Mario Martones Mafiafilm hätte ein Meisterwerk werden können

Versandete Erinnerungen

Wohlgekleidete Männer in Business-Class-Sitzen, gebeugt über ihre Laptops, ein paar knappe Sätze in Arabisch. Der Flug aus Kairo ist kurz vor der Landung in Neapel. Felice Lasco, ein erfolgreicher Geschäftsmann Mitte 50, ist seit Jahrzehnten nicht mehr in seiner Heimatstadt Neapel gewesen. Im Hotel macht er sich frisch, um gleich zu seiner ersten abendlichen Erkundung aufzubrechen in die Straßen und Gässchen und sich klar zu werden, was er wirklich hier will. Oreste, seinen Freund aus Jugendtagen, will er treffen, aber zuvor seine gebrechliche Mutter besuchen. Die findet er in der ärmlichen Parterrewohnung des Hauses, das ihr ein Spekulant abgeschwindelt hat.

Das ist nicht die einzige Veränderung der vielen Jahre. Aus den Jungs, mit denen er damals auf Mopeds umherfuhr, sind lärmende Rockergangs mit Luxusbikes geworden. Seine goldene Uhr hat Felice gleich im Hotelsafe gelassen und über manche Viertel der Stadt wachen jetzt zwielichtige Figuren. Solche wie die, die jeden Schritt Felices scharf beäugen bei seiner Suche nach Oreste. Der hat es nämlich inzwischen zu trauriger Berühmtheit gebracht als Miethai und skrupelloser Hurenbock, gegen den der örtliche Pfarrer Don Luigi öffentlich zu Felde zieht.

Hier liegt nun auch der erste Schritt vom Wege in der Dramaturgie von Mario Martones neuem Film. Das Thema Macht und Mafia hat ihn schon mehrfach beschäftigt – und oft mit mehr Erfolg als in „Nostalgia“. Eine satte Viertelstunde leiten der in Neapel geborene Regisseur und sein brillanter Kameramann Paolo Carnera den Zuschauer in prächtigem Scopeformat, satten Braun- und Rottönen und wahrlich „nostalgischen“ Bildern durch die Reize des Sanità-Viertels der Stadt, knappe Rückblenden in anderen Formaten erzählen von der Jugendzeit der beiden Hauptfiguren, vom gemeinsamen Nacktbaden bis zu ersten Raub- und Diebeszügen – ein einziger, undramatischer Traum vom Heimkehren. Doch mit Don Luigis Schimpftiraden verschiebt sich das Gewicht, ändert sich die Stimmung, wird der Traum zum Krimi und schließlich zur unausgereiften Tragödie. Oreste als verlotterter Greis verliert alle menschlichen Züge, wird zum Bösen schlechthin, und von da ist es nicht mehr weit zum „Neapel sehen und sterben“ aus Goethes „Italienischer Reise“ …

„Nostalgia“ ist laut Vorspann eine Verfilmung eines Romans von Ermanno Rea, und es scheint, als hätte dies Martones Phantasie unangemessen überlagert. Das ist schade, denn so kommen ein paar herausragende Qualitäten der Besetzung arg unter die Räder. Als frühes Glanzstück prägt sich eine unvergessliche und wahrhaft kühne Szene Felices mit seiner Mutter Teresa ein: Die gebrechliche Dame, von der 80-jährigen Aurora Quattrocchi verkörpert, lässt sich zwar widerstrebend, aber als großer Liebesbeweis, von ihrem Sohn in einem alten Badezuber baden. Kaum weniger glänzend in weiteren Nebenrollen Nello Mascia als Teresas stiller Verehrer oder Sofia Essaidi als Felices Kairoer Ehefrau. Dagegen wirken Francesco di Leva als Don Luigi und erst recht Tommaso Ragnis Oreste wie billige Ausleihen aus dem Mainstream-Kino.

Nostalgia
Regie Mario Martone
Unter anderem mit Pierfrancesco Favino, Francesco Di Leva, ­Tommaso Ragno

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"Versandete Erinnerungen", UZ vom 2. Juni 2023



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