Die „Grünen“ setzen auf Konsumverzicht – wie dem Klimawandel wirklich begegnet werden könnte

Was heißt hier radikal?

Von Tina Sanders

Menschengemachter Klimawandel, Verlust der Biodiversität, Überdüngung der Böden, Flüsse und Weltmeere: Wir Menschen scheinen dabei zu sein, unsere Lebensgrundlagen zu zerstören. Obwohl das alle wissen, fehlt der politische Wille, wirksame Maßnahmen dagegen zu beschließen und umzusetzen. Offensichtlich sind im Kapitalismus die Profitinteressen der großen Konzerne wichtiger als die Überlebensinteressen der Menschheit. Also muss das Motto lauten: Systemwechsel statt Klimawandel!

Ähnliches sagte auch Greta Thunberg, die Initiatorin der inzwischen in mehr als 150 Staaten der Welt aktiven „Fridays for Future“-Bewegung: „Wenn eine Lösung innerhalb des Systems unmöglich zu finden ist, sollten wir das System ändern.“

Sie sagt auch: „Ich weiß, dass wir einen Systemwechsel dringender benötigen als individuelle Veränderungen. Aber das eine ist nicht ohne das andere zu haben.“ Da lässt sich ein Hauch dialektischen Denkens erkennen.

Aber bevor ich darauf eingehe, wie die Welt zu retten wäre, muss geklärt werden, warum die Erde oder vielmehr die Lebensgrundlagen der Menschen auf der Erde in Gefahr sind. Was sind Symptome, was sind Fakten, was ist Spekulation? Ist die Lage so dramatisch, wie der Hype es gerade suggeriert?

Etwa 95 Prozent der WissenschaftlerInnen, die sich mit Klima und Umweltfragen beschäftigen, sind sich einig, dass der weltweite Anstieg der Durchschnittstemperaturen menschengemacht ist und immer bedrohlichere Formen annimmt. Der Temperaturanstieg wird mit dem Anstieg der Konzentration sogenannter Treibhausgase in der Atmosphäre in Zusammenhang gebracht.

Was sind und wie wirken Treibhausgase?

Zu den Treibhausgasen gehören Kohlenstoffdioxid, Methan, Lachgas und andere Spurengase. Sie kommen nur in Spuren vor, sind aber trotzdem hoch wirksam. Die wichtigsten Treibhausgase entstehen sowohl durch natürliche Prozesse als auch durch Verbrennung organischer Substanz, zum Beispiel Holz, bei Vulkanausbrüchen oder in Kraftwerken und Autos. Sie sind Teil sogenannter Stoffkreisläufe, des Kohlenstoff- und Stickstoffkreislaufs, das heißt, sie werden natürlich gebildet und auch wieder abgebaut. Wenn die Kreisläufe im Gleichgewicht sind, bleiben ihre Komponenten, Bestandteile, Quellen und Senken im Weltmaßstab relativ stabil. Die Menschheit hat nun aber massiv in den Kohlenstoff- und Stickstoffkreislauf eingegriffen, maßgeblich durch Verbrennung fossiler Energieträger. Damit kommt es zu einer Anreicherung von CO2 und CH4 in der Atmosphäre. Neben der Verbrennung fossiler Brennstoffe wurde Stickstoff fixiert und als Kunstdünger in den Stickstoffkreislauf gegeben. Das würde es zum einem heute möglich machen, alle acht Milliarden Menschen auf der Welt zu ernähren, wenn die Verteilung nicht der Profitlogik unterläge. Es führte aber auch zu einer deutlichen Verstärkung der Emissionen von Distickstoffmonoxid (N2O).

Was ist Klima?

Um zu verstehen, was Klimawandel ist, müssen wir zwischen Wetter und Klima unterscheiden. Klima ist, vereinfacht gesagt, das Wetter in einem Bezugssystem von 30 Jahren. Hier wird vor allem mit Durchschnittswerten der Temperatur, der Winde und Luftfeuchtigkeit gearbeitet. Das Wetter ist also, was wir täglich erleben, und das Klima ist das mittlere Wetter von 30 Jahren. Als Referenz wird heute oft die Zeitspanne von 1960 bis 1990 genutzt, verglichen wird sie mit den Werten von 1850.

Klimaänderungen gab es in der Erdgeschichte der letzten 4,5 Milliarden Jahren viele, auch sehr starke. Aber erst im sogenannten Pleistozän hat sich das Klima so weit stabilisiert, dass sich Lebensgrundlagen für Menschen entwickeln konnten. Innerhalb der letzten 2 Millionen Jahre gab es Warm- und Eiszeiten. Rasante Klimaänderungen haben sich meist durch Umweltkatastrophen ergeben, wie zum Beispiel Meteoriteneinschläge. In der wärmsten Warmzeit war es nur zirka 5 Grad wärmer, aber die Pole waren komplett eisfrei und der Meeresspiegel deutlich höher.

Was passiert durch den Anstieg der Durchschnittstemperaturen? Es steigt nicht nur die Temperatur, sondern auch die Energie in der Atmosphäre. Der Anstieg des mittleren Meeresspiegels und die Zunahme von Extremereignissen wie Starkregen, Dürre oder Hurrikans sind die Folge. Durch die Erwärmung kommt es zum Abtauen des Eisschildes in der Antarktis und Grönlands, des Meereseises in der Arktis oder auch der Gletscher. Die Folgen sind Überschwemmungen und die Ausbreitung der Subsahara-Region.

Die Erderwärmung kann in einigen Bereichen Kettenreaktionen auslösen, die den Klimawandel weiter anheizen, wie das Tauen der Permafrostböden, die große Kohlenstoffspeicher sind und stärker CO2, Methan und N2O emittieren könnten. Zirka 25 Prozent der Landmasse der nördlichen Hemisphäre sind Permafrostböden. In ihnen ist mehr Kohlenstoff eingefroren, als in allen Pflanzen der Erde gebunden ist.

Der Anstieg der CO2-Emissionen fällt zusammen mit dem Aufstieg des Kapitalismus. Er ist menschengemacht, aber er ist vor allem kapitalismusgemacht. Die Folgen baden vor allem die Staaten Asiens, Afrikas und Lateinamerikas aus. Europa, Nordamerika oder auch Australien werden sich noch relativ lange vor den Folgen schützen können. Künftige Flüchtlingsströme werden vor allem von Europa, USA und den anderen Industrienationen ausgelöst.

Wie den Klimawandel verhindern?

Mojib Latif vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und Mitglied des Weltklimarats ist davon überzeugt, dass der Klimawandel verhindert werden kann, wenn alle ihre Verhaltensweisen ändern. Wenn alle weniger Auto führen, weniger in den Urlaub flögen, weniger Fleisch äßen. Allein dadurch lasse sich die Erderwärmung auf 1,5 Grad begrenzen. Wenn das so einfach wäre, könnte man den Klimawandel durch individuelle Vernunft aufhalten. So einfach ist es aber nicht. Luisa Neubauer, Aktivistin von FFF, sagt: „Ich glaube, vielen Leuten ist es nicht bewusst, wie radikal sich Dinge ändern müssen, und dewegen ist es noch leicht, uns zu mögen!“

Andreas Grünwald, Friedensaktivist aus Hamburg, antwortet darauf: „Damit hat sie recht. Nun hoffe ich aber auch darauf, dass sie uns demnächst sagt, was denn ‚radikal‘, also an die Wurzeln gehend, wäre, um eine umweltpolitische Kurskorrektur zu ermöglichen …

Ich fände es zum Beispiel schon ziemlich radikal, wenn es für alle Großstädte und alle Ballungsräume ein Miet-Moratorium geben würde, denn das würde Menschen nicht immer mehr dazu zwingen, in die Randbereiche der Ballungsräume auszuweichen und dann als Pendler jeden Tag mit dem Auto in eben diese Ballungsräume zurückkehren zu müssen … Und wenn ich mir die verstopften Schnellstraßen im Berufsverkehr anschaue, dann wäre das schon gewaltig, was so verändert werden könnte.

Ich fände es auch ziemlich radikal, wenn es zum Beispiel einen guten und möglichst kostenlosen oder zumindest sehr günstigen Öffentlichen Nahverkehr geben würde und dieser in der Fläche erheblich besser ausgebaut wäre … Die Folge wäre eine erhebliche Verringerung des individuellen Autoverkehrs und somit eine Entlastung unserer Umwelt.

Radikal wäre es ebenfalls, zum Beispiel Plastiktüten, ja, alle unnötigen Plastikverpackungen schlicht und ergreifend durch ein Gesetz einfach zu verbieten. Aber gleichzeitig die Discounter zu verpflichten, Ersatzbehältnisse kostenlos zur Verfügung zu stellen, so wie es früher bei jedem kleinen Gemüsehändler der Fall war. Ja, ich finde, das wäre radikal.

Radikal wäre es auch, ein Tempolimit von 120 Stundenkilometern auf allen Autobahnen und ohne Ausnahme einzuführen, gleichzeitig aber die Verbindungen im Fernverkehr der Bahn weiter auszubauen und bei günstigen Tarifen zu entwickeln.

Außerdem wäre es ganz einfach, zum Beispiel alle großen Reedereien dieser Welt durch entsprechende internationale (oder europäische) Übereinkünfte dazu zu verpflichten, nur noch Treibstoffe zu verwenden, die unsere Umwelt weniger schädigen. Einfach und radikal wäre das und es würde nicht mal den Wettbewerb unter den Reedereien verzerren, weil sie ja gleichermaßen betroffen wären … Und Reedereien, die sich daran nicht beteiligen, würden einfach nicht mehr in die eigenen Häfen gelassen: Was glaubt ihr: Würden die umrüsten oder würden sie das Geschäft anderen Reedereien überlassen?

Noch radikaler wäre es freilich, den Transport von Waren auf die Schiene umzulenken durch einen entsprechend großzügigen Ausbau des öffentlichen Schienennetzes, wozu die Konzerne, die davon profitieren, durch Sonderabgaben zur Finanzierung beitragen könnten. Noch konsequenter wäre es natürlich, den weltweiten Warentransport einzuschränken, indem man zum Beispiel nicht weiterhin ökonomische Globalisierung als einen unveränderlichen, nicht korrigierbaren oder einzuschränkenden Tatbestand hinnimmt, sondern lokale oder regionale Wirtschaftskreisläufe stärkt und schützt.

Sogar ziemlich radikal wäre es, die unsere Umwelt schädigenden Großunternehmen allesamt zu vergesellschaften und es somit zu ermöglichen, dass die Art und Weise der Produktion künftig öffentlich kontrolliert wird. Damit wäre nicht mehr der Profit der Maßstab aller Dinge, sondern der Gebrauchswert. Mit den Energiekonzernen könnte man ja anfangen und somit die vorzeitige Schließung von Kohlegruben und Steinkohlekraftwerken bewirken.

Ziemlich radikal wäre es, den Flugverkehr drastisch einzuschränken. Nicht durch Erhöhung der Treibstoffpreise – das ist nicht wirklich radikal und bringt auch nur wenig –, sondern durch Auflagen, und gleichzeitig das Schienennetz bei günstigen Tarifen auch für den Fernverkehr auszubauen.

Radikal wäre es zudem, den größten Klimakiller auf diesem Planeten konsequent auszutrocknen, also das Militär … Mit den frei werdenden Mitteln könnte man zukunftsfähige Energiesysteme finanzieren.

Meint Luisa Neubauer das und Ähnliches? Versteht sie das unter ‚notwendigem ‚Systemwechsel‘ oder meint sie Konsumverzicht? Aber Konsumverzicht gibt es ja schon für 40 Prozent der Bevölkerung, die heute weniger haben als noch vor 20 Jahren.“

So weit Andreas Grünwald. Ich würde noch einen Punkt hinzufügen. Es wäre auch radikal, wenn wir die Arbeitszeit der Menschen radikal kürzen würden, bei vollem Lohn- und Personalausgleich. Dann hätten viel mehr Menschen Arbeit und wir hätten mehr Zeit, wir könnten diese mehr genießen und andere Transportmittel als das Auto oder Flugzeug benützen. Das wäre radikal.

Schauen wir uns noch mal an, wer eigentlich so viel Treibhausgase aus fossilen Energieträgern in die Atmosphäre schießt: Allen voran die Industriestaaten, in erster Linie die USA. Auch China und Indien produzieren viel fossiles CO2, sie produzieren ja auch hauptsächlich für Europa und die USA. Wenn man ihren Ausstoß aber auf den Pro-Kopf-Ausstoß umrechnet, liegen die USA mit Abstand vorn. Und der größte Klimakiller ist das US-Militär!

Die hundert größten Konzerne der Welt produzieren mehr als 70 Prozent der Treibhausgase. Wenn man den Ausstoß seit der Industrialisierung berücksichtigt, sind die USA und Europa die größten Klimasünder.

Nach einer Oxfam-Studie ist der CO2-Ausstoß auch abhängig vom Einkommen, wer viel hat, produziert auch viel CO2. Menschen mit niedrigem Einkommen können ihre Lebensgewohnheiten kaum umstellen, da sie ihr Einkommen fast vollständig für ihre Grundbedürfnisse ausgeben. Sie würden am meisten von bezahlbarem Wohnraum, kostenlosem Personennahverkehr und billigeren regionalen Produkten profitieren.

Profitlogik durchbrechen

Was aber wird jetzt „die Politik“ tun? Merkel, die „Klimakanzlerin“? „Die Grünen“? Gehen sie an die Systemfrage ran? Natürlich nicht.

Was wollen die Grünen? In ihren Augen werden der Markt und eine Steuer schon alles richten. Schauen wir uns ihr aktuelles Klimaprogramm an. Hier einige Schlaglichter:

„Wir machen Deutschland zum Vorreiter beim Klimaschutz“

„Wir wollen die Wirtschaft ökologisch modernisieren, denn Nichthandeln wird teurer als mutiges Vorangehen.“

„Der Wettbewerb um die besten Lösungen zur Bekämpfung der Klimakrise spornt uns an, neue und bessere Technologien zu entwickeln.“

„Saubere Energie, Ausbau der Erneuerbaren, Ausstieg aus der klimaschädlichen Kohle: Ab 2030 wollen wir unseren Strombedarf vollständig aus erneuerbaren Energien decken. Um den Kohleausstieg endlich einzuleiten, müssen die 20 dreckigsten Kohlekraftwerke sofort vom Netz genommen werden.“ Die Kohle kommt dann bei den restlichen Kraftwerken nicht aus Deutschland, sondern vor allem aus Lateinamerika, wie heute schon für das Kohlekraftwerk Moorburg in Hamburg.

„Mit einem Fonds für den Strukturwandel schaffen wir einen sozialverträglichen Ausstieg und neue, zukunftsfähige Arbeitsplätze.“

„Finanzmittel in klimafreundliche Alternativen umschichten.“

„In die Preise für Güter und Dienstleistungen soll einfließen, wenn sie Umweltschäden anrichten.“

„CO2 Bepreisung einführen: Durch einen CO2-Mindestpreis im Emissionshandel von 40 Euro/Tonne sorgen wir dafür, dass sich Investitionen in Klimaschutz betriebswirtschaftlich lohnen und die Natur nicht länger die Zeche zahlt.“

CO2-Steuer? Wird es was ändern? Die Reichen würden auch weiterhin SUVs fahren und fliegen. Die Profite der Konzerne werden ja nicht angegangen, sondern der Konsum.

Was können wir von den Grünen erwarten? Die Grünen waren 1999 mitverantwortlich für den ersten Angriffskrieg, der nach dem Zweiten Weltkrieg von deutschem Boden ausging: den Jugoslawienkrieg. Später haben sie dann zusammen mit der SPD die Sozialsysteme in Deutschland geschliffen und zum Beispiel Hartz IV eingeführt. Wir wissen also, was wir erwarten können!

Was können wir tun?

Wer die Welt verändern will, muss sie erkennen. Wer sie erkannt hat, muss die Profitlogik durchbrechen. Damit die Lebendsgrundlage der Menschheit erhalten bleibt, unsere Bedürfnisse befriedigt werden können. Nachhaltigkeit und Einklang der Menschen mit der Natur.

Das geht nicht mit dem Kapitalismus!

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"Was heißt hier radikal?", UZ vom 2. August 2019



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