Bundesregierung gibt Pandemiebekämpfung ab, Länder wollen sie nicht haben

Vom Chaos ins Chaos

Die Ereignisse in der Ukraine hatten das Thema „Corona“ für zwei Wochen von den Titelseiten und aus den Kommentarspalten verdrängt. In der laufenden Woche schiebt es sich wieder nach vorn. Da sämtliche Corona-Beschränkungen bundesweit zum 20. März auslaufen, tritt der Bundestag (nach Redaktionsschluss) am 16. und 18. März zusammen, um über eine von der Bundesregierung eingebrachte Neufassung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) zu beraten. Der 22-seitige Entwurf liegt seit dem 9. März vor und sieht – unter Wegfall flächendeckender 2G- und 3G-Regelungen – als „Basisschutz“ eine Beibehaltung der Maskenpflicht in Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und im öffentlichen Nah- und Fernverkehr vor. Eine Übergangsphase bis zum 2. April soll den Bundesländern ermöglichen, landesspezifische Regelungen anzupassen. Für alles, was über den Basisschutz hinausgeht, überantwortet der Bund die Anordnungskompetenz den Ländern. Durch eine „Hotspot-Regelung“ sollen bei Überschreitung bestimmter Infektionswerte die Länderparlamente für die betroffene „Gebietskörperschaft“ (Landkreise, Städte, Regionen) maßgeschneiderte Anti-Pandemiemaßnahmen beschließen dürfen.

Kaum war der Inhalt des Entwurfs bekannt, erhob sich massiver Protest aus den Ländern: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) befürchtete einen bundesweit ineffektiven Flickenteppich, „den die Menschen kaum verstehen werden“. Ins gleiche Horn stießen Vertreter von Bayern, Niedersachsen und Baden-Württemberg. Vom Verlust eines „funktionierenden Notfallkoffers“ oder des „Feuerlöschers“, der beim Brand stets zur Hand sein müsse, ist die Rede. Augenscheinlich hat sich bei der Konzeption des Gesetzentwurfs die FDP und in persona Bundesjustizminister Marco Buschmann durchgesetzt, der nicht ohne Selbstlob von einem „idealen Kompromiss“ sprach.

Das „Prinzip Hoffnung“ zerstreute die allfälligen Warnungen von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vor „Sommer- und Herbstwellen“. Auch die vom neu installierten „ExpertInnenrat der Bundesregierung“ geforderte flächendeckende „Reaktionsschnelligkeit“ blieb auf der Strecke, genauso wie eine Regelung zum Schutz von zu Hause betreuten Pflegebedürftigen, die von der „Stiftung Patientenschutz“ gefordert wurde.

Die Kennzahlen der Pandemie entsprechen der zwiespältigen Einschätzung auf politischer Ebene: Während die Sieben-Tage-Inzidenzrate in den letzten zehn Tagen wieder auf über 1.500 gestiegen ist, fiel im gleichen Zeitraum die Hospitalierungsrate (Covid-Patienten auf 100.000 Einwohner) von 10 auf 7, die Letalitätsrate blieb unverändert niedrig. Der Anteil der Zweifachgeimpften an der Bevölkerung hat sich bei 75 Prozent eingependelt. Für diese Personengruppe zieht der Entwurf die Zügel an: Ein vollständiger Impfschutz wird bei zwei Impfungen nicht mehr angenommen, es muss eine nachgewiesene Infektion mit Covid-19 hinzukommen. Nur dann steht der zweifach Geimpfte einem „Geboosterten“ (momentan 58 Prozent der Bevölkerung) gleich.

Parallel zum abgespeckten Infektionsschutzgesetz kommt aus dem Hause des Bundesarbeitsministers Hubertus Heil (SPD) eine Novellierung der Corona-Arbeitsschutzverordnung. Bisher galt für die Betriebe die Regel, dass ein Hygienekonzept nachgewiesen werden musste, mindestens zwei Mal pro Woche Tests anzubieten waren oder Maskenpflicht für Innenräume verordnet war. Dies, wie auch die Umsetzung – wenn möglich und für den Unternehmer sinnvoll – ins Home-Office soll weiter beibehalten werden. Die Abfrage des Impf- oder Genesenenstatus‘ kommt dagegen in Wegfall. Die neue Verordnung gilt bis zum 25. Mai – eine Verlängerung ist nicht möglich.

Am Donnerstag, dem 17. März, debattiert der Bundestag die Impfpflicht. Einen Antrag auf Einführung einer allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren haben 233 Abgeordnete von SPD, Grünen und FDP unterzeichnet. Ob dieser Antrag die Mehrheit von mindestens 369 Stimmen findet, ist angesichts der niedrigen Hospitaliserungsrate, des stark gefallenen Anteils der Covid-Patienten auf den Intensivstationen, eines fehlenden Impfregisters und der ungeklärten Frage, ob gegenwärtige Impfstoffe gegen zukünftige Viren helfen, eher zweifelhaft.

Über den Autor

Ralf Hohmann (Jahrgang 1959) ist Rechtswissenschaftler.

Nach seinen Promotionen im Bereich Jura und in Philosophie arbeitete er im Bereich der Strafverteidigung, Anwaltsfortbildung und nahm Lehraufträge an Universitäten wahr.

Er schreibt seit Mai 2019 regelmäßig für die UZ.

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"Vom Chaos ins Chaos", UZ vom 18. März 2022



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