Entwurf des Wahlprogramms der Linkspartei kennt keine aggressive NATO-Offensive

Vernebelungstaktik

Seit jeher ist der friedenspolitische Kurs von „Die Linke“ Streitpunkt der verschiedenen Strömungen in der Partei. So gelang es Gregor Gysi frühzeitig, die Forderung nach Austritt Deutschlands aus der NATO durch die nicht umsetzbare Forderung nach Auflösung der NATO zu ersetzen. Während die Bundestagsfraktion die Auslandseinsätze der Bundeswehr bislang meistens geschlossen ablehnte – eine Ausnahme war beispielsweise der Marineeinsatz im Mittelmeer zur Vernichtung syrischer Chemiewaffen 2014 – deutet sich mit dem Entwurf für das Programm zur Bundestagswahl ein deutlicher Rechtsschwenk an. Die Bundestagsabgeordneten Sevim Dagdelen und Ulla Jelpke sprechen von einer „Absage an die Friedenspolitik“.

Der Programmentwurf wurde von den ehemaligen Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger ohne vorausgegangene Debatte vorgelegt. Er soll auf einem Parteitag im Juni beschlossen werden. Das Papier weicht bisherige Positionen an entscheidenden Stellen auf, was durch eine umfangreiche Aneinanderreihung friedenspolitisch sinnvoller Feststellungen und Forderungen vernebelt wird. Während „Die Linke“ im Wahlprogramm 2017 noch die Beseitigung der US- und NATO-Infrastruktur in Deutschland forderte, „die für den Aufmarsch gegen Russland, eine verheerende Regime-Change-Politik sowie ganz allgemein für Interventionskriege genutzt wird“, schweigt sich der jetzige Entwurf zur aggressiven NATO-Offensive aus. Stattdessen spricht er von einer „Konfrontation zwischen Russland, China und den USA“ und von den „USA und ihre(n) Verbündeten auf der einen, China und Russland auf der anderen Seite“, die „den Sicherheitsrat und die Vereinten Nationen (UNO) in den vergangenen Jahren blockiert“ haben.

Die Gleichsetzung der imperialistischen Hauptkraft USA mit Russland und China, die bedrängten Staaten wie Venezuela, Iran, Kuba stets den Rücken frei halten, bleibt allerdings nicht ab­strakt, sondern mündet in der Forderung, Deutschland solle sich für einen Vertrag zur Ächtung von Mittelstreckenraketen einsetzen, der die USA, China und Russland mit einbeziehe. Damit übernehmen die Autoren des Programmentwurfs die Begründung der US-Regierung zur Aufkündigung des INF-Vertrages. Dieser galt nicht für China, weswegen die USA vorgeblich eine Neuverhandlung unter Einschluss Chinas anstreben. In Wahrheit diente die Kündigung den USA dazu, sich gegenüber China nicht länger an das Verbot der Mittelstreckenraketen binden zu müssen.

Vernebelt wird auch beim Thema Bundeswehreinsätze. Im Entwurf für das Wahlprogramm heißt es zwar: „An einer Regierung, die Kriege führt und Kampfeinsätze der Bundeswehr im Ausland zulässt, werden wir uns nicht beteiligen.“ Allerdings ist das keine grundsätzliche Absage an Auslandseinsätze, die immer häufiger beispielsweise in „humanitäre Einsätze“ umetikettiert werden. „Die Linke“ fordert in dem Papier zudem lediglich, die Bundeswehr müsse aus allen Auslandseinsätzen zurückgeholt werden. Anders noch als das vergangene Wahlprogramm schweigt sich der Kipping-Riexinger-Text zu möglichen künftigen Auslandseinsätzen aus.

Der Kurs der „Linken“-Führung ist klar: Die Partei soll programmatisch auf eine „rot-rot-grüne“ Regierungskoalition getrimmt werden. SPD und Grüne haben immer wieder klargestellt, dass dies nur zum Preis der Aufgabe bisheriger friedenspolitischer Grundsätze zu haben sein wird. Die auf dem Parteitag am vergangenen Wochenende gewählte neue Kovorsitzende Susanne Hennig-Wellsow macht daraus keinen Hehl: „Ob Schwarz-Grün kommt oder Rot-Rot-Grün liegt auch an uns.“ Und auch Kovorsitzende Janine Wissler schließt Regierungsbeteiligungen nicht aus. Bisher haben sich eine Reihe von Bundestagsabgeordneten wie Sevim Dagdelen, Ulla Jelpke, Diether Dehm, Alexander Neu, Andrej Hunko und Heike Hänsel diesem Kurs widersetzt und insbesondere gegen den russlandfeindlichen Kurs der meisten anderen Bundestagsparteien gehalten. Allerdings zeigte sich gerade in der Praxis tagespolitischer Positionierungen das Kräfteverhältnis innerhalb der Partei. So forderte der Parteivorstand nach den Wahlen in Belarus Sanktionen gegen dortige staatliche Funktionäre und mischte sich mit allerlei Forderungen dreist in die inneren Angelegenheiten Belarus‘ ein – ganz im Stil der Bundesregierung. Der jüngste Skandal war der Beschluss des Parteivorstandes für einen Dialog mit kubanischen Konterrevolutionären. Ob der nun neu entfachte Streit um die friedenspolitischen Positionen in die entscheidende Runde geht, ist offen – vor allem, weil die Praxisprobe einer Regierungsbeteiligung auf Bundesebene gegenwärtig völlig unrealistisch ist. Desorientierend wirken die Standpunkte der „Linken“-Führung innerhalb der Friedensbewegung allemal.


„Die Linke“ wählte neue Parteispitze

Knapp 550 Delegierte nahmen am vergangenen Freitag und Samstag online am 7. Parteitag der Partei „Die Linke“ teil. Im Mittelpunkt der Tagung stand die Wahl der Nachfolger für die bisherigen Parteivorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger. Die Delegierten wählten am Samstag Susanne Hennig-Wellsow aus Thüringen und Janine Wissler aus Hessen an die Spitze der Partei. Auf Wissler, die einer Koalition ihrer Partei mit SPD und „Bündnis 90/Die Grünen“ eher verhalten gegenübersteht, entfielen 448 Ja-Stimmen (84 Prozent), 64 Nein-Stimmen (12 Prozent) und 20 Enthaltungen. Für Hennig-Wellsow, die landauf, landab für Rot-Rot-Grün wirbt, stimmten 378 Delegierte (70,5 Prozent). Sie gilt als Vertraute des Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und ist Fraktionsvorsitzende im dortigen Landtag.

Unter den sechs Stellvertretenden Parteivorsitzenden wählten die Delegierten mit 52.5 Prozent die Vorsitzende der Berliner Linkspartei, Katina Schubert, die für Regierungsbeteiligungen in Berlin und im Bund steht. Der baden-württembergische Friedensforscher und Bundestagsabgeordnete Tobias Pflüger setzte sich knapp mit 54,2 Prozent gegen Matthias Höhn aus Sachsen-Anhalt durch. Höhn hatte sich im Vorfeld des Parteitags für Auslandseinsätze der Bundeswehr unter UN-Mandat ausgesprochen.

Die Delegierten entschieden sich mehrheitlich für den Kurs der innerparteilichen Strömung mit der Eigenbezeichnung „Bewegungslinke“. Die knapp 20 von der „Bewegungslinken“ unterstützten Kandidatinnen und Kandidaten wurden in den 44-köpfigen Parteivorstand gewählt. Harri Grünberg von „Cuba Sí“, der dem „Aufstehen“-Flügel um Sahra Wagenknecht und Sevim Dagdelen zugerechnet wird, wurde nicht wieder in den Parteivorstand gewählt. Ebenfalls fiel die Berlinerin Friederike Benda überraschend bei der Wahl zur Stellvertretenden Parteivorsitzenden durch.

Markus Bernhardt


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"Vernebelungstaktik", UZ vom 5. März 2021



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