Ein Buch von Jörg Kronauer über die aktuelle NATO-Strategie gegen Russland

Vom Drang nach Osten

Von Stefan Kühner

Meinst du, die Russen wollen Krieg?

Meinst du, die Russen wollen Krieg?

Befrag die Stille, die da schwieg

im weiten Feld, im Pappelhain,

Befrag die Birken an dem Rain.

Dort, wo er liegt in seinem Grab.

Den russischen Soldaten frag!

Sein Sohn dir drauf Antwort gibt:

Meinst du, die Russen woll’n,

meinst du, die Russen woll’n,

meinst du, die Russen wollen Krieg?

Nicht nur fürs eig’ne Vaterland

fiel der Soldat im Weltenbrand.

Nein, dass auf Erden jedermann

in Ruhe schlafen gehen kann.

Holt euch bei jenem Kämpfer Rat,

der siegend an die Elbe trat,

was tief in unsren Herzen blieb:

Meinst du, die Russen wollen Krieg …

Der Kampf hat uns nicht schwach gesehn,

doch nie mehr möge es geschehn,

dass Menschenblut, so rot und heiß,

der bitt’ren Erde werd’ zum Preis.

Frag Mütter, die seit damals grau.

Befrag doch bitte meine Frau.

Die Antwort in der Frage liegt:

Meinst du, die Russen wollen Krieg …

Es weiß, wer schmiedet und wer webt,

es weiß, wer ackert und wer sät –

ein jedes Volk die Wahrheit sieht:

Meinst du, die Russen wollen,

meinst du, die Russen wollen,

meinst du, die Russen wollen Krieg?

Jewgeni Jewtuschenko, 1961

 

Jörg Kronauer: Meinst Du die Russen wollen Krieg? Russland, der Westen und der zweite Kalte Krieg, Neue Kleine Bibliothek 249, PapyRossa Verlag, Köln 2018, 207 Seiten, 14,90 Euro, ISBN 978–3-89438–650-4

Um es vorweg zu sagen: Wer sich derzeit in der Kampagne „abrüsten statt aufrüsten“ oder „Kommunisten und der Kampf um Frieden“ engagiert, findet in dem kürzlich erschienenen Buch „Meinst Du die Russen wollen Krieg“ von Jörg Kronauer ausgezeichnete Unterstützung. Kronauer bringt Argumente und vor allem Fakten für die Diskussion an Infoständen, bei Aktionen oder ‚auch nur‘ im Freundeskreis, die vielen nicht vertraut sind.

Normalerweise beginnt man eine Rezension von vorn. Mit Bezug auf die Aktualität des Themas Frieden statt Kriegsvorbereitung stelle ich das vierte und letzte Kapitel in den Mittelpunkt und an den Anfang.

Der Autor erläutert hier die 2015 entwickelte NATO-Strategie „Enhanced Forward Presence“ (eFP) und die zugehörigen Maßnahmen zur Aufrüstung vor allem der baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie Polen. Dort wurden vier schlagkräftige Bataillone mit 4 500 „Mann“ Truppenstärke aufgebaut. Diese Truppen werden jeweils nach sechs Monaten ausgetauscht. Durch den ständigen Wechsel wird ein Passus der „NATO-Russland-Grundakte“ vom 27.  5. 1997 unterlaufen, nach der erklärt wird, „eine dauerhafte Stationierung von NATO-Truppen in den ost- und südosteuropäischen Mitgliedsstaaten ist nicht vorgesehen.“ (S. 172) Zusätzlich zu dieser gegen Russland gerichteten „NATO-Vornepräsenz“ wurden unter dem Begriff „Army Preposioned Stock“ (APS) in Belgien, den Niederlanden und in Deutschland (Miesau bei Ramstein sowie Dülmen bei Münster) vier riesige US-Waffenlager mit Kriegsgerät aufgebaut. Mit diesem Material sollen schnelle Angriffe gegen Russland unterstützt werden. Dieses Konzept verursacht riesige Kosten, die nach dem Willen der USA bzw. US-Präsident Trumps Europa alleine tragen soll, da es ja angeblich um die Sicherheit Europas geht. Hier findet man also einige der Hintergründe für die derzeit so laut geforderten Milliarden, die in die Aufrüstung fließen sollen. Auch andere Fakten aus Kronauers Buch lassen einen schaudern. Eine der Elitetruppen, die in Litauen mit Sitz in Rukla installiert wurde, nennt sich „Eiserner Wolf“. Dieser „Wolf“ wird hauptsächlich durch die Bundeswehr unterstützt und ausgebildet. „Eiserner Wolf“ hieß allerdings auch ein 1927 in Litauen gegründeter faschistischer Kampfverband. Später „organisierten sich zahlreiche seiner Mitglieder in den offen nationalsozialistischen Bewegungen Litauens“. (Dies steht wohl nicht in Kronauers Buch, kann man aber auf Wikipedia nachlesen).

In den Medien ist hier dann pausenlos zu hören und zu lesen: diese Aufrüstungsmaßnahmen der NATO seien „doch alles bloß Reaktionen auf die Aggressivität Russlands – siehe die Ukraine und die Annexion der Krim“. Hier kontert Kronauer ebenfalls mit Fakten. Er zeigt auf, dass vor allem die Bundesregierung sowie die EU und die NATO die Ukraine systematisch destabilisierten und versuchten, die Ukraine von Russland abzukoppeln. (S. 66 und 156). Diese massiven Einmischungen und Angriffe „auf russische Kerninteressen beschädigen“ nach Kronauer das Verhältnis zu Russland. Er zitiert den russischen Außenpolitik-Experten Fjodor Lukjanow mit den Worten: „Die Ära der erklärten Partnerschaft ging zu Ende … (das von Russland erhoffte) Großeuropa kam nicht zustande.“ (S. 152)

Kronauer belässt es bei dem Thema, worum Russland unter Putin seither militärisch aufrüstet und in Konfrontation gegen die NATO und die USA geht, nicht mit einer Analyse der letzten zehn bis fünfzehn Jahre.

Der größte Teil seines Buches geht der Frage nach, wie sich das Verhältnis von Deutschland und den USA gegenüber Russland, der UdSSR und dann wieder gegen Russland entwickelt hat. Kapitel 1 „Treibstoff für Barbarossa“ befasst sich mit der deutschen Russlandpolitik seit 1918. Kooperation, vor allem auf wirtschaftlichem Sektor, und Konfrontation wechselten ab, meint Kronauer. „Geprägt war und ist das Verhältnis durch … eine gewisse Kooperation und scharfe Konfrontation. Beide seien genaugenommen nur verschiedene Ausdrücke des beständigen Drangs (Deutschlands) sich nach Osten auszudehnen.“ (S. 8). Kapitel 2 „Puffer schaffen“ setzt sich mit der Politik der USA gegenüber Russland auseinander. Außer in der Phase der Niederringung des deutschen Faschismus sei die US-Politik geprägt worden „durch den Versuch, Russland zu schwächen“. Auf militärischem Gebiet bot sich für die USA vor allem die Abspaltung der baltischen Staaten und der Ukraine im Jahr 1991 als Chance. „Ein Russland, das die Kontrolle über die Ukraine behalten hätte, könnte immer noch versuchen, der Anführer eines durchsetzungsfähigen eurasischen Imperiums zu sein. Ohne die Ukraine sei jeder derartige Versuch zum Scheitern verurteilt. Also gelte es Kiew in das transatlantische Bündnis zu bringen, erklärte der US Geostratege Zbigniew Brezezinski.“ (S. 102)

Im 3. Kapitel befasst sich Kronauer mit den Gründen, warum die Regierung Russlands gegenüber der NATO eine völlige Kehrwendung vollzogen hat. 1990 gab es noch Überlegungen der NATO beizutreten.

Zum Titel des Buches: „Meinst Du die Russen wollen Krieg“. Für jede und jeden, der die Geschichte dieses Landes  und Europas kennt, ist dies eigentlich eine rhetorische Frage. Kein Land in Europa hatte in den letzten hundert Jahren so viele Kriegstote zu zählen und zu beweinen wie Russland. Warum sollten dieses Volk und seine Regierung Krieg wollen! Der Buchtitel greift den Titel eines Gedichts von Jewgeni Jewtuschenko aus dem Jahr 1961 auf.

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"Vom Drang nach Osten", UZ vom 3. August 2018



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