hier ist ja die gesamte Produktion auf Werkverträge umgestellt. Es handelt sich um ein Konstrukt, mit dem Tönnies die Arbeitsgesetzgebung systematisch umgeht. Es ist bei Tönnies also schon mehr als ein bloßer „Missbrauch“ von Werkverträgen. Ich meine, eine Staatsanwaltschaft, die sich selbst ernst nehmen würde, müsste da ordentlich zwischenhauen. Aber leider geschieht bislang nichts. Faktisch handelt es sich bei Werkverträgen à la Tönnies um ein Täuschungsmanöver ähnlich wie bei Cum-Ex-Geschäften im Steuerrecht.

UZ: Ihr sucht ja auch den Schulterschluss mit Bürgerinitiativen und „Fridays for Future“. Was haben die denn mit Tönnies zu tun?

Elmar Wigand: Es ist erstaunlicherweise so, dass Tierschützer, Menscherrechtler und Umweltaktivisten derzeit besser aus der Kurve kommen als die Gewerkschaftsbewegung. Sie scheint verlangsamt und bürokratisch zu reagieren. Bisher war es immer so, dass sich an den Aktionstagen Gewerkschafter beteiligt haben, und darauf setzen wir auch diesmal, aber im Moment springen die anderen Gruppen stärker an. Von Tierrechtlern und Klimaaktivisten könnten sich die Gewerkschaften in Sachen Aktionsbereitschaft eine Scheibe abschneiden. Nur zur Erinnerung: Die Gewerkschaften waren die erste soziale Bewegung des Industriezeitalters. Was ist aus ihnen geworden?

Ist es nicht Wahnsinn, regionale Produktion kaputtzumachen und dann die Schweine und auch die Arbeiter nach Rheda-Wiedenbrück zu karren, und danach die fertigen Produkte in die ganze Welt zu exportieren? Das ist natürlich unsinnig hinsichtlich des Transports. Es hat sich auch herumgesprochen, dass Massentierhaltung generell ein Klimakiller ist, auch hinsichtlich der Energiebilanz. Und unser Grundwasser wird durch die Gülle der Massentierhaltung verunreinigt.

UZ: Tönnies gab in den vergangenen Jahren häufiger Anlass für Berichte in den Medien. Wie hat er darauf reagiert?

Elmar Wigand: Tönnies ist eigentlich ein klassischer Oligarch, der für deutsche Verhältnisse untypisch auftritt. Er sucht die Öffentlichkeit, so als Aufsichtsratsvorsitzender von Schalke 04, reagiert aber häufig ungeschickt und ungehobelt. Möglicherweise auch bewusst provozierend. Kurz bevor er seine rassistischen Äußerungen vor der Kreishandwerkerschaft Paderborn präsentierte, hatten wir ihn für den „Schwarzen Freitag“ nominiert, und ich kann mir sogar vorstellen, dass da ein Zusammenhang besteht, dass er sich sagte: Jetzt sind wir hier mal unter uns, da rede ich mal Tacheles. PR-technisch war das ein Desaster für ihn und für uns eine Steilvorlage zur Mobilisierung.

Leider wird Rassismus in Deutschland häufig nur oberflächlich beklagt – als symbolischer Akt. Bei Tönnies hat der Rassismus System. Tönnies hat mit der Ausbeutung von osteuropäischen Wanderarbeitern Milliarden gemacht. Da ist Rassismus keine Frage von oberflächlichen Meinungen, er steckt in der DNA des Unternehmens.

UZ: Was hat es mit der Aktionsform „Schwarzer Freitag“ auf sich, was können wir uns darunter vorstellen? Was wollt ihr nun konkret mit dem Aktionstag erreichen?

Elmar Wigand: Wir wollen uns als Lohnabhängige und Gewerkschafter Respekt erwirtschaften und versuchen deshalb, Konzerne wie Tönnies wirtschaftlich zu schädigen. Wir wollen Angst bei potentiellen Nachahmern erzeugen – vor der Macht der Belegschaften und der Konsumenten. Unser Ansatzpunkt ist jetzt, in die Supermärkte zu gehen, dort Tönnies-Produkte zu outen – vor allem die bekannten Marken Böklunder und Gutfried. Tönnies liefert einen Großteil seines Dumping-Fleisches an die Aldi-Hausmarken Tillmann‘s, Rolffes, Sölde, Landbeck. Deshalb steht der Discounter Aldi im Fokus.

Wir wollen zudem Fußballvereine dazu bringen, ihre Würstchen nicht mehr von Tönnies zu beziehen. Böklunder beliefert die Stadien von Schalke 04 und VfB Stuttgart. RB Leipzig hat 2017 die Verträge mit Tönnies gekündigt und ist zu einem regionalen Produzenten gewechselt. Was dieser Retorten-Club kann, das fordern wir auch von Schalke und Stuttgart.

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"Tönnies am Pranger", UZ vom 23. August 2019



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