Die Sündenböcke für das westliche Versagen sind gefunden

Trump, das Virus und die WHO

Der US-Präsident befindet sich im Kriegsmodus. Im (ziemlich aussichtslosen) Wirtschaftskrieg gegen die ökonomische Supermacht China und in offener Feldschlacht gegen Russland, Iran, Venezuela, Kuba, Nordkorea und diverse andere Staaten. Immer nach dem Motto: Viel Feind‘, viel Ehr‘. Nun kam Corona und es war doch etwas anderes als der Schwindel (Hoax), den Donald Trump zunächst vermutet hatte. Die USA, der Hotspot der Covid-19-Pandemie, führt die Zahl der Infizierten mit weitem Abstand an. In wenigen Tagen werden es eine Million sein. Die Zahl der Todesopfer liegt bald zehnmal so hoch wie in China. Erkennbar keine Glanzleistung für den US-Gesundheitskommerz und den „Greatest US-President ever“.

So eine Lage verlangt nach einem Sündenbock. In der letzten Woche hat Donald Trump die finanzielle Unterstützung für die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gestrichen. Zuletzt überwiesen die USA noch 200 Millionen Dollar pro Jahr. In etwa so viel, wie die dubiose Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung, der zweitgrößte Finanzier der WHO, 2019 gezahlt hat. Die stets Washington- und Big-Pharma-hörige WHO hatte sich, ein Skandal ohnegleichen, positiv zu den chinesischen Maßnahmen gegen das Virus geäußert. China hatte die WHO sehr schnell und vollumfänglich in seinen Kampf gegen Corona einbezogen. Für den US-Propagandaapparat konnte aus der WHO nur eine chinesisch beeinflusste Organisation geworden sein. Nachdem Big Media auf Russland und Präsident Putin als Wurzel allen Übels in schon skurriler Weise eingeschlagen hatte, erfolgte mit Beginn des Wirtschaftskriegs der Schwenk auf China. Nun kommt alles Böse eben von den „chinesischen Kommunisten“. Und jemand, der diese atavistisch-fundamentalistische Sicht nicht teilt, kann nur eine Art chinesischer Agent sein. Und chinesische Agenten finanziert das Weiße Haus nicht. Die Welt kann auch sehr einfach sein.

In der Sache unterscheidet sich der Charakter der chinesischen Maßnahmen gegen das Virus fundamental von denen des sich als Wiege der Zivilisation feiernden „Westens“. Während gerade in den kapitalistischen Hauptstaaten die Infektions- und Opferzahlen durch die Decke schießen und das Ziel in einem „Abflachen der Kurve“, also in einer akzeptierten, langsameren Volldurchseuchung inklusive der daraus folgenden hohen Zahl von Todesopfern besteht, hat China einen Kampf zur Eindämmung und Vernichtung des Virus geführt. Keine einfache Sache in einer 12-Millionen-Stadt wie Wuhan im bevölkerungsreichen Zentralchina. Auf vielfältige Weise, auch unter Einsatz von Großgerät, Robotern und Drohnen, wurden die Straßenzüge systematisch desinfiziert, es gab Desinfektionsschleusen, großflächige, auch robotergestützte Temperaturmessungen. Aus den Massentests folgte eine strenge Quarantäneordnung, die durch einen Lieferservice für Essen und die notwendigen Dinge des Lebens gesichert wurde. Alte Menschen wurden gezielt gebeten, zu Hause zu bleiben und sich nicht zu gefährden. Die Produktion von Medizintechnik und Schutzartikeln wie Masken, Kitteln, Desinfektionsmaterial und ähnlichen Produkten wurde rund um die Uhr, sieben Tage in der Woche hochgefahren. China produziert aktuell etwa 8 Millionen Schutzmasken pro Tag. Krankenhäuser wurden aus dem Boden gestampft, große Hallen wurden zu Kliniken umfunktioniert, Tausende Medizinerinnen und Mediziner, Pflegekräfte und unzählige Freiwillige wurden für die vielfältigen Organisations-, Desinfektions- und Hilfsdienste mobilisiert. Es war dieser harte aktive Kampf, die Mobilisierung aller gesellschaftlichen Kräfte, der letztlich Erfolg hatte und dem auch die WHO, wenn sie sich ernst nimmt, ihre Anerkennung nicht versagen konnte.

Demgegenüber wird der „Westen“ vom Virus, trotz mehr als zweimonatiger Vorwarnzeit, wie von einem Tsunami überrollt. Sein neoliberal auf Profit getrimmtes Gesundheitswesen lässt kaum mehr zu als Notstands- und Mängelverwaltung und in großen Bereichen kaum mehr als begleitetes Sterben. Sein katastrophal gescheitertes Führungspersonal, verantwortlich für den Tod Tausender, spielt sich zudem in gewohnt zynischer Weise auf, als sei es der Retter der Nation. Da sind Frau Merkel und ihr Jens Spahn kaum besser als der US-Präsident. Aber, wie gesagt, China ist schuld, das Land soll in Haftung genommen werden für das „China-Virus“, da sind sich die Reaktionäre aller Länder von Trump bis Blöd nun einig. Und natürlich keinen Cent für chinesische Agenten wie die WHO.

✘ Leserbrief schreiben

An die UZ-Redaktion (leserbriefe (at) unsere-zeit.de)

"Trump, das Virus und die WHO", UZ vom 24. April 2020



    Bitte beweise, dass du kein Spambot bist und wähle das Symbol Schlüssel.



    UZ Probe-Abo [6 Wochen Gratis]
    Unsere Zeit