Ulf Immelt zur AfD in Thüringen

Verlässlicher Partner der Marktradikalen

Nachdem Thomas Kemmerich von den Abgeordneten der CDU und der FDP gemeinsam mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten in Thüringen gewählt worden war, wurde dies als ein bisher einmaliger politischer Tabubruch völlig zu Recht skandalisiert. Erstmalig haben hier in der jüngeren Geschichte der BRD bürgerliche Parteien mit Hilfe der AfD einen Ministerpräsidenten ins Amt befördert. Dieser Vorgang vergangene Woche im Thüringer Landtag war ein erster Versuch, auszuloten, ob mit Blick auf die sich anbahnende Krise neue Regierungsoptionen zur Durchsetzung von Kapitalinteressen unter Einbindung der Rechtspopulisten und Faschisten schon jetzt durchsetzbar sind. Der Hinweis darauf, dass Thüringen schon 1930 das erste Land war, in dem der Bürgerblock mit den Nazi-Faschisten eine Koalition bildete, ist in diesem Zusammenhang sicher nicht uninteressant.

Ein anderer Aspekt, auf den in der Debatte um die Thüringer Ereignisse bisher wenig bis gar nicht eingegangen worden ist, ist die Erkenntnis, dass die AfD hier für alle ersichtlich ihre sozial(chauvinistisch)e Fassade hat fallen lassen. Pikanterweise kursierte noch wenige Tage vor der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen ein Thesenpapier zur Stärkung der gesetzlichen Rente, das von Höcke und anderen Vertretern des sogenannten „Flügels“ unterzeichnet war. Hier machten sich diese auch gegen eine weitere Privatisierung der Alterssicherung stark. Im selben Zeitraum fanden – von Vertretern aus dem ganz rechten politischen Spektrum organisierte – Mahnwachen unter dem Slogan „Fridays gegen Altersarmut“ statt. Diese ganze angeblich soziale Rhetorik hat die Thüringer AfD unter ihrem Vorsitzenden Höcke nicht davon abgehalten, kurze Zeit später gemeinsam mit Christdemokraten und Liberalen den FDP-Fraktionsvorsitzenden Kemmerich zum Ministerpräsidenten im Freistaat zu wählen.

Dieser steht wie kaum ein anderer Politiker in Thüringen für eine neoliberale Wirtschaftsstrategie. Niedriglöhne werden als Wettbewerbsfaktor nicht nur in Kauf genommen, sondern wie schon in der Vergangenheit von CDU-geführten Landesregierungen offensiv beworben. Wenn es nach den Plänen des Bürgerblocks im Landtag geht, soll die ohnehin erschreckend niedrige Tarifbindung in Thüringen weiter zurückgedrängt werden. Nicht umsonst war und ist das noch von der alten Mitte-Links-Regierung verabschiedete Vergabegesetz, das einige wichtige Elemente eines echten Tariftreuegesetzes enthält, ständigen Angriffen aus dem bürgerlichen Lager ausgesetzt.

Wenn die FDP in ihrem Wahlprogramm vorschlägt, Gesetze auf „vorgegebene internationale Mindeststandards“ zurückzuführen und die Vergaberichtlinie für öffentliche Aufträge durch einen „Entfall vergabefremder Kriterien“ zu reformieren, so bedeutet dies nichts anderes, als staatlich gefördertem Lohndumping Tür und Tor zu öffnen. In die gleiche Richtung geht die Forderung der FDP, Existenzgründer in den ersten drei Jahren von möglichst vielen arbeitsrechtlichen Regelungen zu befreien.

Wenn die Ereignisse in Thüringen für etwas gut waren, dann dafür, dass niemand mehr sagen kann, dass er nicht wusste, dass er mit seiner Stimme für die AfD die Marktradikalen und Niedriglohnbefürworter stärkt.

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"Verlässlicher Partner der Marktradikalen", UZ vom 14. Februar 2020



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